Neues Leben am alten Schacht
Seit etwa zwei Monaten hat Herne eine Kleinstzeche. Es ist ein Pütt, wie er sich im Abbau und Förderung der Kohlen kaum von den Kleinstzechen an der Ruhr unterscheidet. Dass inmitten einer Großzechenstadt, deren Schächte täglich etwa 18 000 Tonnen Kohlen mit den modernsten Maschinen fördern, die alte, längst vergessene Bergromantik wieder aufleben würde, hat wohl kaum einer von uns- geahnt.
Flöz Präsident und Girondelle
Der Bochumer Unternehmer Wisoka schürft im wahrsten Sinne des Wortes Kohlen auf dem Gelände der seit Jahrzehnten stillliegenden Zeche „Von der Heydt“ am ‚Bahnhof. „Zeche Wisoka“ sagen die 25 Kumpels, die auf drei Schichten verteilt sind. Gleich unter dem Mergel, der dort bis zu 200 m reicht wird Flöz Präsident abgebaut, Aber es ist kein durchgehendes Flöz, sondern ein etwa 200 m langer Kohlenstreb, der im Einfallen noch 40 m hat. Etwas tiefer liegt das Magerkohlenflöz „Girondelle“. Girondelle hat mehr Inhalt. Es sind noch weitere Flözstücke vorhanden.
Was immer unsere Urgroßväter stehen ließen
Für die Märkische Steinkohlen AG hatten die „paar Gramm“ Kohle, wie die Kumpels sagen, keinen Wert. Man gab sie dem Kleinstzechenbewerber Wisoka aus Bochum ab. Er holt nun die letzten Reste heraus, die die Hemer Urgroßväter als junge Hauer vor 60 und mehr Jahren stehenlassen mussten, weil diese Kohlen rund um den Schacht, „gewachsen“ sind und als sog. Sicherheitspfeiler galten, wenn der Schacht nicht aus dem Lot geraten sollte. Hauer Hubert Zembrodt sagte: „Wir sind etwa 40 m vom Schacht, direkt unter der Eisenbahnlinie. Einige Kumpels wollen bei dieser geringen Tiefe ein leichtes Vibrieren des Gebirges feststellen, wenn D- und schwere Eilgüterzüge durch den Hemer Bahnhof brausen. Unter ihren Füßen steht der Schacht von der siebten Sohle an unter Wasser. Bis zur neunten Sohle ist er ersoffen.
Mäuse laufen sich Blasen
Wie in jenen Bergbautagen, deren sich nur noch die alten Hemer Berginvaliden zu erinnern wissen, wird abgebaut. Kürzlich fand man einen alten Bremsberg, den man vielleicht vor 60 oder auch mehr Jahren aufgefahren hatte. Die Kumpels waren erstaunt, dass der Ausbau den Druck all die Jahre gehalten hat. So konnte man, abgesehen von dem Aufräumen einiger Bruchstellen, fast ohne Zeitverlust, den alten Berg wieder betriebsfertig machen. In dem Ausbau des alten Berges fanden einige Kumpels noch Reste von alten Zeitungen aus der Zeit vor dem Ersten Weltkriege. Die vorigen Heydt-Kumpels von anno dazumal hatten nach dem Buttern die Zeitung gefaltet und hinter die Steine und die Verzugsspitzen gelegt. „Aber jedes Stück war völlig zerfressen, denn seitdem Von der Heydt stillliegt, laufen sich die Mäuse auf der Futtersuche Blasen“, meint ein alter“ Bergmann, der jetzt am Tage arbeitet.
Täglich 1000 Zentner
Täglich bringt das dünne Seil an den kleinen Rädern 80 bis 90 kleine ‚Förderwagen Kohlen heraus. Das sind ungefähr 50 Tonnen. Über Tage warten schon Lastwagen, die die Kohlen abtransportieren. Eine Wäsche oder ein Leseband kennt die Hemer Kleinstzeche auch nicht. Chauffeure und Beifahrer müssen selbst die Steine aus den Kohlen lesen. Die Steiger Huf und Briil teilen sich in der Aufsicht den Tages- und den Grubenbetrieb morgens. In der Mittagschicht ist es der Fahrhauer Karl Becker und des Nachts der Aufsichtshauer Karl Becker, die rein zufällig den gleichen Namen haben.
Voraussichtlich noch zwei Jahre
Mit dem Lohn sind die 25 Männer zufrieden. Als man mit dem Anlaufen des Betriebes beschäftigt war, machte Wisoka ihnen den Lohn. Es gab 17 Mark pro Schicht. Heute geht es im Gedinge. Es werden 17 Mark verdient, einige haben auch schon über 20 Mark herausgehauen Viele der Bergleute haben in den Ruhrstollen gearbeitet und freuen sich, dass sie jetzt nicht mehr den weiten Weg nach Bochum-Weitmar haben. Man hofft, noch etwa zwei Jahre auf Von der Heydt buddeln zu können.
Von draußen kaum zu sehen
Über Tage kommt die Kleinstzeche mit ein paar Quadratmeter Gelände aus. Man sieht hinter den Grünanlagen mit den kleinen Räumen kaum etwas. Nur der erfahrene Kumpel, der des Weges geht, muss etwas ahnen, denn wenn man 200 m tief am Signalhammer zieht und „Langsam auf“ klopft und wenige Minuten später oben am Schacht ein Steiger, kohlengeschwärzt mit einem Grubenlicht sichtbar wird, dann tut sich dort etwas.
Und wo ein Steiger ist und Kumpels am Seil ziehen, kann die Kohle nicht weit sein.
Der Text wurde von Gerd Biedermann entdeckt und für das digitale Geschichtsbuch aufbereitet.
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Quelle:
Westfälische Rundschau, Ausgabe Herne, September 1952