Masurisches Gebetshaus

Im Herner Viertel Altenhöfen liegt, umringt von anderen Häusern, ein masurisches Gebetshaus. Es ist das einzige erhaltene seiner Art im Ruhrgebiet.

Masuren, eine Landschaft im Nordosten Polens, war in der Vergangenheit auch Quelle der Zuwanderung in den Westen. Im Zuge der Industrialisierung zog es im ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert viele Menschen aus dem über 1.000 Kilometer entfernten Landstrich nach Herne. Sie suchten und fanden hier Arbeit, nicht zuletzt auf den Zechen der Emscherzone.

Ein evangelischer Bauverein

Die Bewohner Masurens waren in der damaligen Zeit mehrheitlich protestantisch. In Herne schlossen sie sich, wie viele andere Zuwanderer es damals taten und noch heute tun, in Vereinen zusammen. Ein solcher war der „Alte Ostpreußische evangelische Bauverein ‚Gott mit uns‘ Herne”. Für ihn fungierte der Vorsitzende und Bergmann Gottlieb Sczepan als Bauherr des Betsaals. Das war 1908. Errichtet hat das Haus der Architekt F. Kemper aus Herne. Daneben existierten in Herne noch andere Zusammenschlüsse von Masuren, unter anderem ein weiterer Gebetsverein, ein Unterhaltungs- und Sparverein, sowie ein Bergmanns- und Arbeiterverein.

Beten im Hinterhof

Wie aus dem Namen hervorgeht, verfügte der Zusammenschluss über eine religiöse Ausrichtung. Daher lag es nahe, dass sich die Herner Masuren eine eigene Versammlungsstätte schaffen wollten. Diese besteht bis heute und ist ein verborgenes Schmuckstück. Denn von den umgebenden Straßen in Altenhöfen aus ist sie kaum zu entdecken. Wer an der Kreuzung Hölkeskampring / Jean-Vogel-Straße den Blick schärft, erspäht ein markantes Backsteingebäude inmitten der engen Bebauung des innenstadtnahen Quartiers. Ein wirkliches Gebetshaus in einem Hinterhof. Der Zugang erfolgt durch die verschlossene Hofeinfahrt des Hauses Düngelstraße 81. Seit fast 110 Jahren steht die Glaubensstätte vergangener Tage im Herner Süden. Der Grund für die versteckte Lage lässt sich historisch erklären. Zu der Zeit bestand nur für die beiden großen Kirchen das Privileg, direkt an den Straßen Gotteshäuser zu bauen. Obwohl evangelisch-lutherisch, zählte der „Ostpreußische Bauverein ‚Gott mit uns‘ Herne” nicht dazu und musste buchstäblich in die zweite Reihe mit seinem Bethaus.

Gebaut wie eine Basilika

Aus architektonischer Sicht handelt es sich um einen Hallenbau mit Basilika-Querschnitt. 20 Meter lang ist das Backsteinbauwerk, 15 Meter beträgt die Breite. Auf dem zehn Meter hohen Backsteingiebel thront ein metallenes Kreuz. Die Stahlfenster sind nicht, wie häufig bei Sakralbauten mit üppigen bunten Fenstern ausgestattet, verfügen jedoch in weiten Teilen über leicht eingefärbte Scheiben. Der Innenraum wird von einem Wandgemälde von der Himmelfahrt Jesu dominiert, wobei Christus darin nicht gemalt ist, sondern als Statue auf einem Sockel in der Wand steht. Flankiert wird die biblische Szene mit zwei Sprüchen aus den Psalmen: „Singet dem Herrn ein neues Lied” und „Lobet ihn mit Posaunen, Psalter und Harfe”.

Ebenfalls erhalten und unter Denkmalschutz stehend ist die Kanzel. Die übrige Innengestaltung ist eher schmucklos und weiß gehalten, wie es in protestantischen Sakralbauten nicht selten der Fall ist. Gut 650 Menschen konnten in dem Betsaal, dessen Boden in weiten Teilen mit einem schwarz-weißen Fliesenboden versehen ist, ihren Glauben leben. Doch insbesondere zum Ende der Nutzung für religiöse Zwecke werden es weit weniger gewesen sein. Nicht von ungefähr erfolgte seine Aufgabe.

Der Typ mit der Kirche

„Ich weiß, dass es keine Kirche war, weil das Haus nicht als solche geweiht worden ist, aber ich nenne es trotzdem meine Kirche, sieht ja auch aus wie eine”, sagt lächeln Nenad Ilic, der heutige Besitzer. Vor acht Jahren hat er das Masurische Gebetshaus gekauft, mit dem Ziel, das Zeugnis Herner Migrationsgeschichte vor dem Verfall zu bewahren. „Ich verbringe viel Zeit hier. Es ist mein Steckenpferd. Es wäre doch schade, wenn es die ‚Kirche‘ nicht mehr geben würde, weil sich niemand darum kümmert”, erklärt Ilic. Nicht nur die Religion ist dabei sein Antrieb, sondern die Freude an dem schönen Bauwerk. Zuletzt wurde es vor zwölf Jahren für seinen ursprünglichen Zweck als religiöse Versammlungsstätte genutzt. Danach versank es in einem Dornröschenschlaf, ehe Ilic es den Vorbesitzern abkaufte. Innen bewahrt Ilic gegenwärtig Möbel und weiteres Antiquarisches aus seinem Geschäft auf. Er nimmt unter anderem Haushaltsauflösungen vor. Sein Traum wäre es jedoch, dass sich irgendwann einmal Kreative Menschen dort niederlassen. Bis dahin wird er das Gebetshaus jedoch weiter in Schuss halten. An einen Verkauf denkt Ilic jedenfalls nicht. „Dann wäre ich ja nicht mehr der Typ mit der Kirche”, sagt er schmunzelnd und blickt auf sein Gebetshaus.

Christoph Hüsken

In: inherne – das Stadtmagazin, herausgegeben von der Stadt Herne in Kooperation mit dem Wochenblatt Herne, Ausgabe 01/2017, Seiten 38 bis 41, Mai 2017, online abrufbar unter: https://inherne.net/das-masurische-gebetshaus/ (Letzter Zugriff: 29.04.2019) – Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Stadt Herne