Der „Robin Hood der Zapfsäule“

Die Geschichte der Firma Goldbach und der Tankstellenkette ‚Goldin‘

Rege Geschäftigkeit herrschte am Ölhafen der Firma Goldbach in Wanne-Eickel. Durchaus nicht verwunderlich, denn schließlich wurden über das imposante Mineralöllager die etwa 250 hauseigenen Goldin-Tankstellen versorgt. Merkwürdig war einzig und allein die Tageszeit, in der das Tankschiff mit 1,2 Millionen Liter Diesel, das vom Rotterdamer Rohölmarkt über den Rhein-Herne-Kanal nach Wanne-Eickel geschippert war, gelöscht wurde: Es war stockfinstere Nacht.

„Sparen – Goldin fahren!“ Unter diesem Motto hatte der ehemalige Kohlenhändler Erhard Goldbach Ende der 1970er Jahre die größte Tankstellenkette im Revier aufgebaut. „Immer zwei Pfennig billiger als die anderen“ lautete seine Devise. Mit der ersten Ölkrise 1973, den autofreien Sonntagen und den Benzinpreisen auf den Titelseiten der Tageszeitungen wurde diese Strategie zu einem erfolgbringenden Politikum. Goldbach profilierte sich mit seinen „freien“ Tankstellen im Kampf mit den multinationalen Konzernen wie Shell, BP und Aral zum„Robin-Hood der Zapfsäule“ und katapultierte seinen Jahresumsatz von 1973 bis 1978 von 162 Millionen auf rund zwei Milliarden Mark. Rund um den Hauptfirmensitz mit dem Tanklager und dem großen Fuhrpark an der Heerstraße in Wanne-Eickel, direkt am Kanal, fanden über 600 Menschen ihren Arbeitsplatz, mit den zahlreichen Tankstellen kamen weitere 700 Beschäftigte hinzu.

Das Credo des Tankstellen-Königs: „Immer zwei Pfennig billiger als die anderen.“ (Foto: Peter Monschau/Archiv Ralf Piorr)

Was damals nur einige wussten, aber etliche ahnten: Goldbachs Imperium basierte auf systematischem Wirtschaftsbetrug. MitTricks und Manipulationen wurden große Mengen Sprit an Zoll und Fiskus vorbei verhökert. „Natürlich habe ich mich gefragt: Wieso löscht man die Schiffsladung nachts? Der Diesel wurde direkt in die Tanks gepumpt und dann schwarz an den Tankstellen verkauft. Das ist vier-, fünfmal passiert. Goldbach muss also auch in Rotterdam jemanden gehabt haben“, erzählt Ferdinand Bönnighaus. Der passionierte Akkordeonspieler und Mitglied des Shanty-Chors „Die Knurrhähne“ hatte sich bei Goldbach vom Tankwagenfahrer zum Leiter des Mineralöllagers hochgearbeitet. Zu seinem Job gehörte es, die Prüfer der Steuerbehörde hinters Licht zu führen. Manchmal wurden Tanks mit Wasser aufgefüllt, manchmal Messlote manipuliert. „Es war eine einfache Übung, keiner hat das gemerkt. Die Beamten standen da oben auf dem Tankgerüst und zitterten vor Höhenangst“.

Tägllch lieferte die Goldin-Kette rund 800.000 Liter an ihre Tankstellen, beim Zoll wurde aber nur ein Viertel davon gemeldet. Die unterschlagenen Gelder flossen direkt in die Tasche von Goldbach. Bei Kontrollen durch die Finanzbehörde saß in einem Raum der Beamte und prüfte den Jahresabschluss und im Zimmer daneben wurden eifrig Belege gefälscht, neue Tankkarten erstellt und die Bücher frisiert. Monika Obgartel, ehemals Kindermädchen der Familie, aktuell Geliebte des Chefs, kassierte die Tageseinnahmen etlicher Tankstellen in bar und ohne Quittung ab. Das Geld wurde bündelweise in den im Kofferraum ihres Autos eingebauten Tresor geschmissen.

Prominenz in der Zweiten Liga: Ivica Horvat („Herne is‘ gut für die Rentenkasse“), Franz-Josef Laufer, Klaus Scheer, Günter Kuczinski und Mäzen Erhard Goldbach im trendigen Puma-Trainingsanzug. (Foto: Archiv Ralf Piorr)

Währenddessen ließ sich Erhard Goldbach feiern. Er kaufte sich den Fußballverein SC Westfalia Herne und bugsierte ihn mit monatlichen Deckungsschecks zwischen 200.000 und 300.000 DM in die Zweite Bundesliga. Die Fachzeitung Fußball-Woche titelte im August 1977 über den neuen Erfolg des Traditionsvereins, der nun „SC Westfalia 04 Goldin Herne“ hieß, anerkennend: „Wohl dem, der einen Goldbach hat.“

Was Günter Mast („Jägermeister“) in Braunschweig nicht gelungen war, schaffte Erhard Goldbach in Herne: Er schmuggelte unbemerkt vom DFB sein Unternehmen in den Vereinsnamen „SC Westfalia Goldin Herne“ Damals ein absolutes Novum bei der Werbung im Profisport.

Seine krummen Geschäfte flankierte der egozentrische Unternehmer mit einem großen Landgut im Bergischen und einem Puff in Rösrath. Große Treibjagden und die Animierdamen aus dem „Club Harmonie“ machten kleine Beamte und arrivierte Politiker gefügig. Manchmal mussten auch rabiatere Mittel eingesetzt werden. Als ein Herner Amtsleiter unbedingt eine Wildsau schießen wollte, die Rotte aber verschwunden war, wurde kurzerhand ein friedliches Hausschwein mit schwarzer Farbe in eine Wildsau verwandelt und vor die Büchse des Gastes getrieben. Als Dank wurde bei der nächsten Umweltschutzinspektion wieder geflissentlich weggeschaut. „Die Mitarbeiter des Ordnungsamtes führten die Inspektionen an Orten durch, die garantiert sauber waren. Einmal hatte ein Tank ein Leck, und alles sickerte in den Boden. Ausgerechnet an diesem Tag waren die Prüfer auf dem Gelände, aber die wollten gar nichts sehen, ob wohl es überall nach Diesel stank“, so Ferdinand Bönnighaus.

Aus der burlesken Schwarzgeld-Produktion wurde bald eine hektische Achterbahnfahrt. Die Preise für Benzin und Heizöl auf dem Rotterdamer Markt kletterten in astronomische Höhen. Goldbach war gezwungen, die Spitzenpreise zu bezahlen, wollte aber seine Kampfpreise an der Zapfsäule nicht aufgeben. Letztlich verscherbelte er Benzin unter Wert. Die Rettung waren die 44 Pfennig Mineralölsteuer, die der Autofahrer pro Liter mitbezahlte, die aber der Unternehmer aufgrund der Gesetzeslage nicht sofort an den Staat abführen musste. Diesen zinslosen Kredit reizte der in Liquiditätsengpässen steckende Goldbach aus. Sein geschicktes Antichambrieren im Finanzministerium führte zu regelmäßigen Steuerstundungen. Unterstützt wurde er dabei vom früheren Bremer Gesundheitssenator Karl Krammig, Gründer des „Freundeskreises Franz Josef Strauß“, der für ein Beraterhonorar in Millionenhöhe seine guten Kontakte spielen ließ. Selbst das Bonner Finanzministerium unter Hans Matthöfer war dem Strauß-Fan aus Bremen und dem Fußball-Mäzen aus dem Ruhrgebiet hörig. Schließlich sah man in dem größten freien Mineralölkonzern einen nützlichen Trabanten im Kampf gegen die Benzin-Multis und verschaffte ihm sogar um die Jahreswende 1977 /78 einen 18 Millionen Mark Kredit als Staatsbürgschaft.

Goldbachzentrale mit Verwaltungsgebäude, Tanklager und Tankstelle in Wanne-Eickel, 1979 (Foto: Peter Monschau/Archiv Ralf Piorr)

„Goldbach galt im Ministerium als Heilige Kuh“, sagt Paul Postulka von der Zollfahndung Dortmund. Schon seit Jahren hatte seine Behörde die Machenschaften des „Ölkönigs“ im Visier, aber auf „Weisung von oben“ durfte man nicht ermitteln. Den entscheidenden Durchbruch lieferte dem Zollfahnder schließlich Ferdinand Bönninghaus, der 1976 zum „Bauernopfer“ geworden war. Goldbach hatte gegenüber den Behörden große Verlustrnengen an Benzin eingestehen müssen und daraufhin – als Alibi – 32 Mitarbeiter wegen Kraftstoffdiebstahls entlassen. „Ich wäre bei Goldbach alt und grau geworden. Die Arbeit war gut bezahlt, Vorschriften wurden recht lax gehandhabt und Alkohol am Arbeitsplatz war keine Seltenheit“, erzählt Bönninghaus und macht aus seinen Motiven keinen Hehl. „lch habe den Laden hochgehen lassen, weil man mich feuerte“. Dem ehemaligen Leiter des Tanklagers gelang es, die originalen Tankkarten in die Hände zu bekommen, die er Paul Postulka zuspielte. Damit war die Beweislast gegen Goldbach erdrückend geworden.

Am Morgen des 24. Juli 1979 führten Beamte der Zollfahndung auf dem Geschäftsgelände an der Heerstraße eine Razzia durch. Geschäftsunterlagen wurden beschlagnahmt, leitende Angestellte verhaftet. Erhard Goldbach floh und wurde per Interpol und „Aktenzeichen XY“ gesucht. Im Februar 1980 gelang seine Festnahme. Fünf Jahre später erfolgte seine Verurteilung. Der Traum vom Ölkönig und dem billigsten Sprit aller Zeiten endete mit mindestens 360 Millionen Mark hinterzogenen Steuern und einer Verurteilung zu zwölf Jahren Haft. Bis heute der größte Steuerskandal in der Geschichte der Bundesrepublik.

Erhard Goldbach starb im Jahr 2004, das von ihm unterschlagene Geld wurde bis heute nicht gefunden.

Ralf Piorr1

Anmerkung

  1. Ralf Piorr, Der „Robin Hood der Zapfsäule“, In: Disco, Willy & Flokati, Seiten 10 bis 14, Klartext Verlag, Essen 2019. ISBN 978-3-8375-2014-9. Veröffentlichung von Text und Bildern auf dieser Seite mit freundlicher Genehmigung des Autors. ↩︎