Interview mit einem bedeutenden Jazz-Musiker aus Wanne-Eickel
Wie bist Du zum Jazz gekommen?
Ich habe einmal Charlie Parker im Radio gehört, das war zur Fußballweltmeisterschaft 1954. Die Musik hat mich so fasziniert und das war damals der Einstieg. Ich kannte ältere Leute, die auf Swing oder Old Time Jazz standen. Das einer auf Charlie Parker sofort einstieg, und nicht die Ochsentour macht, das war selten.
Was ist denn die Ochsentour für einen Jazz-Musiker?
Die Ochsentour ist die musikalische Entwicklung vom Old Time Jazz über Swing und Blues zum Bebop, der eine ganz komplizierte Angelegenheit ist. Dass jemand sofort auf Bebop einsteigt, ist äußerst selten. Nach der Hausmusik erhielt ich praktisch eine klassische Ausbildung. Der Bruder sollte Geige spielen, ich Klavier. Durch einen Zufall erhielten wir nach dem Zweiten Weltkrieg ein Klavier, das wir aus einem zerbombten Haus an der Gabelsberger Straße aus dem zweiten Stock organisierten. Das Klavier wurde gestimmt und dann wurde musiziert. Die Hausmusik konnte mich aber nicht befriedigen. Auf allen Radiostationen liefen bei den Jazz-Sendungen Dixieland und Swing, für die sich die Mehrheit der Jugendlichen interessierte.
Wie sah Eure Arbeit im Jazzclub aus?
Es wurden regelrechte Vorträge gehalten. Für die Clubtage verschickten wir richtige Programme. Die Diskussionen und Vorträge ging man richtig theoretisch an. Das musste ja auch alles sein, denn bei vielen Leuten fehlte völlig das Hintergrundwissen zum Jazz.
Wie erklärt man sich eigentlich diese Jazz-Begeisterung der fünfziger Jahre, auch hier im Revier mit seinem proletarischen Milieu
Das ist ganz einfach, weil Jazz die erste echte Abenteuermusik war. Die Nazi-Zeit brachte das totale Jazz-Verbot. Die Leute schmachteten nach Jazz-Musik. Sie konnten früher Jazz nur heimlich hören, unter Strafandrohung. Die Soldaten der britischen Rheinarmee, die z.B. in Dortmund stationiert waren, brachten den Jazz mit. Die richtigen Zentren befanden sich weiter südlich, Mannheim, Frankfurt und Heidelberg. Allein der Amis wegen ging dort die Post ab.
Wie reagierten die Erwachsenen auf die Jazz-Enthusiasten?
Ich bin Bergmannssohn. In der Familie, im Stadtteil, an der Arbeitsstätte, überall waren wir die schwarzen Schafe. Natürlich hatten wir auch wahnsinnige Komplexe, weil wir anfangs dieses Selbstbewusstsein nicht hatten. Ich war mit den Kramers befreundet, mit den Söhnen des Studienrates Kramer. Dort konnte ich auf dem Flügel spielen. Das war schon was: Jazz auf Studienrat Kramers Flügel. Papa Kramer hörte dann angestrengt zu. Wenn ich bei meinen Eltern das gleiche spielte, kriegte ich sofort einen hinter die Löffel und das Klavier wurde mir auf die Finger zugeklappt. Das war der Unterschied. Früher mussten wir den Leuten hinterherlaufen, damit wir irgendwo öffentlich spielen konnten. Heute kommen die Leute und fragen, ob man nicht mal da und da spielen kann. Wir wollten einmal im städtischen Saalbau ein großes Konzert geben. Damals bekamen wir den Flügel nicht, der auf der Bühne stand. Nein, das würde nicht gehen, hörten wir, der sei nur für klassische Musik. Kurz vor dem Konzert mussten wir dann über Friedrich Steffen und Heinrich Koch intervenieren. Der Hausmeister musste uns an den Flügel dran lassen.
Welche musikalischen Ansprüche habt Ihr als Jazz-Musiker gehabt?
Wir haben in einer Gaststätte an der Stöckstraße im hinteren Gesellschaftszimmer geprobt. Zu dieser Zeit spielte bei uns ein Musiker aus Passau, den es auf die Zeche Shamrock als kaufmännischen Angestellten verschlagen hat. Der brachte aus der amerikanischen Besatzungszone nach 1945 richtig schöne Platten mit. Die waren zwar alle noch mit Nägeln bespielt worden, aber richtige Jazz-Schallplatten aus Amikreisen. Das war damals eine Rarität. Auf jeden Fall haben wir uns jahrelang zurückgezogen, für uns geprobt. Irgendwann spielten wir dann am Samstag zum Tanz auf, fürs Heizungsgeld oder für Freibier.
Als wir dann 1958 bei Glenn Buschmann lernten, sagte er nach ein paar Wochen, er könne uns nichts mehr beibringen. Wir müssten jetzt irgendwie selber weitermachen. Zunächst spiele ich mit einer Gruppe in Gelsenkirchen zusammen. Man hatte überall reingerochen. Jeder spielte mit jedem zusammen, wo es die Möglichkeit gab. Das ist heute in der Szene genauso.
1959 spitzte sich die Entwicklung in der Wanne-Eickeler Jazz-Szene zu. Um Conny Wiludda scharrte sich eine Gruppe von Jazz-Fans, die die Räumlichkeiten der Jazz-Wanne am Bahndamm in Wanne-Süd herrichteten.
Ich bin erst bei der Eröffnung zu dieser Gruppe gestoßen. Es gibt einige notorische Besserwisser, die behaupten, ich sei nicht von Anfang an dabei gewesen. Conny Wiludda lernte ich Ende der 1950er Jahre kennen. Conny war ein begnadeter Musiker. Alles, was der anpackte, gelang ihm auch. Er spielte Klavier, baute sein eigenes Vibraphon, schaffte sich einen Bass an. Von zu Haus spielte er Geige und Klavier. Conny konnte malen: Es war gelernter Anstreicher. Er übernahm die ganze phantastische Ausgestaltung der Räume der Jazz-Wanne.
Wer waren außer Glenn Buschmann Eure musikalischen Paten?
Achim Zeus war in den fünfziger Jahren mein großes Vorbild. Ernst Dittke aus Gelsenkirchen stieß nach der Gründung der Jazz-Wanne zu uns. Zu Georg Maycock nach Düsseldorf hatten wir ebenfalls gute Kontakte. Kenny Clark und Bud Powell erlebten wir in Paris, als sie von Amerika nach Paris gingen. Nach Paris, zum weltberühmten, legendären ´Blue Note´sind wir regelmäßig gewallfahrtet.
Welche Rolle spielte die städtische Kulturpolitik für die Entwicklung der Jazz-Wanne ?
Hier in der Provinz: Muff. In anderen Städten waren die Jazzer schon weiter. In Düsseldorf lief schon seit Jahren das Amateur-Festival. In Dortmund förderte man den dortigen Hot-Club. In Wanne kam das immer erst zehn Jahre später an. Ja, schon damals ist das so gewesen. Die Stadtverwaltung machte uns massiv Auflagen. Wir hatten nur zwei Toiletten, die nicht fein säuberlich nach Männlein und Weiblein getrennt waren. Wir sollten das ändern. Ich teilte der Verwaltung mit, dass beim Ausgleichsamt für fünfzig Angestellte auch nur zwei Toiletten zur Verfügung standen. Und mit solchen Kleinigkeiten wollten die an uns ran. Das klappte aber nicht, weil wir ein Privatclub waren. Wir verkauften nur zum Selbstkostenpreis. Für die Stadt ging das nicht so einfach. Das war so ein erster Club, der einfach macht, was er will und noch nicht einmal die Polizeistunde einhält. Das geht einfach nicht. Das konnte kein Mensch kapieren. Am Ärger mit den Nachbarn machte die Stadtverwaltung alles fest.
Wie lange liefen denn Eure Sessions so ab?
Die Sessions liefen die ganze Nacht durch. Albert Mangelsdorff gastierte erst am Abend in Recklinghausen in de Vestlandhalle. Gegen 12.00 Uhr nachts kam er erst in der Jazz-Wanne an. Dann konnte es passieren, dass wir bis morgens acht Uhr durchspielten, solange wir Lust hatten. Das ist öfter passiert, eben weil diese Leute ohne Gagenforderungen spielten.
Kann man sagen, dass die Jazz-Wanne in den frühen sechziger Jahren so etwas wie ein Zentrum der Jazz-Musik im Kohlenpott war?
Ja, das kann man sagen. Nach der Jazz-Wanne, nach der Clubphase des Jazz, hat sich keiner mehr selbständig gemacht. Die kommen alle her und sagen, Stadt gib uns Zuschüsse. Doch dann kommt die Stadt mit ihren Auflagen, genau wie im Musikbunker an der Westfalenstrasse. Wenn solche Treffs existieren, kann man nicht die Leute um 22 Uhr rausschmeißen. Solche Musiktreffs sind alles totgeborene Kinder. Durch die Engländer und durch die Dortmunder Clique wurde die Jazz-Wanne überregional bekannt. Aus Wanne waren relativ wenig Leute da. Aus Bochum, Dortmund, Essen strömten viele Besucher am Abend da rein. Da kanntest du überhaupt keinen hier aus Wanne, in der Jazz-Wanne….
Norbert Kozicki
Quelle:
„Als wenn Elvis nach Wanne käme…“, Banana Press Verlag Herne, 1988