Hernes Stadtkernentwicklung in den 1970er und 1980er Jahren

Hernes Zentrum blieb im Zweiten Weltkrieg von Bombenangriffen weitgehend verschont. Die Häuser im Geschäfts- und Behördenviertel standen und hatten nur Dach- und Fensterschäden erlitten. Die Unversehrtheit des Stadtkerns rief bei den Besatzungssoldaten Erstaunen hervor. Sie sprachen – in Anlehnung an den Film ‚Die goldene Stadt‘ aus dem Jahre 1942 – von Herne als ‚the golden town‘. 1952 wurde der Herner Stadtkern in der Presse sogar als ‚Kö des Ruhrgebietes‘ bezeichnet. Mit der Zeit blätterte das Gold ab und mit dem Wiederaufbau in den Nachbarstädten hatte es sich mit der Kö.1

Es zeigten sich die Nachteile: triste Hinterhöfe, verrottete Straßenzüge, rissige Stuckfassaden. Im Kerngebiet überwogen überalterte Gebäude mit unzureichenden Wohnverhältnissen. Die Erneuerung des Stadtkerns nahm Anfang 1970 ihren Lauf. Die Sanierung erfolgte ohne Zwangsmaßnahmen, ohne Enteignung und nur mit Zustimmung der betroffenen Eigentümer. Viele Menschen wünschten sich einen neuen und modernen, dem Zeitgeist entsprechenden Wohnraum mit Bad und Toilette in den Wohnungen.

Das neue Zentrum mit zwei in 1976 bezugsfertig gewordenen Wohntürmen2 am alten Steinweg, jetzt ‚An der Kreuzkirche‘, sorgte für Aufsehen. Die WAZ vom 04. Januar 1975 meinte: ‚Ein turmhohes Superhaus sprengt Herner Dimensionen.‘ Damals war es ein Vorzeigeobjekt moderner Architektur. Der damalige Stadtplaner Manfred Ley sprach gar von einer ‚Freiluftakademie für Stadterneuerung‘. Entworfen wurden die Wohntürme vom Architekten, Bildhauer und Maler Gerald Baschek (geb. 25. März 1938 in Herne, gest. 27. Juli 2019 in Düsseldorf).3

Heute sieht man die Sache eher nüchtern. Häufig wird die Stadtkernerneuerung kritisch betrachtet. ‚Was der Krieg nicht geschafft hat, das haben die Stadtplaner bewerkstelligt‘, so eine spöttische Bemerkung. Bei durchaus berechtigter Kritik spielt – wie in anderen Fällen auch – sicherlich ein Stück Verklärung und Nostalgie bei derartigen Beurteilungen mit.4 Gerald Baschek zumindest stand bis zuletzt zu „seinen“ Wohntürmen.5

Interessant auf dem Foto aus dem Jahr 1976 ist, dass die Bahnunterführung an der neugeschaffenen Umgehungsstraße ‚Westring‘ noch den Namen ‚Möllertunnel‘ trägt. Tatsächlich wurde dieser zur neuen Unterführung vergrößert. Mit Fertigstellung des ’neuen‘ Möllertunnels wurde der Westring am 03. August 1970 für den Verkehr freigegeben.6

Jürgen Hagen

Anmerkungen

  1. Stadtarchiv Herne, Bestand Stadtkernerneuerung. ↩︎
  2. Online-Architekturführer Ruhrgebiet: Doppelwohnturm, letzter Zugriff: 28.08.2019. ↩︎
  3. Stadtarchiv Herne, Dokumentationsbibliothek, Personen, Gerald Baschek. ↩︎
  4. Einen guten Überblick über das Thema Stadterneuerung gibt folgender Link: http://www.ruhrgebiet-regionalkunde.de/html/vertiefungsseiten/herne.php.html. ↩︎
  5. WAZ, Ausgabe Herne, 28.08.2019. ↩︎
  6. ‚Richtungsweisend – HERNE Stadtkernentwicklung‘, Dokumentation, herausgegeben von der Stadt Herne, Herbst 1976. ↩︎