Wilhelm Braun (Künstler)

Ein fast vergessener Künstler

Jeder in Wanne-Eickel kennt das Dreimännereck, doch kaum jemand weiß, dass die Skulpturengruppe von dem ehemaligen Gewerbeoberlehrer Wilhelm Braun geschaffen wurde. Bei der Beschäftigung mit dem Künstler stellte sich schnell heraus, dass sein Leben und Werk in Vergessenheit geraten sind. Recherchen in den Archiven der Städte Herne, Aachen, Dortmund, Düsseldorf und Krefeld sowie im Herner Emschertal-Museum lieferten Teilerfolge. Hingegen erbrachten Nachforschungen sowohl im Archiv der Düsseldorfer Kunstakademie als auch in den Museen Hagen, Münster, Recklinghausen und Witten keine Hinweise auf Brauns künstlerische Aktivitäten. Ein Glücksfall war die Kontaktaufnahme zu einem Enkel Brauns, der zahlreiche Originale in seinem Besitz hat und mit wichtigen Informationen helfen konnte, Leben und Werk des Künstlers aus dem Dunkel der Vergangenheit ans Licht der Öffentlichkeit zu bringen.

Der Künstler

Wilhelm Braun wurde am 07. Oktober 1880 in Uerdingen (heute: Krefeld-Uerdingen) geboren. Nach der Volksschulzeit besuchte er die Kunstgewerbeschule in Aachen, an der er Zeichen- und Modellierunterricht erhielt. Ab 1895 begann die dreieinhalbjährige praktische Ausbildung zum Bildhauer in verschiedenen Ateliers, insbesondere bei den Aachener Bildhauern Carl Esser und Großmann, aber auch bei Prof. Carl Krauss an der Technischen Hochschule Aachen. 1902 bekam er eine leitende Stellung im größten Atelier Aachens bei dem Bildhauer, Modelleur und Stuckateur Johannes Müller. Zu seinen Tätigkeiten gehörte der Entwurf von Bildhauerarbeiten sowie Vor- und Nachkalkulationen.

Von 1906 bis 1909 besuchte er erneut die Kunstgewerbeschule Aachen, anschließend die Königliche Kunstakademie zu Düsseldorf von 1909 bis 1915. Hier übertrug man ihm nach sechs Semestern Bildhauerklasse mit Ernennung zum Meisterschüler die selbstständige Ausführung von Aufträgen im eigenen Atelier. Seine Tätigkeit in der Akademie und im Atelier wurde durch die Teilnahme am Ersten Weltkrieg unterbrochen. Vermutlich 1920 zog er ins Ruhrgebiet um, zunächst nachHörde (heute: Dortmund-Hörde), wo er im gleichen Jahr eine Anstellung als Zeichenlehrer an der Gewerblichen Fortbildungsschule bekam. Wahrscheinlich erweiterte er seine pädagogischen Fähigkeiten auf autodidaktischem Wege und vervollständigte diese mit einer Abschlussprüfung am Städtischen Gewerbelehrer-Seminar in Düsseldorf. Seine Berufstätigkeit als Gewerbelehrer setzte er ab 01. Oktober 1924 an der Gewerblichen Berufsschule in Wanne fort, wo er Fachkunde und Zeichnen unterrichtete. Zusätzlich gab er zeichnerische Abendkurse. Bereits im Mai 1925 führte er die Berufsbezeichnung „Gewerbeoberlehrer“. Vom 1. November 1929 bis 01. Februar 1930 hatte er außerdem am Realgymnasium Wanne Vertretungsstunden mit Zeichenunterricht übernommen. Darüber hinaus war er weiterhin als Bildhauer tätig, was seine öffentlichen und privaten Arbeiten, Ausstellungsbeteiligungen sowie sein Engagement in der kulturellen Öffentlichkeit zeigen. Das beachtliche Themenspektrum reicht von Porträts über sakrale Kunst bis zu öffentlichen Aufträgen wie etwa das Dreimännereck.

Wilhelm Braun starb am 02. Mai 1945 in Wanne-Eickel.

Der Kunstverein Wanne-Eickel e. V.

Im April 1924 wurde die Ortsgruppe WanneEickelRöhlinghausen der Vereinigung Westfälischer Künstler und Kunstfreunde aus „inniger Sorge um das bisher ach so müde kulturelle Leben in unseren Gemeinden“ gegründet. Bereits drei Monate später wurde in der Aula des Städtischen Lyzeums Wanne-Eickel eine „Große Kunstausstellung“ präsentiert, an der sich auch Wilhelm Braun mit zwei Werken beteiligte. Dr. Schönewolf schreibt in der Wanne-Eickeler Zeitung vom 30. Juli 1924: „Mit Freuden begrüßen wir unseren kürzlich gewonnenen Bildhauer Braun (Wanne), der uns wirklich mit prächtiger Plastik überraschte. Sein Gänsemann ist wohl das anziehendste Stück der Ausstellung. Er ist nicht das, was man modern nennt. Aber der humoristische Gedanke dieser wirklich raumbildenden Figur, deren Linienspiel in Form und Ausdruck allgemein anzieht, macht ihn zum Liebling aller Besucher. Braun liebt das Liebliche, Weiche, Unschuldig-naive und Humorvolle. Daher glücken ihm auch die Kinder-Arbeiten ausgezeichnet. Während die Holzplastik „Eva“ etwas zu wenig Charakter hat, gelang ihm die kleine Kinderbronze ganz vortrefflich. Auch das Kinderporträt in Keramik und die Bronzereliefs verraten die liebevolle Hand des Kinderfreundes.“

Die Gründung des Kunstvereins Wanne-Eickel e.V. wurde am 7. Oktober 1924 im großen Saal des Kurhotels beschlossen. In den folgenden zwei Jahren fanden – immer mit Werken von Braun – weitere Ausstellungen statt: Ende November 1924 wiederum in der Aula des Lyzeums, im April 1925 die Frühjahrskunstausstellung im Gemeindesaal Eickel, im Juli 1925 die Ausstellung für Kunst, Gewerbe, Handel, Industrie und Hygiene in der Stadthalle und im Dezember 1926 im Kurhotel die Weihnachtsausstellung der „Gilde werktätiger Künstler“ Wanne-Eickel. In ihrer Ausgabe vom 03. Oktober 1934 berichtet die Wanne-Eickeler Zeitung: „Die Künstlervereinigung ‚Die Gilde‘ Wanne-Eickel wurde am 03. Mai 1934 gegründet. Sie ist der Zusammenschluss ortsansässiger, insbesondere junger, künstlerischer Talente, deren Begabung und Fähigkeiten in einer freien Arbeitsgemeinschaft gefördert werden sollen. Die Mitgliedschaft kann von jedem Volksgenossen erworben werden, der die Malerei, Plastik, Graphik, Architektur oder das Kunstgewerbe als Lebens- oder Lehrberuf ausübt. Er muss jedoch Mitglied des Kunstvereins Wanne-Eickel sein […].

Die Arbeit der Künstlergilde erstreckt sich über folgende Arbeitsgebiete: Förderung der Mitglieder durch Vorträge über alte deutsche Kunst, über das Wesen der neuen Kunst, Zusammenstellung von geeigneten Lichtbildervorträgen, insbesondere zum Vergleich der verschiedenen Kunstrichtungen (die Vorträge werden nur mit Genehmigung des Gauschulungsleiters gehalten), Förderung der besonders talentvollen Jugendlichen als zukünftige Träger deutscher Kunst, Weiterbildung durch Arbeitsgemeinschaften, Förderung der besonders talentvollen Jugendlichen als zukünftige Träger deutscher Kunst, Veranstaltungen von Ausstellungen in Malerei, Plastik, Graphik, Architektur und Kunstgewerbe, Ausarbeitung von Vorschlägen zur Erhaltung und Verschönerung des Stadt- und Heimatbildes, künstlerische Mitarbeit an den Veranstaltungen der NS-Kulturgemeinde und des Kreisringes des Reichsverbandes Volkstum und Heimat […]. Führer der Künstlergilde ist der Bildhauer Wilhelm Braun […]“. An der Kunstausstellung anlässlich der Heimat- und Volkstumswoche 1936 im Kurhaus beteiligte sich Braun – er war zugleich Ausstellungsleiter – mit vier Werken.

Die Westfälische Landeszeitung Rote Erde berichtet am 13. Juli 1936: „Da sind zunächst die Plastiken des Bildhauers und Gewerbe-oberlehrers Braun, der als alter Praktiker sein Können durch ein Studium in Düsseldorf vertiefte. Von wuchtiger Eigenart zeugt seine Hitlerbüste. Besonders gut gefällt uns sein kraftvoll und breitbeinig mit der Ramme dargestellter Pflasterer und die stählerne Gestalt des Pferdebändigers, zu der die zarte, herbe Anmut nordischer Frauengestalten in reizvollem Gegensatz steht.“ Im gleichen Jahr wurde Oberbürgermeister Günnewig zum Vorsitzenden und Wilhelm Braun, der inzwischen Mitglied der Reichskammer der bildenden Künste war, zum stellvertretenden Vorsitzenden des Kunstvereins gewählt. Die Sprache der Zeitungsartikel verrät es: Auch Wilhelm Brauns Arbeiten waren, wie die so vieler anderer, für den Nationalsozialismus zu vereinnahmen; Braun hat sogar, wie die folgende Werkaufstellung zeigt, der Kunstpropaganda gedient. Über die näheren Umstände ist allerdings nichts bekannt.

Werke

Von Brauns künstlerischem Schaffen zeugen zahlreiche Werke . Leider ist der Verbleib eines großen Teils seiner Arbeiten, von denen nur Fotos existieren, nicht mehr zu klären gewesen. Dennoch ist es möglich, seine Werke exemplarisch Kunstgattungen zuzuordnen.

Malerei

Zeichnungen (zum Teil coloriert):

12 Blätter Anatomische Studien (undatiert), Unbekannter Soldat (27.4.1915), Schlafstube des Soldaten W. Braun (26.7.1915), Kanonier Meyer (1916), Stellung La Bassée (1916), Sanitäts-Unterstand 10/57 La Bassée (März 1916), Drahtzieher (13.3.1916), Feldlazarett I 7.A.K. Kriegsfeldwebel Seclin Rötzel (1916), Gefr. Matthaei Hamburg-Altona Rolandstr. 15 Feldlaz. 5. 33 Romange (4.9.1916), Ingeborg (30.12.1929)

Aquarelle:

Begegnung  von Mann und Frau (1914), Stillleben (1931), Bergwerk (1934)

Ölgemälde:

Selbstbildnis (1935)

Bronzearbeiten

Ingeborg (1927), Hans Jürgen (undatiert), Stadtplakette mit Wanne-Eickeler Stadtwappen  in Silber und Bronze (1934)

Bronzearbeit ‚Ingeborg‘, Foto Stadtarchiv Herne

Bildhauerische Arbeiten

Aus Holz:

Der Gänsemann (1919), Eva (1921), Gänsehirt (1921),  Drei Musikanten (vor Ende Juli 1924), Christus am Kreuz (vor Juli 1925), Hitlerbüste (vor Mitte Juli 1936),  Bergmann (vor Mitte Juni 1937)

Aus Ton, Gips oder Marmor:

Statuette der Tochter Lotte (1920), Büste der Tochter Lotte (1920), Eva (1921), Frauenakt (1921), Weiblicher Torso (vor Ende April 1925), Die Kritik (vor Mitte Dezember 1926), Der Tanz (vor Mitte Dezember 1926), Ingeborg (1927), Krippenfiguren (undatiert), Sturmbannführer W. Appelbaum Wanne-Eickel (1933)       

Aus Stein:

10 Wappen an den Eingangsportalen des Waldfriedhofs mit folgenden Motiven: Wildpferd, drei Ähren des Bickerner Wappens, altes Cranger/ Eickeler Wappen, Amtmann Weiberg, Pflugschar, Grubenlampe, Eisenbahnrad mit Flügeln, Segelschiff, Zahnrad, leeres Feld für das zukünftige Stadtwappen (1924), Lutherbüste (1934),

Im folgenden soll auf Brauns bekanntestes Werk genauer eingegangen werden.

Das Dreimännereck

Mit der Erweiterung der Herner Straße um 13 Meter im Jahre 1927 wurde eine Stützmauer des Bahndammes erforderlich. Die Putzarbeiten konnten im Juli abgeschlossen werden. Dennoch vermittelte dieser Ort ein recht trostloses Bild. Aus diesem Grunde hatte die Deutsche Reichsbahn im Mai 1927 einen Wettbewerb zur Verschönerung der gesamten Bahnanlagen ausgeschrieben. Den Zuspruch erhielt der Vorschlag von Gewerbeoberlehrer Wilhelm Braun,  der seine Idee in die Tat umsetzte, drei etwa 1,70 Meter hohe lebensgroße Skulpturen aus wetterfestem Muschelkalk zu gestalten: Bergmann, Eisenbahner, Schiffer. Die drei Figuren, Symbole der wirtschaftlichen Entwicklung Wanne-Eickels, wurden in der Nacht zum 16. August1927 an der Ecke Herner Straße, Gelsenkirchener Straße (heute: Hauptstraße, Ecke Berliner Straße) errichtet.

Wenige Tage nach der Aufstellung hatten Volksmund und Presse schon einen Namen gefunden: „Drei-Männer-Ecke“. Wie sahen diese Skulpturen aus? Der Bergmann trägt die Grubenlampe in der linken, die Hacke in der rechten Hand. Symbol des Schienenverkehrs ist der Eisenbahner, dargestellt in einem Uniformrock, ein Flügelrad in der rechten Hand haltend. Der Schiffer im Ölanzug mit dem Südwester auf dem Kopf hält die Hand am Prahm. In einer Glosse der Wanne-Eickeler Volkszeitung mit der Überschrift „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten“ vom 27. August 1927 heißt es unter anderem: „[…] Der Künstler hat den heutigen Eisenbahnerstand treffend charakterisiert. Die abgespannten Züge, die schlaffe Haltung deuten einen Beamten an, der unter der Last des Dawes-Gutachten seufzt, das in Gestalt von Dienstdauervorschrift, Arbeitszeitgesetz, Abbau und liebenswürdiger Behandlung auf seinen Schultern lastet. Es ist wohlgemerkt ein Beamter der unteren Besoldungsgruppen, der voller Verzweiflung das Wahrzeichen des Eisenbahnbetriebes, das Flügelrad, unter dem Arm fortträgt, da für dasselbe auf der heutigen, ‚kaufmännischen‘ Eisenbahn kein Platz mehr ist. Darum kehrt er auch dem Bahnhof den Rücken zu und will so noch andeuten, dass heute kein Beamter mehr mit Lust und Liebe zum Dienst geht […]. Die mittlere Figur ist ein Bergmann. Er sieht halb hoffnungsfroh, halb zweifelnd nach Norden, wohin der Zug der Industrie, besonders des Bergbaus, führt. Er erhofft dort günstigere Arbeitsverhältnisse und bessere Lebensbedingungen. Daß es ihm, angesichts der vielen unerfüllten Versprechungen schwer wird, daran zu glauben, zeigt der in seinem Gesicht ausgedrückte Zweifel […]. Der dritte Mann ist ein Kanalschiffer, der unsern Hafen verkörpern soll. Die Kleidung zeigt, daß der Hafen allen Stürmen gewachsen ist und genau wie der Schiffer allem mit Ruhe entgegensieht. Das um einen Baumstumpf geschlungene Seil soll dartun, dass wir den Hafen festhalten wollen in unserm Besitz, dass er für alle Zeiten unauflöslich mit der Stadt Wanne-Eickel verbunden ist […]“.

Aber nicht nur das Motiv war eng mit der Stadt verknüpft: Modell für die Körper hatte der Student Emil Schrage, später Turnlehrer an der Berufsschule und Schulleiter der Gustav-Adolf-Schule,  gestanden.

Im Zweiten Weltkrieg wurden alle drei Figuren des Dreimännerecks beschädigt. Nachdem die Deutsche Bundesbahn wegen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit die Entfernung der beschädigten Skulpturen gefordert hatte, wurden diese am 9. Juni 1970 demontiert, vier Jahre später von dem Münsteraner Bildhauer und Restaurator Günther Stuchtey restauriert und – nach längerer öffentlicher Diskussion – erhielten sie Ende Juni 1974 ihren neuen Platz vor dem Heimat- und Naturkundemuseum Wanne-Eickel an der Unser-Fritz-Straße. Die erneute Debatte über den Standort beendete die Bezirksvertretung Wanne Anfang 1989 mit dem Beschluss, dass Bergmann, Eisenbahner und Schiffer am Museum bleiben sollen und dass im Bereich des „Dreimännerecks“ eine Seilscheibe zur Erinnerung an den Bergbau errichtet wird.

Die Drei-Männer-Repliken vor dem Hauptbahnhof, Foto Stadtarchiv Herne

Nach der Neugestaltung des Bahnhofsvorplatzes, heute Heinz-Rühmann-Platz, fasste der Rat der Stadt Herne am 6. November 2001 den Beschluss, die Verwaltung zu beauftragen, folgende Maßnahme durchzuführen: Aufstellung von Abgüssen oder Abbildern der Figuren des ‚Drei-Männer-Ecks‘. Anlässlich einer Ortsbesichtigung durch die Mitglieder des Kultur- und Bildungsausschusses und der Bezirksvertretung Wanne am 14. Februar 2002 nach einer Modellpräsentation wurde die Idee zur Platzgestaltung realisiert. Die Repliken zieren seit August 2003 den Bereich vor dem Hauptbahnhof.1

Manfred Hildebrandt, Jürgen Hagen

Anmerkung

  1. Erstveröffentlichung des ursprünglichen Textes: Wilhelm Braun, ein fast vergessener Künstler, Manfred Hildebrandt, Der Emscherbrücher, Band 12 (2003/04), Sammler, Künstler und Autoren, Seiten 53 bis 60, herausgegeben von der Gesellschaft für Heimatkunde Wanne-Eickel e. V., Herne 2003. ↩︎