Café Profittlich: Die gastronomische Zeitmaschine

oder warum Hertie eine Ecke weiter gebaut wurde …

Das Café Profittlich hatte die besten Anlagen, der einzig gültige Treffpunkt für ganze Pennälergenerationen zu sein: strategisch günstige Lage zu Mädchengymnasium, Buschmannshof und Wiese, großer Gastraum mit reichlich Tischen und Nischen sowie relativ akzeptable Preise. Allein, es sollte über Jahrzehnte nicht sein, die Geschäftspolitik der Inhaber war verschroben und nicht sehr jugendfreundlich. Also gingen die Cola-Jungs und die Milchshake-Mädels ins benachbarte Nevegal. Die Härteren traf man im Union, da gab’s Flipper, Kicker und Bier. Noch in den 1980er Jahren konnte man im Café Profittlich die ultimative Zeitreise antreten. Das Zwanziger-Jahre-Mobiliar, die vergilbten Tapeten, angestaubten Vorhänge, Tischsets, Lampen und Accessoires hatten wie in einem Museum die Zeit überdauert. Mit dem feinen Unterschied, dass in einem Museum gelegentlich sauber gemacht wird. Dennoch: Das schräge Ambiente war mindestens einen Besuch wert.

Sebastian Profittlich gründete das Café in den 1920er Jahren. Das Foto entstand Ende der 1930er Jahre. Nach dem Krieg führte sein Sohn Karl-Heinz zusammen mit Tochter Hildegard das Geschäft weiter. Repro Stadtarchiv Herne

Wer etwas bestellte, musste hart im Nehmen sein

Die mit Staub und Nikotin vollgesogenen Gardinen filterten das Tageslicht gnädig – auf einen flüchtigen Blick wirkte das Café Profittlich äußerst charmant. Wer sich allerdings niederließ und sogar noch etwas zu bestellen wagte, musste hart im Nehmen sein. Was man dem Halben Hahn immer angedichtet hatte – für Profittlich traf es zu: Siff ohne Ende. Angetrocknete Kakao-Reste vom Vorgänger an der Tasse, fremder Lippenstift am Glas oder undefinierbare Speisereste an der Kuchengabel gehörten bei Profittlich einfach dazu. Das Kuchen- und Tortenangebot war gut gemeint. Zumindest von Konditormeister Karl-Heinz Profittlich, der durchaus etwas von seinem Fach verstand. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er auch spätestens am nächsten Tag die nicht verzehrten Kuchen- und Tortenreste aus der Auslage entfernt und frisches Back- und Zuckerwerk feilgeboten. Was aber nicht den kaufmännischen Grundsätzen seiner Schwester Hildegard entsprach, die auf einen restlosen Verkauf und Verzehr jeglicher Süßspeise bestand. Zum Leidwesen des braven Konditors wurden den wehrlosen Gästen dann auch Kuchen und Torten gereicht, die das Haltbarkeitsdatum deutlich überschritten hatten. Reklamationen beantwortete Hildegard Profittlich dann ebenso mürrisch wie sie die gesamte Bewirtung gestaltete.
Überhaupt hatten Reklamationen wenig Sinn – zum Beispiel, wenn die gesamte Auswahl sowieso nur noch aus zwei halben Torten bestand. Auch bei den Getränken war Vorsicht geboten. Die sicherste Wahl warenErfrischungsgetränke, die in Flaschen serviert wurden. Man musste das Glas ja nicht nehmen …

Die Geschwister Profittlich ließen sich selten fotografieren. Für Stefan Moses machten sie Mitte der 1980er Jahre eine Ausnahme. Sein tolles Foto stammt aus dem Bildband „24 Stunden Ruhrgebiet“. Repro Stadtarchiv Herne

Im Café herrschte (zumindest während meiner Zeit) Fotografierverbot. Die Profittlichs selbst ließen sich nur ein einziges Mal freiwillig ablichten, von Stefan Moses für den tollen Fotoband „24 Stunden Ruhrgebiet“. Obwohl die beiden Alten sogar Geschichte schrieben. Als Ende der 1960er Jahre der Kaufhauskonzern Hertie seine Wanne-Eickeler Invasion vorbereitete, sollte der Einkaufsbunker ursprünglich an der Hauptstraße, Ecke Overhofstraße gebaut werden, wozu allerdings auch das Haus der Profittlichs dem Kaufhaus hätte weichen müssen. Die Geschwister widerstanden aber allen Kaufangeboten. Als die Hertie-Manager dem Konditormeister sogar die Leitung der Kaufhaus-Cafeteria anboten, wäre Karl-Heinz fast schwach geworden. Wenn er, wie so häufig in seinem Leben, nicht wieder einen schwesterlichen Tritt vors Schienenbein bekommen hätte.

Ich kann mich nicht daran erinnern, dass Karl-Heinz Profittlich irgendeine Affinität zu Sport hatte. Im Gegenteil, Philosophie war sein Ding, wenn ihn Hildegard mal aus der Konditorenstube ließ … Trotzdem müssen es diese 13 Herren irgendwie geschafft haben, die Profittlichs von der Notwendigkeit einer eigenen Fußballmannschaft zu überzeugen. Und so traten die Profittlich Giants in den 1970er Jahren an gegen andere namhafte Teams wie Cosmos Monopol, Grashoppers Eickel oder die bei Wittig beheimateten Asbach Rangers. Repro Stadtarchiv Herne

Café Profittlich blieb Café Profittlich, Hertie baute eine Ecke weiter und Karl-Heinz seufzte so manches Mal, wenn seine Schwester außer Hörweite war, dass es 1968 doch wohl besser gewesen wäre, den Laden zu verkaufen und sich zur Ruhe zu setzen. Das Café erlebte noch das Ende von Hertie. Anfang der 1990er Jahre starb Karl-Heinz, Hildegard zog in ein Altenheim, das Haus stand einige Jahre baufällig herum. Mittlerweile ist es renoviert – das einzigartige Profittlich-Flair, das über 70 Jahre aus Wanne-Eickel nicht wegzudenken war, ist nur noch Erinnerung.

Das bereits geschlossene Café mit dem komischen Namen: Die „i“s wurden im Sprachgebrauch der Schüler oft durch „o“s ersetzt … Repro Stadtarchiv Herne

Wolfgang Berke

Aus: Berke, Wolfgang,  Das Buch zur Stadt Wanne-Eickel, Mythen, Kult, Rekorde: Eine Zeitreise durchs Herz des Ruhrgebiets, Das Buch mit der Website: www.wanne-eickel.info, 136 Seiten, Klartext Verlag, Essen 2002, Seiten 46 bis 48, Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung von Wolfgang Berke