Die wesentlichste Veränderung in der Parteienlandschaft infolge der Novemberrevolution von 1918 bildete die Gründung der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD), deren Gründungsparteitag auf dem Höhepunkt der Revolutionswirren vom 29. Dezember 1918 bis zum 1. Januar 1919 in Berlin stattfand. An diesem Gründungsparteitag beteiligte sich auch ein Delegierter aus Herne, der Bergarbeiter Jakob Konieczny. Drei Tage nach der Rückkehr aus Berlin riefen Jakob Konieczny und seine Genossen zur ersten öffentlichen Versammlung der KPD-Spartakusgruppe in Herne auf. Die zentrale Frage dieser Veranstaltung lautete: Was will Spartakus? Eine Woche später organisierte die Herner Ortsgruppe der KPD ihre zweite öffentliche Veranstaltung, in der die Kommunisten ihre antiparlamentarische Position deutlich machten. Zu dieser Zeit herrschte in der KPD die Mehrheitsmeinung vor, dass sich eine revolutionäre Partei nicht an parlamentarischen Wahlen beteiligen sollte.
Es war die Zeit der schweren politischen Auseinandersetzungen zwischen den fortschrittlichen und konterrevolutionären Kräften im Nachgang zur Novemberrevolution. Die Berliner Arbeiter führten Massendemonstrationen und den Generalstreik durch, bis diese Aktionen von Noske (SPD) und den reaktionären Freikorps blutig niedergeschlagen wurden. Nach der Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht ging eine Welle des Protests und der Enttäuschung durch die junge Republik. Im Ruhrgebiet kam es zu Absetzungen von Arbeiter- und Soldatenräten.
Zwischen dem 7. und 12. Februar 1919 kam es in der Gemeinde Wanne zu weiteren öffentlichen Versammlungen der KPD. Am Freitagnachmittag, den 7. Februar 1919, sprach der Gelsenkirchener Kommunist Franke zum Thema „Die revolutionären Aufgaben des Proletariats“. Die örtliche Presse berichtete, dass diese Versammlung stark besucht war. Der Redner agitierte gegen die Sozialdemokratische Partei (SPD) und die von ihr getragene Reichsregierung unter Friedrich Ebert und Philipp Scheidemann. Sie hätten das Proletariat verraten, lautete der Hauptvorwurf von Franke an die Adresse der SPD. Weiterhin distanzierte er sich von jeglichem „Staatssozialismus“ und forderte den „Sozialismus von unten“.
Diese Versammlungen wurden vom Wanner Scherenschleifer Bernhard Vervoort einberufen, der vormals SPD-Mitglied war. Als weitere führende Funktionäre der Wanner KPD traten in Erscheinung: der Bergmann Max Turzinski, der spätere Bezirksleiter der „Allgemeinen Bergarbeiter Union“ in Wanne, der Kellner Gustav Janczyk, der Schlosser Heinrich Dörendahl und der Bergmann Johann Sokolowski. Von einer Gründung der KPD in der selbständigen Gemeinde Eickel war zu diesem Zeitpunkt nichts bekannt.
Die Frage nach der sozialen Zusammensetzung der Ortsgruppen der KPD ist praktisch identisch mit der Frage nach Ursachen der Radikalisierung innerhalb der Arbeiterklasse während der Novemberrevolution. Eins lässt sich feststellen: die Mehrheit der Gründungsmitglieder KPD kam in der Regel nicht aus den Reihen der bestehenden Arbeiterparteien SPD und USPD. Das von der SPD herausgegebene Bochumer Volksblatt stellte fest: „Leider war das eine festzustellen, dass unter den Soldatenräten und Sicherheitsmannschaften wenig geschulte Sozialisten sich befinden. Die Masse der Leute bestand aus Soldaten, die dem Sozialismus bis zur Revolution fernstanden. Immerhin bekundeten aber diese Leute, dass sie gewillt waren, die Errungenschaften der Revolution zu sichern. Sie legten in politischer Betätigung einen großen Eifer an den Tag.“
Besonders die Gruppe der Soldaten und der polnischen Bergarbeiter wurden von dem Radikalisierungsprozess erfasst. Beide Gruppen weisen das gemeinsame Merkmal der politischen Sozialisation auf: Ihre Distanz zur alten Sozialdemokratie. Bis zum Vereinigungsparteitag der KPD mit der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei (USPD) blieben die Kommunisten eine unbedeutende politische Gruppierung auf nationaler Ebene. Die Geheimdienstberichte aus dem Jahre 1919 sprechen von geringen Mitgliedszahlen der KPD. In der Gemeinde Wanne kandidierte die Partei bei den National- und Kommunalwahlen nicht. In Herne erzielte die KPD bei den Kommunalwahlen im Februar 1919 insgesamt 780 Stimmen oder 3,6% aller Stimmen. Diese kleine Partei der Kommunisten entwickelte sich während der Jahre der Weimarer Republik in Herne und in Wanne-Eickel bis zu den letzten freien Reichstagswahlen am 6. November 1932, vor der Machtübertragung auf die Hitler-Faschisten, zur stärksten Partei in Herne: die KPD erzielte 31,3% aller Stimmen, in Wanne-Eickel 30,6%. Die NSDAP erreichte vergleichsweise in Herne 20,2%, in Wanne-Eickel 26,5% aller abgegebenen Stimmen. Weit abgeschlagen landete die SPD bei 14,8 % in Herne und bei 12,6% in Wanne-Eickel aller abgegebenen Stimmen.
Interview mit Heinrich Hoff
Heinrich Hoff, ehemaliger Organisationsleiter der KPD in Wanne-Eickel, geboren am 11.8.1897 und 1990 verstorben, Schlosserlehrling während des großen Bergarbeiterstreiks von 1912 bei Baum in Herne, Soldat im Ersten Weltkrieg, Kämpfer in der Roten Ruhrarmee gegen den Kapp-Putsch 1920, etliche Funktionen in der kommunistischen Bewegung im Stadtgebiet von Wanne-Eickel, Stadtverordneter der KPD seit 1926, 1933 Inhaftierung durch die Nazis, gegen Ende des Zweiten Weltkriegs zum Soldaten gemustert, nach Kriegsende Betriebsrat auf der GAVEG in Holsterhausen bis 1960, 1952 Austritt aus der KPD und Eintritt in die SPD, Mitbegründer der Siedlergemeinschaft Sonnenblumenweg, Genossenschaftler der ersten Stunde äußerte sich Anfang der 1980er Jahre in einem Interview zur Entwicklung der KPD.
Herr Hoff, wie wurde man Mitglied der KPD in den 1920er Jahren?
Ab 1923 ging das hier in Eickel mit der Partei rund. Zu der Zeit arbeitete ich damals auf dem Hüller Werk in Gelsenkirchen. Viele, viele Kollegen kamen seiner Zeit aus der Kolonie Tiefenbruch- und Rolandstraße in Röhlinghausen. Es war die Zeit der großen Streiks für den Achtstundentag. Mensch, da wurde bald überhaupt nicht mehr richtig gearbeitet. Über ein halbes Jahr haben wir gestreikt, für mehr Urlaub und für den Achtstundentag. Und dann kam die Ruhrbesetzung durch die Franzosen 1923. Einmal war ich hier in Eickel in der Kneipe Heckert, wo ich ein paar Schulkollegen traf. Damals war ich oft wegen einer vernünftigen Wohnung zum Amt Eickel unterwegs. Die Schulkollegen fragten mich, ob ich zu einer Versammlung der KPD mitkommen wolle. „Heute abend kommt einer vom Bezirk“, erzählten sie mir. Und als ich dort hinkam, waren dort alle Bekannten vertreten, Gustav Drosdat, Mathias Kapala, …und wie sie alle hießen. Diese Versammlung war nur für Eickel.
Auf meiner ersten Versammlung wurde ich sofort als Kassierer gewählt. Zu der Zeit hatten wir in Eickel 52 zahlende Mitglieder. Die hatten aber alle Funktionen gehabt. Fast alle waren Betriebsräte auf den umliegenden Zechen: Zeche Shamrock 3/4, Zeche Hannibal, die Zeche Königsgrube aus Röhlinghausen war noch nicht vertreten. Zur gleichen Zeit hat die Partei in Wanne eine Gruppe des Rotfrontkämpferbundes (RFB) gegründet.
In der Partei kannten wir uns ja alle. Wir waren meistens in der Schule zusammen gewesen oder in den Fortbildungsschulen. Wir kannten uns ja fast alle persönlich. Da kam kein Ungeziefer dazwischen. Später in den Massenorganisationen, wie z.B. dem RFB hatten wir nicht mehr einen solchen Einblick. Zur Blütezeit hatte der RFB in Wanne-Eickel über 1.000 Mann gehabt.
Nachdem ich die Kassierung für ganz Wanne-Eickel nach der Stadtwerdung 1926 bekam, in diesem Jahr wurde ich auch Stadtverordneter, organisierte ich die Partei in Straßengruppen. Jeder hatte da seine drei Vorsitzenden und seinen Unterkassierer. Zellen nannte sich das. Ich hatte zu Hause eine Karte an der Wand, wo alle Zellen eingezeichnet waren. Damals hatten wir so ungefähr 42 Zellen in ganz Wanne-Eickel gehabt. Bei 42 Kassierern gab es schon einmal Probleme, als einige das Geld unterbauten. Dann bin ich hin zu den Leuten: „Menschenskinder, warum rechnen Sie denn nicht ab ?“ Die Frau erzählte: „Mein Gott, gebt dem keine Kassierung mehr, der Kerl ist den ganzen Tag besoffen.“ Tja, das ist auch passiert. Sofort wurde der Betreffende ausgeschlossen. Das Mitgliedsbuch wurde eingezogen. So etwas konnten wir uns früher nicht leisten. Wir hatten eine straffe Organisation, sowohl bei der Partei als auch beim RFB.
Sie hatten innerhalb der kommunistischen Bewegung viele Funktionen gehabt. Wie vertrug sich das alles mit dem Privatleben?
Bis nachts 12 Uhr habe ich manchmal über den Büchern gesessen und bin am Tisch eingeschlafen. Freizeit kannte ich überhaupt nicht, gar nicht, gar nicht. Als Stadtverordneter der KPD war ich Mitglied im Wohlfahrtsausschuss. In dieser Funktion hatte ich einen eigenen Bezirk zu betreuen: Steinstraße, Kurhausstraße, Burgstraße bis zur Dürerstraße. Wenn Leute Anträge auf Wohlfahrtsunterstützung stellten, dann mussten sie zu mir kommen. Wenn sie Bettwäsche oder Bekleidung haben wollten, dann musste ich das überprüfen, ob sie es nötig hatten. Ich habe immer „ja“ geschrieben. Sie hatten die Sachen ja sowieso versteckt. Mir konnten sie nichts vormachen. Wenn ich von der Arbeit kam, dann saßen schon drei oder vier Mann da. Von anderen Bezirken kamen die Menschen auch zu mir. Ich sollte zusehen, was ich durchsetzen konnte, dass sie ihre Unterstützung bekamen. Die waren teilweise Katholiken. Was meinst Du, was ich für Funktionen hatte. Ich war nachher richtig plemmplemm.
Das war damals noch alles schwer. Was meinst Du eigentlich, was das überhaupt für ein Krieg war, der Kampf gegen die Unwissenheit der Menschen. Erstmal die politische Unwissenheit der Menschen und dann der Kampf gegen deine eigene Familie, wenn dein Vater sagte: „Ihr seid doch alles rote Halunken. Deine Söhne werden einmal Verbrecher.“ Die Leute kamen aus der Tradition der Zeiten unter Kaiser Wilhelm. Richtige Untertanen waren die Alten früher.
Wie sah denn die Bildungsarbeit der Partei aus?
Eine richtige Bildungs- oder Schulungsarbeit gab es nicht. Du hast dich selbst gebildet. Die Bücher wurden von der Bezirksleitung aus Essen herübergeschickt. Aber das war ganz selten der Fall. Und du hättest ja auch gar keine Zeit gehabt. Das war ja letztendlich das Unglück. Wenn du dich irgendwo eingesetzt hast, und hast in einer Versammlung ein paar Sätze gesprochen, dann haben sie dich sofort gewählt. Die Mehrheit schwieg und sagte nichts, aber, der die Schnute aufmachte, kriegte sofort Funktionen. Die meisten Funktionäre von uns, von der KPD oder vom RFB, die vorne in den ersten Reihen standen, waren zum Schluss von Weimar überlastet. Wir waren alle total kaputt.
Trotzdem hat keiner die Partei verlassen. Dann kamen die Wahlen, die das aller Schlimmste waren. Eine Wahl nach der anderen. Dann sind wir losgezogen und haben Spenden von den Geschäftsleuten hier in Eickel gesammelt. Besonders die Juden haben uns hier unterstützt. Die haben alle damals etwas gegeben. Wir hatten zum Schluss auch kein Geld mehr, um groß Plakate kleben zu können. Nachts sind wir losgezogen, die Frauen waren mit dabei, weil die Männer morgens um vier Uhr arbeiten mussten. Die Frauen waren schon mitorganisiert. Viel Mühe und Arbeit war das alles. Aber es hat sich doch gelohnt. Vom Unternehmer ist uns nichts geschenkt worden. Alles ist erkämpft worden.
Wie organisierte die KPD die Jugendarbeit in ihren Reihen?
In Eickel gab es eine schöne und gute Gruppe des KJVD (Kommunistischer Jugendverband Deutschlands). Die jungen Kadetten hatten später einen eigenen Spielmannszug gehabt, der aus 28 Genossen bestand. Da waren die jungen Männer drin. Diese Jugendgruppe fasste alle aus Holsterhausen und Eickel zusammen. Das war eine stabile Gruppe. Wenn wir zum 1. Mai herausmarschierten, marschierte der KJVD extra für sich. Z.B. der August Kreft lernte seine Frau beim KJVD kennen. Als mehrere Mädchen zur Jugendgruppe kamen, ging die Possiererei los. Dann kamen Eifersüchteleien auf. Tja, und dann hat das manchmal nicht geklappt. Dann kamen sie zu mir und erzählten mir von ihrem Unglück. Die jungen Bengel hätten sich einmal fast geprügelt. Ich sagte: „Ihr seid wohl verrückt geworden, wegen der Weiber rumprügeln. Ihr seid wohl nicht gescheit. Ihr seid Genossen.“ Mit der Gitarre haben sie Ausflüge zum Hertener Busch gemacht. Dann haben sie auch Kampfmaßnahmen geübt. Wenn man sie zum Plakatkleben und Zeitungsverkauf rief, waren sie da. Das waren prima Jungens.
Wie sahen die 1. Mai-Feiern während der 1920er Jahre aus?
Im Betrieb mussten wir uns abmelden, wenn wir den 1. Mai feiern wollten. Auf einer Liste mussten wir unterschreiben, die hinterher beim Meister eingereicht wurde. Von ungefähr 120 Mann unterschrieben gut die Hälfte. Am anderen Tag ging ein Gerücht durch den Betrieb, dass alle, die den 1. Mai gefeiert haben und in Werkswohnungen wohnen, die Wohnung verlieren. Über 20 Mann zogen daraufhin ihre Unterschrift zurück. Sonst war hier am 1. Mai jede Menge los. Da gab es ein gemütliches Kulturprogramm mit Quetschkommode und Geige. Wir feierten damals bei Buchmann am Eickeler Bruch. Diese Kneipe hatte wie früher fast alle Lokale einen riesigen Saal. Die Röhlinghausener feierten bei Schübbe. Das war da, wo jetzt die Spedition Anton Graf ihr Firmengelände hat. Da ging von Edmund-Weber-Straße ein Feldweg zum Distelkamp rein. Und an diesem Weg entlang zog sich der Saal. Über 1.000 Menschen konnten da feiern. Ach, da kamen die jungen Mütter mit ihren Kleinen an, saßen hinten in der Ecke und gaben ihren Sprößlingen die Brust. Die Wanner Ortsgruppe traf sich in der Wirtschaft Vogelsang, an der heutigen Straßenkreuzung Gelsenkirchener Straße und Bickernstraße. Das war früher ebenfalls eine riesige Bauernkneipe. Bei Vogelsang lief ebenfalls immer ein großes Kulturprogramm mit Musik und allem drumherum.
Nachdem ich 1926 die gesamte Kassierung von der Partei bekam, hatte ich nichts mehr von den 1. Mai-Feiern. An diesem Tag bin ich dann mit dem Fahrrad herumgefahren von Stadtteil zu Stadtteil. Da waren 500 Menschen, dort waren über 400 Menschen… Im großen und ganzen haben bei uns über 2.000 Menschen gefeiert. Die SPD feierte auch, aber gemessen an unseren Veranstaltungen ganz klein. Die SPD-Veranstaltungen waren höchstens von einem Drittel so viel Menschen besucht. Das spiegelte sich auch in der Zusammensetzung der Stadtverordnetenversammlung wider: Die KPD bestand zum großen Teil aus den ortsansässigen Betriebsräten, die ihre Belegschaften hinter sich wussten. Auf der Zeche Shamrock war der Braun und die Brüder Zimmermann. Auf der Zeche Hannibal war der einzige SPD-Betriebsrat, Franz Kruska. Die anderen waren auch alle Mitglieder der KPD. Ebenso auf den Zechen Königsgrube und Zeche Pluto Schacht Wilhelm, in Bickern.
Auch dort wurde gefeiert, in der Kneipe Wilhelmseck an der Ecke Deutsche Straße und Hammerschmidtstraße. In dieser Kneipe feierten nur die Leute aus der Zechenkolonie Hüttenstraße, Mathildenstraße, Schalkestraße. In Unser-Fritz wurde nicht gefeiert, obwohl das meistens die stärkste Ecke der KPD war. Werner Muthmann organisierte die Rote Bühne, unsere eigene Theatergruppe, die am 1. Mai mit ihren Koplec (Sketsche) auftraten. Und danach wurde gemeinsam das Lied gesungen: „Roter Wedding, haltet die Fäuste bereit, haltet die roten Reihen geschlossen, denn unser Tag ist nicht weit.“
Der 1. Mai wurde immer gefeiert, auch während der Erwerbslosenzeit, als weniger Leute zusammenkamen. Aber das ist doch klar, überall fehlten die Groschen. Was haben denn die Arbeiter verdient? Ich hatte 220 Mark verdient, 35 Mark ging für die Miete ab. Parteizugehörigkeit, RFB-Zugehörigkeit, Arbeiterwohlfahrt, Rote Hilfe, Freie Schule, da sammelte sich was zusammen, auch wenn es immer nur 50Pfennige waren. Meinst du, du konntest in dieser Zeit mal einen Trinken gehen? Da haben wir gar kein Geld für gehabt.
In den großen Massenorganisationen hatten wir viele Erwerbslose gehabt, aber nicht in der Partei. Die Betriebszellen in Wanne-Eickel blieben bestehen. Die Shamrocker, die Wilhelmer, das waren alles starke Betriebszellen: so um die 50-60 Mann stark. Die Unterlagen über die Betriebszellen habe ich Anfang 1933 alle vernichtet.
Welche Erfahrungen haben Sie mit den Nazis gemacht?
Einmal hatten wir eine große Saalschlacht in Eickel in der Wirtschaft Rendell gehabt. Diese Wirtschaft war da, wo jetzt die Polizeiwache untergebracht ist. Da war so eine schmale Gasse mit einem alten Haus und alten Bäumen an der Strasse. Und dort sind Nazis aus Recklinghausen hingekommen, die die Versammlung organisierten. An der Kasse saß einer von der Verwandtschaft. Ich guck ihn so an. „Na“, sagte er, „wollt ihr uns mal besuchen ?“ „Ja“, sagte ich, „mal gucken, was ihr erzählt.“ Als der Redner keine drei oder vier Worte gesprochen hatte, ging es schon los. Der Nazi griff gleich die rote Brut in Eickel an. Naja, dann flogen Bierkrüge zur Bühne hin. Dann schrie einer „Mützen auf“. Die Nazis saßen immer so truppweise vorne an der Bühne. Wir hatten den Saal besetzt. Das wollten wir erst nicht, weil die dann das Geld kriegten. Aber wir wollten die mal ordentlich verdreschen, weil die hier in Eickel so frech wurden. In Eickel konnten die Brauen nicht landen, deshalb holten sie Leute aus Recklinghausen und Hattingen. Und wie das da bei Rendell so losging, kam ein Polizist vorbei, den ich kannte. Der sagte: „Heinrich, Mensch hau drauf.“ Die Nazis sind dann durch die Fenster ins Freie gesprungen. Die Brocken lagen hinterher überall auf der Strasse verteilt: halbe Stühle, einzelne Stuhlbeine, kaputtes Inventar. Wir mussten dann mit 12 Mann zur Wache. Die Polizei registrierte, dass die Nazis angefangen hatten. Aufgrund des Protokolls haben sie uns dann wieder entlassen. Wir sollten machen, dass wir nach Hause kommen. Der eine von der Polizei wohnte bei uns oben im Haus.
Die Nazis sind abgehauen, durch den schwarzen Weg bei Heitkamp bis zur Zeche Shamrock. Dann wollten sie weiter in Richtung Recklinghausen. Und die Holsterhauser Genossen standen überall mit dicken Knüppeln, und versohlten die Nazis nach Strich und Faden. Die haben sich in Wanne-Eickel nie mehr blicken lassen. Da haben sie nicht mit gerechnet, dass dort auch noch so 50 Mann standen. Da weiß man gar nicht, wo die Nazis alle geblieben sind.
Welches Verhältnis hatten sie zu den Sozialdemokraten?
Wir haben uns nicht gemieden. Mit dem Reichsbanner der SPD haben wir gemeinsame Aktionen gemacht. Nee, das war nicht gegeneinander. Im Wahlkampf ja. Aber sonst, wir kannten uns ja alle. Aber als die Nazis hochkamen, haben wir gemeinsam Aktionen gemacht. Das waren keine Sozialfaschisten, so die offizielle Linie. Die Sozialdemokraten waren alle Arbeiter. Die sind sogar zu mir gekommen, um mit mir zu diskutieren. Während des Severing-Putsches 1932 saßen wir alle nachts zusammen in Eickel in den Gartenlauben. Wir haben darauf gewartet , dass ein Signal kommt zum Losschlagen. Das war die letzte Chance vor 1933, um die Machtübernahme durch die Nazis zu verhindern, als der Innenminister Severing von der SPD abgesetzt wurde. Die Polizei hatte auch auf den Einsatzbefehl gewartet. Die Polizei bestand hier aus Sozialdemokraten und Kommunisten.
Was würden sie heute den Jugendlichen empfehlen, die sich in der Politik engagieren wollen?
Bei der Politik kann leicht die Familie kaputt gehen. Da hat man gar keine Zeit mehr für die Familie. Das war früher auch schon wie heute. Einer, der sich nur mit Politik abgibt, der soll nicht heiraten, der ist nämlich ewig unterwegs. Erstmal müssen wir alles das erhalten, was erkämpft wurde. Nur, heute haben wir keine Leute mehr, die populär sind, und die vor Menschen reden können. Die machen alle nur Personalpolitik, auch die SPD. Die haben keinen politischen Zusammenhalt mehr.
Norbert Kozicki
Quelle:
- Wir waren die Stärkste der Parteien – Kommunisten in Wanne-Eickel, in: Frank Braßel u.a.(Hg.): „Nichts ist so schön wie…“-Geschichte und Geschichten aus Herne und Wanne-Eickel, Essen, 1991, S. 158 f