In einer Zeit, als Bürgerinitiativen in der Bundesrepublik Deutschland noch nahezu unbekannt waren und Protestaktionen oder Demonstrationen im Bewusstsein der Öffentlichkeit abgesehen von gewerkschaftlichen Aktionen nur von ,langhaarigen, Gammlern, Kommunisten und Studenten‘ durchgeführt wurden, entstand in Herne im Mai 1972 eine spontane Anti-Eingemeindungsbewegung. Der Redakteur der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung, Helge Kondring, und der Lehramtsanwärter Jürgen Rausch hatten nach einer SPD-Versammlung am Tresen entschieden, dass man etwas gegen die drohende Eingemeindung tun müsse. Sie entwarfen ein Flugblatt, und um der Sache mehr Gewicht zu verleihen, sorgten sie dafür, dass in einer parteienübergreifenden Koalition neben den beiden Initiatoren auch Ärzte, Schulleiter, Studenten und unter anderen folgende Personen mitunterzeichneten: Friedrich Bentrup (Vorsitzender des Einzelhandelsverbandes), Else Drenseck (Bürgermeisterin, SPD), Ulrich Finke (FDP-Kreisvorsitzender), Wilhelm Keldenich (CDU-Fraktionsvorsitzender), Norbert Schlottmann (CDU-Landtagsabgeordneter), Armgard Seher (FDP), Willi Pohlmann (SPD-Landtagsabgeordneter) und Manfred Leyh (Leiter des Stadtplanungsamtes).
An der Gründungsveranstaltung der Bürgerinitiative Herne (BI), die am 18. Mai 1972 in der Aula der Realschule Strünkede stattfand, nahmen mehr als 200 Menschen teil. Zum Ende der Veranstaltung wählten die Besucher ein Zwölferkomitee, das die Planung künftiger Aktionen übernehmen sollte. Neben den beiden Initiatoren gehörten dazu: Hermann Berkenhoff (IG Metall), Alfred Duwe (Bauunternehmer), Horst Hüls (Kaufmann), Heinz Kurtzbach (Ruhr-Nachrichten), Barbara Rausch, Ulrich Scherff (Betriebsrat Blaupunkt), Kurt Schicksnus ( Westfälische Rundschau), Michael Thiele (Westdeutsche Allgemeine Zeitung), Gerhard Ucka (CDU) und Wilhelm Zehrt (Grafiker). Mit der Wahl der Chefs der Herner Lokalredaktionen der drei Tageszeitungen war die Grundlage für eine breite Öffentlichkeitsarbeit geschaffen worden. Auch durch den später zum Komiteesprecher gewählten 1. Bevollmächtigten der IG Metall in Herne, Hermann Berkenhoff, gab es von Anfang an gute Chancen, eine breite Basis in der Bevölkerung zu bekommen. Bis zu den Sommerferien sollten 30.000 Unterschriften zusammenkommen. Am Ende waren 40.113 Stimmen gesammelt.
Erst am 10. August 1972 begann die im Wanne-Eickeler Rat vertretene Bürgergemeinschaft (BG) mit ihrem Aktionsprogramm ‚Stop – Wanne-Eickel muss selbständig bleiben‘. Dr. Köker, Vorsitzender der Bürgergemeinschaft, teilte in einer Pressekonferenz mit, dass man erst das Ende der Schulferien hatte abwarten wollen. Mit großem Aufwand wurde für die Selbstständigkeit Wanne-Eickels geworben: 10.000 Autoaufkleber, 400 Plakate und 26.400 Beilagen in der Lokalpresse sollten die Einwohner zur Teilnahme an der Unterschriftenaktion gegen die Eingemeindung animieren. Dazu waren noch etwa 2.000 Briefe mit der Bitte um Unterstützung der Aktion an ortsansässige Firmen, Parteien, Verbände, Tankstellen und an Vertreter der Stadtverwaltung verschickt worden. Um eine möglichst breite Basis der Mitarbeit zu finden, hatte die initiierende Bürgergemeinschaft darauf verzichtet, auf den Druckwerken ihren Namen hervorzuheben. Der stellvertretende Vorsitzende der Bürgergemeinschaft, Friedel Marschall, wurde am 14. September 1972 in der Lokalpresse mit einer Zwischenbilanz zitiert. Innerhalb eines Monats hatten genau 7.000 Einwohner Wanne-Eickels mit ihrer Unterschrift gegen die Eingemeindungspläne der Landesregierung protestiert. Er bewertete das als ein befriedigendes Ergebnis, forderte zu weiterer Unterstützung auf und wehrte sich gegen das Gerücht, dass die Initiative zum Erliegen gekommen sei. Zwei Tage später sollten sich die Vorsitzenden der drei im Rat vertretenen Fraktionen treffen, um die Aktion für die Selbstständigkeit der Stadt auf eine breitere Basis zu stellen. Weder die Unterschriftenaktion, noch das Treffen der Fraktionsvorsitzenden wurden je wieder erwähnt.
Auf anderer Ebene ging es aber weiter, denn um ihrem Anliegen Gewicht zu verschaffen, arbeiteten die Bürgerinitiativen von Herne, Wanne-Eickel, Castrop-Rauxel und Wattenscheid zusammen. Am 29. August 1972 übermittelten sie Ministerpräsident Kühn und Innenminister Weyer ein Fernschreiben, worin die Aktionsgemeinschaft der vier Bürgerinitiativen ankündigte, dass sie sich mit allen legalen Mitteln gegen Eingemeindungen ihrer Städte wehren werden, sinnvolle Neugliederungsmaßnahmen unter Erhaltung der Selbstständigkeit allerdings unterstützen würden. Dabei dachte man an Städteverbünde mit den Nachbarn. Die Vertreter der Initiativen hatten am 20. September 1972 in der Staatskanzlei eine Unterredung mit Minister Halstenberg. Dort erfuhren sie, dass in den Neugliederungsüberlegungen des Landes aufgrund der Aktivitäten der Bürgerinitiativen die Städteverbundlösung und die Eingemeindungsvorschläge gleichwertig behandelt würden. Halstenberg versprach, vor allen weiteren Entscheidungen Gespräche mit den Sprechern der Aktionsgemeinschaft zu führen. Ende September hatten die Bürgerinitiativen im mittleren Emscherraum 150.000 Unterschriften gegen Eingemeindungen der Mittelstädte gesammelt und damit errangen sie in der politischen Willensbildung ein Gewicht, das niemand zuvor geahnt hätte. Die Bürgerinitiative Herne hatte die selbstgestellte Aufgabe erfüllt und verlor gleichzeitig ihre Organisationskraft.
Ein letztes Mal trat die Hemer Bürgerinitiative im Juni 1973 an die Öffentlichkeit, denn eine drohende Eingemeindung von Herne und Wanne-Eickel nach Bochum war weiterhin nicht vom Tisch. Man wollte „alle demokratischen Register ziehen und gegen das Ansinnen der Düsseldorfer Eingemeindung Sturm laufen“. Deshalb beriefen die Bürgerinitiativen Hernes und Wanne-Eickels kurzfristig für den 19. Juni 1973 eine weitere Bürgerversammlung ein. Diesmal fanden sich nur etwa siebzig Interessierte aus beiden Städten in der Aula der Realschule Strünkede ein.
Jürgen Hagen, Erstveröffentlichung des ursprünglichen Textes: „Die Liebe aber kommt im Bett… – Die Geschichte der Städteehe von Herne und Wanne-Eickel“. Jürgen Hagen. In: „Der Emscherbrücher“ Band 17 (2016/17). Seiten 42 bis 44. Herausgegeben von der Gesellschaft für Heimatkunde Wanne-Eickel e. V. Herne 2016.