Die Grubenkatastrophe von Courrières und die Städtepartnerschaft mit Hénin-Beaumont

Die Bergwerksgesellschaft Courrières wurde 1852 in dem gleichnamigen Ort im Nordosten Frankreichs gegründet. Sie hatte ihre Schächte auch in dem Gebiet der Orte Lens, Billy-Montigny und Hénin-Liétard.

Von diesen Zechen sind 110 Kilometer Untertageanlagen am 10. März 1906 durch eine Explosion von bisher nie erlebtem Ausmaß fast völlig zerstört worden. Von 1.425 Bergleuten, die dort gerade arbeiteten, kamen 1.099 in Feuer und Gas um.

Ankunft von deutschen Rettern in Courrières, Repro Stadtarchiv Herne
Ankunft von deutschen Rettern in Courrières, Repro Stadtarchiv Herne

An den langwierigen Rettungsarbeiten, die unter äußerst schwierigen Umständen begannen und sich bis Ende März hinzogen, war die zunächst aus 25, später noch aus 8 Bergleuten bestehende deutsche Rettungsmannschaft maßgeblich – und immer in der vordersten Gefahrenzone eingesetzt – beteiligt gewesen. Bereits am 11. März brach der von den Zechen Shamrock in Herne und Rheinelbe in Gelsenkirchen gebildete Rettungstrupp zu dem Unglücksort auf. Zu dieser durch den Bergmeister Konrad Engel vom Verein für bergbauliche Interessen im Oberbergamtsbezirk Dortmund angeregten Aktion und unter Leitung von Bergwerksdirektor Dr.-Ing. E. h. Georg Albrecht Meyer von Shamrock, brachte die Rettungsmannschaft neuartige und in Frankreich damals noch unbekannte Grubensicherheitsgeräte mit, die es gestatteten, in gasverseuchten Grubengängen zu arbeiten.

Meyer konstruierte mit Unterstützung der Bergwerksgesellschaft Hibernia die ersten ’schachtreifen Sauerstoff-Gasschutzgeräte deutscher Bauart‘ – nach ihrem Entstehungsort auch ‚Mundatmungsapparat Shamrock-Type‘ genannt. Diese Ausrüstung setzte sich aus einem Asbestanzug, der den Körper vor Verbrennungen schützte, sowie einem Gesichts- und Mundschutz – in der Form eine ungefähre Vorwegnahme der Gasmaske des Ersten Weltkriegs – und einem sackartigen Sauerstoffbehälter zusammen, den der Rettungsmann wie eine Schwimmweste auf Brust und Rücken geschnallt trug. Gesichts- und Mundschutz waren mit dem Sauerstoffreservoir durch einen Atmungsschlauch verbunden. So ausgestattet suchten die Herner und Gelsenkirchener Retter nach Überlebenden und bargen tote Bergmänner.

Die deutsche Rettungsaktion wurde sowohl von deutscher wie von französischer Seite zu einem Politikum gemacht. Sie trug erheblich dazu bei, die durch die erste Marokkokrise angespannten deutsch-französischen Beziehungen vorübergehend zu entschärfen, denn durch die Teilnahme von Kaiser Wilhelm II. 1905 in Tanger bei einer Kundgebung gegen das französische Vorgehen in Marokko, drohte zwischen beiden Ländern Krieg. Umso größer ist die Zivilcourage des Bergmeisters Konrad Engel anzusehen, in dieser Zeit ohne ausdrückliche Genehmigung vorgesetzter Behörden abzuwarten, ein Telegramm mit dem deutschen Hilfsangebot abzusenden.

In Deutschland wurde die Rettungsaktion als Beweis für die eigene technische Überlegenheit gewertet. Das Frankreich der ‚Entente cordiale‘ bagatellisierte den deutsche Beitrag. 25 Jahre nach dem Unglück drehte der Filmemacher Georg Wilhelm Pabst den Film ‚Kameradschaft‘, in dem er das furchtbare Grubenunglück und den Verlauf der Rettungsarbeiten realitätsnah schilderte. Die Dreharbeiten fanden im Ruhrgebiet, in Frankreich und in Berlin statt. Im November 1931 wurde ‚Kameradschaft‘ uraufgeführt. Während der Zeit des Nationalsozialismus verschwanden alle deutsche Kopien dieses Filmes.

In den folgenden Jahrzehnten nach der Katastrophe von Courrières , in denen sich Frankreich und Deutschland als Gegner in zwei Weltkriegen gegenüberstanden, wurde die gemeinsame Rettungsaktion aus politischen Gründen niemals objektiv bewertet. Erst nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft gab es die Chance, sich neu auf Einigendes zwischen beiden Völkern zu besinnen.

Erste zaghafte Fühler wurden seitens der Stadt Herne ausgestreckt, und man fand in einer Zeit internationaler Ächtung Deutschlands in Hénin-Liètard ein freundliches Echo. Spätestens im August 1952 kam es  zunächst zu privaten Treffen zwischen dem Bürgermeister von Hénin-Liètard, Fernand Darchicourt, und dem Herner Oberstadtdirektor Edwin Ostendorf. Die Kontakte zwischen beiden Städten brachen von da an nicht mehr ab. Sowohl über die Zechengesellschaft als auch durch die Gewerkschaften wurden gegenseitige Besuche und Austauschmaßnahmen organisiert.

Am 26. Juni 1986 wurde offiziell das Jahr 1954 als Beginn der Städtepartnerschaft festgesetzt. 1960 bzw. 1963 erfolgte die feierliche Überreichung der Partnerschaftsurkunden. Hénin-Liètard fusionierte 1971 mit Beaumont zu Hénin-Beaumont und ist Amtssitz des Bezirks Hénin-Carvin im Departement Pas-de-Calais.

Jürgen Hagen

Quellen:

  • Stadtarchiv Herne, Dokumentationsbibliothek, Abteilung Städtepartnerschaften, Bestand Hénin-Beaumont; Abteilung Bergbau, Bestände Shamrock und Courrières 
  • Herne – von Ackerstraße bis Zur-Nieden-Straße, Stadtgeschichte im Spiegel der Straßennamen, bearbeitet von Manfred Hildebrandt, Ralf Frensel, Jeannette Bodeux, Franz Heiserholt, Veröffentlichungen des Stadtarchivs Herne, Band 1, Herne 1997, Seiten 162 – 163 b, 313 a, Courrièresstraße, Hénin-Beaumont-Straße