Revolution wird nicht geduldet! – Der Generalstreik vom 12. November 1948

Hungerkatastrophe nach dem Krieg führt zum Generalstreik  

Nachdem am 7. April 1945 amerikanische Truppen den Rhein-Herne-Kanal überschritten haben, ist einen Tag später Wanne-Eickel und am 10. April Herne vom Faschismus befreit. Das 12-jährige Nazi-System ist in beiden Emscher-Städten militärisch geschlagen, die Bombennächte vorbei, aber der Kampf ums tägliche Überleben bestimmt weiterhin den Alltag der Bevölkerung.

Die sich abzeichnende Kriegsniederlage vor Augen, treffen sich antifaschistische Gewerkschafter, vornehmlich Bergarbeiter, bereits Monate vorher in kleinen Zirkeln und beraten in streng konspirativen Treffen über die Neuordnung der politischen Verhältnisse nach einem Sieg über die Nazi-Barbarei und die Linderung der größten Not in beiden Städten.

Nach der Flucht der Betriebsführer und örtlichen Nazi-Bonzen verhindern diese ersten Betriebsausschüsse in den letzten, dramatischen Kriegswochen, das Absaufen der heimischen Gruben und machen sich sobald es ging an die Beseitigung der Kriegsschäden, etwa auf den besonders heimgesuchten Schachtanlagen Friedrich der Große und Julia.

So arbeiten, als wenn die Betriebe unser wären

Eilig gebildete, selbstverwalte Werkschutzgruppen verhindern vom NS-Regime angeordnete Zerstörungen der Zechenanlagen und aus der Not geborene Plünderungen.

So hat die NSDAP-Kreisleitung Herne noch im März 1945 verfügt, die Fördertürme von Friedrich der Große zu sprengen, was aber hier wie andernorts unter Lebensgefahr, die Sondergerichte der Nazis sind bis kurz vor Eintreffen der Alliierten noch in Aktion, verhindert werden kann.

Bereits am 15. April findet im benachbarten Gelsenkirchen-Buer eine erste noch illegale Betriebsrätekonferenz statt, wo u.a. über die Neugründung der Bergarbeitergewerkschaft beraten wird. Am 23. April treffen sich Vertreter von Zechen des Bochumer Raums in der Anlernwerkstatt der Zeche Prinz-Regent. Hoffnungsvoll beurteilt der Vorsitzende dieser Konferenz in seinem Schlusswort die Rolle, die die neue Gewerkschaft beim Neuaufbau der Gesellschaft würde einnehmen können: „Im zukünftigen Staat wird es (…) einen Unternehmer wie bisher nicht geben. Wir müssen uns alle so einstellen und so arbeiten, als wenn die Betriebe unser wären.“ Da waren allerdings von Beginn an die neuen militärischen Machthaber vor. Bei Verhandlungen mit Betriebsräten der Gelsenkirchener-Bergwerks-AG, Mitte April, beschied ein Major der Militärregierung im Ruhrgebiet: „Revolution wird nicht geduldet!“

Deutschland, Deutschland ohne alles …

Allmählich kommt auf den Schachtanlagen in beiden Städten die Kohleförderung, vornehmlich unter der Regie von kommunistischen und sozialdemokratischen Betriebsräten, die nach 1933 von den Nazis abgesetzt und verfolgt waren, wieder in Gang. Von den Belegschaften beauftragte Kumpel gehen in den ersten Nachkriegswochen ins nahe Münsterland auf Hamsterfahrt, um bei den Bauern Kohle gegen Lebensmittel einzutauschen. Es fehlt an allem, besonders an Nahrung, Kleidung, Medizin und Heizmaterial.

Die Betriebsratsprotokolle der Zeche Julia spiegeln die zentrale Rolle des Versorgungsproblems beispielhaft: Bereits in der ersten Sitzung am 21. April 1945 beschließt die „neuernannte, vorläufige Arbeiter- und Angestelltenvertretung“ des Baukauer Pütts, drei Delegierte zur Stadtverwaltung und englischen Militärbehörde zu entsenden, um eine Schwerarbeiterzulage sowie die Zuteilung von Arbeitskleidung und Grubenschuhen zu erreichen. Dem Antrag, die Lebensmittel der Zeche an die hungernde Belegschaft zu verteilen, kommt die Militärbehörde allerdings mit deren Beschlagnahme zuvor. „Deutschland, Deutschland ohne alles. Ohne Butter, ohne Speck. Und dass bisschen Marmelade frisst uns die Besatzung weg“ – so dichtet der Volksmund in dieser Zeit das Deutschlandlied um.

Damit nicht genug. Im Winter 1946/47 bricht eine viermonatige arktische Kälteperiode in das kriegszerstörte Europa ein und beschert den von den Entbehrungen des Krieges gezeichneten Menschen im Ruhrgebiet einen Hungerwinter dem vor allen geschwächte Alte, ausgezehrte Frauen und unterernährte Kinder nicht überleben. Von Oktober 1946 bis in den März 1947 fallen des Nachts die Temperaturen auf bis zu 20 Grad unter den Gefrierpunkt und erreichen tagsüber selten Werte von mehr als 5 Grad plus.

Zum 50. Stadtjubiläum – der Schrei nach Brot

Anlässlich des 50. Jahrestages der Stadtwerdung titelt die Herner Lokalausgabe der Ruhr-Nachrichten am 2. April 1947: „Zum Stadtjubiläum – der Schrei nach Brot“ und berichtet, dass „die Sitzung der Herner Stadtvertreter am Vorabend des 50-jährigen Stadtjubiläums (..) im Zeichen der augenblicklichen Not “ steht. „Oberbürgermeister Kleine brachte in seinem Rückblick auf das 50-jährige Bestehen der Industriestadt zum Ausdruck, dass die Zeit eine festliche Ausgestaltung des Tages verbiete. Er halte es für seine unbedingte Pflicht, gerade diesen Augenblick zu benutzen, um vor aller Öffentlichkeit darauf hinzuweisen, dass die Widerstandskraft der Bevölkerung gegen die aufkommende Verzweiflung über die katastrophale Ernährungslage erschöpft sei. Dank der Einsicht der Bevölkerung und der anerkennenswerten, besonnenen Arbeit der Gewerkschaftsführer sei es bisher nicht zu Unruhen und Ausschreitungen gekommen und er hoffe, dass solche Verzweiflungsakte auch weiterhin vermieden werden können.“

Dreihunderttausend Bergleute im Proteststreik

Das die Widerstandskraft der örtlichen Arbeiterbewegung längst nicht erschöpft ist zeigt sich allerdings nur einen Tag später. Am 3. April 1947 erreichen die seit Wochen anhaltenden Hungerdemonstrationen und vielfach spontanen Proteststreiks im Ruhrgebiet ihren Höhepunkt. Nach einem Beschluss des Industrieverbands Bergbau, dem Vorläufer der IGBCE, legen an diesem Morgen rund 300.000 Bergarbeiter im gesamten Revier, so auch in Herne und Wanne-Eickel, die Arbeit nieder. Ihnen schließen sich vielerorts Arbeiter und Angestellte der Stadtverwaltungen an. Auf Protestversammlungen und Demonstrationen durch die Innenstädte fordern die Streikenden eine verbesserte Lebensmittelversorgung und die Beteiligung der Gewerkschaften an der Lebensmittelverteilung. In Resolutionen wird die „rücksichtslose Beseitigung aller Elemente aus ihren Stellungen und Ämtern und schärferes Durchgreifen der Justiz gegen alle diejenigen, die aus der allgemeinen Not der Menschen noch Geschäfte machen wollen“, verlangt.

Die Gruben in des Volkes Hand!

Die katastrophale Ernährungslage wird auch als Folge der mangelhaften Demokratisierung und der beginnenden Restauration der alten Besitz- und Machtverhältnisse angesehen. Da werden unter den Älteren Erinnerungen wach, an die unerfüllten und verratenen Versprechungen nach dem Ersten Weltkrieg. Die angestaute Unzufriedenheit bündelt sich daher auch in der Forderung nach Sozialisierung des Bergbaus. „Die Gruben in des Volkes Hand!“, prangt auf Plakaten, Flugblättern und Transparenten. Gefordert wird die Entflechtung der Großkonzerne und Entfernung aller faschistisch belasteten Vorgesetzten, die von der Militärregierung im Interesse einer reibungslosen Kohleförderung auf ihren Posten belassen wurden. Bislang unerfüllt war die bereits auf der am 8./9. Dezember 1946 im Herner Volkshaus erfolgten Gründungsversammlung des „Industrieverbands Bergbau für die britische Besatzungszone“, einstimmig erhobene und von der Besatzung hintertriebene Forderung nach Überführung des Bergbaus in Gemeineigentum.

Wie Meinungsumfragen belegen, stößt die Forderung nach Sozialisierung bei der Mehrheit der Bevölkerung auf breite Zustimmung. Um soziale Gerechtigkeit gewährleisten zu können, müsse die die politische Demokratisierung Deutschlands durch wirtschaftliche Demokratisierung ergänzt werden. Jene die die Nazis finanziert und die am Krieg profitiert haben, sollen ein für alle Mal von den Schalthebeln der Macht entfernt werden. Der Ruhrbergbau sei, so die vorherrschende Meinung, als erster Industriezweig reif für die Sozialisierung. Die Forderung nach Sozialisierung des Bergbaus spielt eine zentrale Rolle bei den ersten freien Landtagswahlen in NRW am 20. April 1947. Der KPD, die im Industrieverband Bergbau noch über beträchtlichen Einfluss verfügt, erzielt mit 14 Prozent der Stimmen ihr bestes Wahlergebnis in der Nachkriegszeit. Im Ruhrgebiet erzielen die Kommunisten überdurchschnittliche Ergebnisse, so in Herne 24,3 und in Wanne-Eickel 28,1 Prozent.

Zustrom von Kriegsflüchtlingen

Die desolate Lage wird durch den Zustrom von Flüchtlingen und Vertriebenen aus den deutschen Ostgebieten zusätzlich erschwert. Wenngleich 1945 auch in Herne gut die Hälfte des Wohnraums durch Bomben teilweise oder in großem Umfang zerstört ist, suchen viele in der vergleichsweise von Kriegszerstörungen verschonten Emscherstadt Unterschlupf und kommen häufig bei bereits hier lebenden Verwandten und Bekannten polnisch-deutscher Abstammung unter.

Hungerdemonstration auf der Bahnhofstraße, 1947, Foto Bildarchiv Herne
Hungerdemonstration auf der Bahnhofstraße, 1947, Foto Bildarchiv Herne

Anfang Juli 1945 hat Herne 79.000 Einwohner, erreicht im Oktober 1946 bereits 97.000, ein Jahr später ist die 100.000-Einwohner-Marke übersprungen. Damit leben bereits zwei Jahre nach Kriegsende mehr Einwohner in Herne als vor dem Krieg. In Wanne-Eickel steigt die Einwohnerzahl von 44.327 im Jahr 1945 auf 73.756 im Jahr 1946.

Obwohl etwa auf der Zeche Friedrich der Große 1947 mit 3000 Tonnen Tagesförderung bereits 75% der Vorkriegsförderung erreicht wird, leiden die Kumpel und ihre Familien weiterhin große Not. Deshalb schließt sich auch hier am 3. April des Jahres die gesamte Belegschaft dem Hungerstreik im Revier an und demonstriert zum Herner Rathaus, wo sie auf die Kumpel der übrigen Herner Zechen trifft. Alle Schachtanlagen des Reviers liegen still, die Streikbeteiligung erreicht nahezu 100 Prozent.

Der „König des Ernährungsamtes“ und ein Büro mit fünf Schlüsseln

Im September 1947 sorgen ans Licht geförderte Informationen über die illegale Verschiebung riesiger Warenmengen in der Stadt für öffentliche Aufregung und Empörung. Im Kreuzfeuer steht das städtische Ernährungsamt, dem vorgeworfen wird, im Bunde mit einigen ortsansässigen Geschäftsleuten, nicht unerhebliche Lebensmittelmengen der öffentlichen Bewirtschaftung entzogen zu haben. Dabei rückt die Firma Pahl „die 1945 noch keine Großhandelserlaubnis gehabt habe und unter Hintansetzung alter, bewährter Firmen in jeder Weise bevorzugt worden sei“ besonders ins Blickfeld. Die Westfalenpost/Ruhr-Nachrichten berichtet am 12. September: „Bezeichnend sei auch, dass P. versucht habe, ein nichtarisches Geschäft, das einen Wert von 25.000 RM präsentierte, für 250 RM in seinen Besitz zu bringen. Das Ernährungsamt habe diese Firma zum Günstling erwählt und dadurch in der Bevölkerung starkes Befremden hervorgerufen. Stadtverordneter Crämer (SPD) machte in erster Linie die Lebensmittelgeschäftsinhaber für die Vorkommnisse verantwortlich. Sie hätten die Gutgläubigkeit unerfahrener Angestellter des Ernährungsamtes in gewissensloser Weise ausgenutzt. (…) Stadtverordneter Wolff (KPD) erklärte, dass die Vorkommnisse das Vertrauen der Bevölkerung sehr erschüttern. Bezeichnend sei, dass der Volksmund Pahl den „König des Ernährungsamtes“ nenne. Die KPD sehe das wirksamste Mittel zur Ausmerzung dieser Dinge in dem Einsatz von Kontrollausschüssen. (…) Der Dezernent des Ernährungsamts, Hölkeskamp (SPD), wandte sich gegen den Vorwurf einer einseitigen Bevorzugung bestimmter Lebensmittelgroßhändler. Wenn P. in starkem Maße herangezogen wurde, so sei das lediglich auf Grund der Leistungsfähigkeit dieser Firma geschehen. (…) Was die Vorkommnisse im Ernährungsamt selbst angehe, so sei festzustellen, dass dem Leiter der Abrechnungsstelle, einem alten und bewährten Beamten, die Dinge über den Kopf gewachsen seien. Des Weiteren habe sich die Unerfahrenheit der eingestellten Hilfskräfte, wobei es sich vornehmlich um Kriegsbeschädigte handele, ausgewirkt. Hinzu gesellten sich die primitiven Verhältnisse im Aufbewahrungsraum der Abrechnungen, der im Winter nicht geheizt werden konnte und in dem ohne Licht hantiert werden musste. (…) In der weiteren Aussprache bemerkte Stadtverordneter Hülsmann (KPD), dass nach Aussage der Polizei zu dem Aufbewahrungsraum nicht weniger als fünf Schlüssel vorhanden gewesen seien.“

Schwerarbeiterzulage für fingierte Bergleute

Dies war in diesen Zeiten längst kein Einzelfall. Die Lokalausgabe der WAZ für Wanne-Eickel berichtet am 09.12.1948, dass es im Lohnbüro „von Schacht 7/6 der nördlich des Stadtteils Unser Fritz gelegenen Zeche Graf Bismarck“ über sieben Monate im Jahre 1947 zum „Einsetzen von Bergleuten, die gar nicht existierten“ gekommen ist. „Sieben Monate hindurch führten die beiden Angestellten nach und nach dreißig fingierte Bergleute in ihren Punktlisten. Von den 30 A-Karten, die jeweils in den Besitz von Ko. und Po. gelangten, behielten sie je sieben für sich, die restlichen Karten wurden an andere Angestellte des Lohnbüros weitergegeben, die dann auch in den Genuß der Bergmannszuteilungen kamen.“

Alle Beteiligten werden nach Anhörung von zwanzig Zeugen von der VI. Essener Strafkammer, wegen „gemeinschaftlicher Unterschlagung“ zu Gefängnis- und Geldstrafen verurteilt.

Versorgungslage bleibt trostlos

Auf den kalten Winter zum Jahresbeginn 1947 folgt ein heißer, trockener Sommer. Das Heu muss als Not-Ernte eingebracht werden, die Getreide- und Kartoffelernten fallen dürftig aus. Eine Denkschrift der deutschen Ärzteschaft hält fest, dass regional bis zu 80 Prozent der Bevölkerung unterernährt sind. Besonders verbreitet sind Hungerödeme, Verdauungsstörungen, Leber- und Nierenschäden, Hautausschläge und Lungentuberkulose.

In der letzten Ratssitzung des Jahres 1947 stellt Stadtdirektor Hölkeskamp (SPD) fest, dass er seine Darlegungen in einem Satz zusammenfassen könne: „Unsere Ernährungslage war trostlos, sie ist noch trostloser geworden!“ Die Herner Bevölkerung habe sich in der Zeit vom März bis zum Juni des Jahres mit 856 Kalorien durchhungern müssen, wie sich auch der Jahresdurchschnitt mit 1289 Kalorien noch erheblich unter dem als lebensnotwendig erachteten Mindestsatz von 1500 Kalorien bewege. „Wie sehr sich das auf den Gesundheitszustand der Herner Einwohnerschaft ausgewirkt hat, geht aus der Tatsache hervor, dass die Zahl der Krankenzulagen von 3.442 im Frühjahr auf 9.874, also um das Dreifache gestiegen ist.“ Die Stadtverwaltung veranlasst das neben der Einrichtung von Gemeinschaftsküchen der Wohlfahrtsverbände, örtliche Gastwirte „für Bevölkerungskreise, die kein geheiztes Heim haben“, in ihren Wirtschaften Aufenthaltsmöglichkeiten ohne Verzehrzwang bereitstellen.

1948: Erkrankungs- und Sterbefälle halten an und steigen

In der ersten Ratssitzung im Januar 1948 ist das gleiche Thema vorherrschend wie in der Letzten des Vorjahres. Sie steht, wie die Westfälische Rundschau berichtet „im Zeichen der Hungerkrise.“ In einer Entschließung stellt der Rat der Stadt fest: „Der überwiegende Teil der Herner Familien ist ohne jeden Kartoffelvorrat. Seit Wochen wird die aufgerufene Fettmenge nicht ausgegeben, und auch die Fleischversorgung ist so unzureichend, dass die meisten Familien seit Wochen kein Fleisch gesehen haben. Gemüse fehlt vollkommen. Erkrankungs- und Sterbefälle steigen dauernd. Wenn die angekündigte Kürzung der Brot- und Nährmittelrationen wirklich eintritt, dann steht die Bevölkerung vor einem Zusammenbruch. Trotz aller dieser trostlosen Zustände hat die arbeitende Bevölkerung in Zechen und Fabriken ihre schwere Arbeit, getragen von hohem Verantwortungsbewusstsein, ohne wesentliche Ausfälle geleistet. Somit erheben wir in letzter Minute unsere mahnende und warnende Stimme und fordern die verantwortlichen Stellen der Landesregierung und der Zone auf, ebenso richten wir die gleiche Bitte an die Besatzungsmacht, alles in menschlicher Kraft stehende zu tun, um den drohenden Hungertod von der Bevölkerung abzuwenden.“

Der Antrag der KPD-Fraktion, die Herner Bevölkerung zu einer öffentlichen Protest-Kundgebung aufzurufen, wird von allen anderen Parteien abgelehnt.

Dazu muss man wissen, dass es sich bei den Streiks und Hungerdemonstrationen des Jahres 1947 häufig um spontane, von linksorientierten Betriebsräten und örtlichen Gewerkschaftsgliederungen initiierte Aktionen handelt, die keine Unterstützung der Gewerkschaftsführung finden, von dieser aber letztlich auch nicht verhindert werden können.

Zwischenzeitlich hat der „kalte Krieg“ und der Streit über die wirtschaftliche Neuordnung der Westzonen Einzug gehalten, die Gewerkschaftsspitzen sind fester etabliert und häufiger wird nun der Verdacht „kommunistischer Drahtzieherei“ geäußert. Aus diesem Grund bietet die DGB-Führung der britischen Besatzungszone, zu der Herne und Wanne-Eickel gehört, noch Anfang 1948 ihren ganzen Einfluss auf, um einen von den Betriebsräten des Ruhrgebiets geforderten Generalstreik zu unterbinden. Neben parlamentarischen Illusionen befürchtet man, dass große Massenmobilisierungen eine Radikalisierung der Arbeiter beschleunigen und den Einfluss der KPD vergrößern können. US-Amerikanische Marshallplanhilfe, Sonderzuteilungen und Care-Pakete im Bergbau tragen das ihre dazu bei, insbesondere die Differenzen über die politische Ausrichtung zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten im DGB und Betriebsräten zu vertiefen.

Wanne-Eickel: Generalstreik – Ja oder Nein?

Im Januar 1948 flammen nicht nur in mehreren Revierstädten neue spontane Proteststreiks gegen die schlechte Versorgungs- und Ernährungslage auf. Auf einer Mitte des Monats vom Ortsausschuss des DGB Wanne-Eickel durchgeführten Vollkonferenz der Betriebsräte aller Betriebe unter Vorsitz von Gewerkschaftssekretär Wilhelm Heimüller und dem Vorsitzenden der örtlichen D.G.B. Weber, wird über Kampfmaßnahmen beraten.

Die SPD-nahe WR berichtet: „Die Vertreter der Bergarbeiter eröffneten die Aussprache mit harten, aber vernunftgeleiteten Worten. Betriebsrat Putzer von der Schachtanlage Shamrock 3/4 verlangte, daß endlich die Kohle freigegeben werde für die Ernährung des deutschen Volkes. Betriebsrat Grubert von Königsgrube forderte Gewerkschaftsdisziplin im Sinne der von den Arbeitnehmern selbstgewählten Bundesleitung. Der Sprecher der KP sprach sich für einen Streik bis zur Erfüllung aller Forderungen aus. Erstaunlicherweise nahm der hauptamtliche Gewerkschafts-Angestellte Jungmann vom I.V.B. Stellung gegen die Bundesleitung und forderte zum Proteststreik auf. Als Vertreter der SPD sprach Buchholz die Verantwortung im wesentlichen den Besatzungsmächten zu und empfahl der Konferenz, zu beschließen, daß zur Stärkung der Gewerkschaften im öffentlichen Leben einheitlich die Forderungen der Bundesleitung vertreten werden.“

Ein Betriebsrat aus dem Baugewerbe verlangt in einem Antrag, wenn sich bis zum 2. Februar die Lage nicht bessert, solle der Generalstreik ausgerufen werden. Der Vorsitzende des Wanne-Eickeler Industrieverbandes „Öffentliche Betriebe, Transport u. Verkehr“, Birkelbach, weist darauf hin, dass die Auswirkungen eines Streiks allein die arbeitende Bevölkerung zu tragen hätte. Nach einer erregten Geschäftsordnungsdebatte kommt es zur Abstimmung. Durch einzelnes Aufstehen stimmen 94 der anwesenden Betriebsräte für und 61 gegen einen Streik. Das ist eine Mehrheit aber damit wird die erforderliche Zweidrittelmehrheit verfehlt. Die Westfälische Rundschau kann am 24. Januar fast triumphierend titeln „Vollkonferenz hinter Bundesleitung – Streikbeschluss für 2. Februar ohne zwei Drittel Mehrheit.“

Der ebenfalls anwesende Oberstadtdirektor spricht „seine Freude über die sachliche, verantwortungsfreudige Haltung der Konferenz aus.“

Trotz Beschwichtigungskurs – Der Druck nimmt zu

Und dennoch: Die Stimmung in den Zechen, Fabriken und den Arbeiterfamilien ist in beiden Städten, wie im ganzen Land aufgeladen und verzweifelt. Gegen die Haltung der DGB-Bundesleitung sind von Januar bis Februar nicht nur an Ruhr und Emscher sondern auch in Bayern und Baden-Württemberg über eine Million Werktätige an Streik- und Protestaktionen beteiligt. Die alliierten Militärbehörden sichern daraufhin zwar zusätzliche Hilfen und eine gerechtere Verteilung der Lebensmittel zu, für die Masse der arbeitenden Menschen ändert sich aber tatsächlich nichts.

Der Druck aus den Betrieben und die Forderung nach durchgreifenden Aktionen ebbt allerdings im weiteren Verlauf des Jahres 1948 nicht nur in der britischen Besatzungszone, nicht ab.

Mit der Währungsreform am 20. Juni 1948 kommt es zu einer Abwertung der Sparguthaben. Einen Tag später, am 21. Juni, sind die bis dahin leeren Läden voll. Gehortete Waren kommen ins Schaufenster. Die Löhne sind aber weiterhin gesetzlich eingefroren, während die Preise freigegeben werden und in die Höhe schnellen. In aller Regel liegen die Preise etwa für Grundnahrungsmittel und Bekleidung wesentlich höher als das Lohnniveau. Die Lebenshaltungskosten steigen rasant an, die Preise für Obst, Gemüse, Eier, Kleidung und Schuhe explodieren. Die vermeintliche „Geburtsstunde der sozialen Marktwirtschaft“ entpuppt sich als „freie“ d.h. ungezügelte Marktwirtschaft. Während kleine Sparguthaben weitgehend ihren Wert verlieren, werden die Eigentümer der Produktionsmittel geschont. Das ist Umverteilung von unten nach oben.

Der Unmut bricht sich zunächst in spontanen Aktionen auf den Wochenmärkten mit sogenannten Kartoffelschlachten und in der Zerstörung von Eier-Ständen Bahn. Vereinzelt kommt es zu Kaufstreiks.

Mit Panzer und Tränengas gegen Streikende

Mitte bis Ende Oktober folgen riesige regionale Demonstrationen, u.a. in Mannheim und Bremen. Am 28. Oktober kommt es in Stuttgart bei einer Streikaktion zu der der örtliche Gewerkschaftsbund aufgerufen hat, zu heftigen Auseinandersetzungen mit der Polizei, bei denen die ebenfalls beteiligte US-Militärpolizei Panzer und Tränengas gegen die aufgebrachten, etwa 30.000 Demonstranten, einsetzt. Einige Schaufensterscheiben von Luxusgeschäften gehen zu Bruch. Deutsche Polizei prügelt mit Gummiknüppel auf die Demonstranten ein, es gibt viele Verletzte. Die Militärregierung verhängt im Anschluss für Stuttgart ein nächtliches Ausgangsverbot von 21:00 bis 04:00 Uhr.

Die Stuttgarter Ereignisse und das Scheitern der demonstrativen Arbeitsruhe der bayerischen Gewerkschaften und anderer regionaler und lokaler Protestaktionen, die Preispolitik des Frankfurter Wirtschaftsrates, d.h. die Freigabe der Preise bei Fortbestand des Lohnstopps, die das Großkapital begünstigende Währungsreform und andere Maßnahmen, insbesondere der amerikanischen Militärregierung, die das Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeit zugunsten der Unternehmer verändern und deren Widerstand gegen die wirtschaftsdemokratischen Vorstellungen der Gewerkschaften, führen in Gewerkschaftskreisen und Betrieben zu wachsender Verbitterung.

Und so nehmen die Dinge ihren Lauf, wenn auch nicht in der von vielen Gewerkschaftern für notwendig gehaltenen Richtung und Konsequenz. Zunächst beschließt der DGB-Vorstand unter dem Druck einer wachsenden Empörung in den Betrieben „eine zwei Tage dauernde Arbeitsruhe (in der britischen und amerikanischen Zone) am 11. und 12. November 1948 durchzuführen, und dass dieser Maßnahme weitere Aktionen folgen sollen, wenn es der Gewerkschaftsrat für zweckmäßig erachtet.“

Als Streikforderung wird ein 10-Punkte-Forderungskatalog verabschiedet, eine Kombination aus ökonomischen und grundsätzlichen, politischen Forderungen an Unternehmer, Militärregierung und Wirtschaftsrat. Dabei stehen im Zentrum: Erlass eines Preisstopps, Produktion von preiswerten Massenkonsumgütern, Korrektur der Währungsreform, Erhalt und Ausbau von Planelementen bis zur Überführung der Banken und Grundstoffindustrie in Gemeineigentum und die Einführung der paritätischen Mitbestimmung der Gewerkschaften und Betriebsräte.

Die massive Einflussnahme sowie Einschüchterungsversuche der Besatzungsmächte, aber auch gewerkschaftsinterne Differenzen über die Stoßrichtung von Kampfaktionen und parteipolitische Einflussnahme, nicht zuletzt der CDU auf den Generalstreik an sich und die wesentlichen Streikziele, aber auch eine massive Gegenpropaganda der Unternehmerverbände und des Gros der bürgerlichen Presse, verhindern eine einheitliche Orientierung des DGB. Die „Frankfurter Abendpost“ verkündet: „Es besteht der dringende Verdacht, daß die Gewerkschaften infolge ihrer einseitigen kommunistisch-marxistischen Durchdringung … dazu übergehen, die Demokratie zu bekämpfen.“ Noch einen Tag vor dem Streik verteilt die CDU in Hamburg 250.000 Flugblätter, in denen die Arbeiter aufgefordert werden, „den Streikparolen nicht zu folgen.“

Gegen Generalstreik – Für Restauration

Anfang November lehnen die christlich-demokratischen Mitglieder des DGB in der Britischen Besatzungszone auf einer Tagung der CDU-Sozialausschüsse in Königswinter den Generalstreik ab. Auf einer anschließenden Besprechung mit der DGB-Bundesleitung äußern diese Kreise die Besorgnis, die geplante Arbeitsruhe könnte zu „dunklen parteipolitischen Zwecken missbraucht werden (…), deren Nutznießer allein der Kommunismus sein würde.“ Parallel dazu forciert dieselbe CDU im, von Ludwig Erhard geleiteten Wirtschaftsrat der Bi-Zone (britische und amerikanische Zone) mit Marshallplan, Währungsreform und Marktwirtschaft eine Politik der Restauration kapitalistischer Macht- und Herrschaftsverhältnisse. Erhard selbst provoziert in einer Rundfunkansprache die Gewerkschaften am Vorabend des Streiks, in dem er sie als „Bonzokratie“ beschimpft.

Den Gegnern einer wirtschaftsdemokratischen Entwicklung gelingt es zwar erheblich Sand ins Gewerkschaftsgetriebe zu streuen, der erfolgreiche Durchmarsch gelingt ihnen zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht. Letztlich entscheidend für die Durchführung einer nunmehr im Lichte der Ereignisse auf einen Tag reduzierten Streikaktion ist das „Gelöbnis“ der Funktionäre des DGB-Bezirks Nord-Rhein-Westfalens, „den Beschluss des Gewerkschaftsrates zur Durchführung zu bringen und dafür Sorge zu tragen, dass am 12. November 1948 (…) sämtliche Betriebe stillliegen.“

Am 12. November 1948 steht alles still

Und so kommt es am 12.November 1948 zum bisher einzigen Generalstreik nach dem Krieg, an dem sich über 9,25 Millionen Beschäftigte aus allen Wirtschaftsbereichen der Bi-Zonen beteiligen. Von 3.000 Betrieben stehen in Nordrhein-Westfalen 2.100 vollständig still. Im Durchschnitt liegt die Streikbeteiligung bei etwa 80 Prozent. In der ebenfalls zur Bizone gehörenden französischen Besatzungszone wird der Streik gänzlich verboten. Und dennoch ist der Streik vom 12. November der größte und umfassendste, seitdem die Gewerkschaften und Arbeiterparteien im März 1920 zum Generalstreik aufgerufen hatten und dem Kapp-Lüttwitz-Putsch damit ein Ende setzten.

Aufruf zum Generalstreik, Repro Norbert Arndt
Aufruf zum Generalstreik, Repro Norbert Arndt

Auch in Herne und Wanne-Eickel rührt sich an diesem Tag von 0:00 Uhr bis 24.00 Uhr kaum eine Hand. Die Förderräder der Schachtanlagen und die Maschinen in den Fabriken stehen still, die Büros in den Dienststellen beider Emscher-Städte sind verwaist. Aufgrund der Stuttgarter Zusammenstöße zwischen Streikenden und Polizei von Oktober hat die DGB-Führung – den Weisungen der Militärregierung folgend – angeordnet, dass keine Kundgebungen, Versammlungen oder sonstige Zusammenkünfte während der Arbeitsruhe stattfinden sollen. Eine Bestimmung, die gerade in den Betrieben und Gewerkschaftsgliederungen des Ruhrgebiets keineswegs auf ungeteilte Zustimmung stößt.

Streik mit mattem Herzen?

In der bürgerlichen Presse stößt der eintägige Generalstreik, der der einzige in der Geschichte der Bundesrepublik bleibt, überwiegend auf wenig Wohlwollen und wird vielfach heruntergemacht und bagatellisiert. So titelt die in Herne erscheinende konservative WESTFALENPOST am 13.November: „Mattes Echo des Streikbefehls“. Zu ernsteren Zwischenfällen sei es nicht gekommen, öffentliche Kundgebungen seien „der Anweisung des Gewerkschaftsrates entsprechend unterblieben. Einzelmeldungen aus allen Teilen der Doppelzone lassen erkennen, daß die werktätige Bevölkerung die Streikparole nur mit mattem Herzen befolgt und insbesondere den durch den Gewerkschaftsbeschluß verursachten Lohnausfall als schweres Opfer empfindet.“ Die gleiche Zeitung hatte bereits im Vorfeld, in ihrer Ausgabe vom 8. November den Streik als „Handlangerdienst für die KPD“ denunziert. Für Herne wird am 13. November gemeldet: „Hier nahm etwa die Hälfte der Verwaltungsangestellten der Hibernia AG die Arbeit auf. Teilweise mußten die Angestellten ihre Büroräume durch die Fenster erklimmen.“ Und das, obwohl auch die Aufstellung von Streikposten durch die Militärregierung untersagt war.

Ganz so „matt“ und uninteressiert sind die „Herzen“ der aufgebrachten Lohnabhängigen aber dann doch nicht. Es ist noch erheblich Druck im Kessel. So muss die SPD-nahe „Westfälische Rundschau für Wanne-Eickel-Herne-Wattenscheid“ nur wenige Tage später, am 16. November unter der Überschrift vermelden „Pluto-Belegschaft fordert Teuerungszulage: Die Belegschaftsversammlung der Zeche Pluto hat in Anbetracht der unerträglichen Teuerung und mit Rücksicht auf die soziale Not zum Weihnachtsfest die Forderung aufgestellt, daß allen verheirateten Belegschaftmitgliedern 100 DM, den Ledigen 80 DM und für jedes Kind weitere 20 DM als Teuerungszulage gewährt werden sollen.“

Erhard muss nachgeben

Wirtschaftsdirektor Erhard kann dem Druck der Straße und der wachsenden Wut in Zechen und Fabriken nicht mehr standhalten. Unter dem Eindruck der eskalierenden Masseproteste und nur durch die Ankündigung des eintägigen Generalstreiks hatte der Wirtschaftsrat der Bi-Zonen bereits mit Wirkung vom 3. November des Jahres den Lohnstopp aufgehoben.

Mittels des Preisgesetzes versucht der Wirtschaftsrat, gegen den Preiswucher vorzugehen. Außerdem stärkt er das Tarifsystem und die Sozialversicherungen. So geht auch die Einführung der paritätischen Finanzierung der Krankenversicherung durch Arbeitnehmer und Arbeitgeber auf den Protest-Herbst 1948 zurück. Allen voran hilft der Bevölkerung das sogenannte „Jedermann-Programm“. Es reguliert die Preise für Textilien, Schuhe und Haushaltswaren – genau jene Artikelpreise, die Erhard vorher dereguliert und frei gegeben hatte.

 Konzessionen und Zugeständnisse

Um die weitergehenden Forderungen der Gewerkschaften und der Volksbewegung nach strukturellen Veränderungen der Besitz- und Machtverhältnisse, nach Gemeineigentum und umfassender Mitbestimmung abzuwürgen werden von den Alliierten und den herrschenden Eliten zunächst Konzessionen gemacht. Aus der zuvor favorisierten deregulierten „freien Marktwirtschaft“ wird die „soziale Marktwirtschaft.“ Erhard erkennt die Gunst der Stunde und inszeniert sich – obwohl im Vorfeld der Währungsreform ein Verfechter einer möglichst ungezügelten (freien) Marktwirtschaft – als „Vater der sozialen Marktwirtschaft“. Sich zum geeigneten Zeitpunkt ins rechte Licht zu rücken fällt Erhard, der 1935 als Leiter des von der „Reichsgruppe Industrie“ finanzierten „Instituts für Industrieforschung“, das erste Marketing-Seminar in Deutschland organisiert hatte, nicht schwer.

Eine Legende wird geboren

Gleichwohl gelingt es Erhard, nachdem sich die Gemüter etwas beruhigt und die Machtverhältnisse stabilisiert haben, flankiert von Adenauer, unter dem Label „soziale Marktwirtschaft“ überwiegend marktliberale Konzepte durchzusetzen. 1951 zieht er gegen die Mitbestimmung der Gewerkschaften in der Industrie und 1957 gegen eine Rentenreform zu Felde. Sein Kartellgesetz spickt er –zur Freude des Groß- und Bankkapitals- mit zahlreichen Ausnahmebestimmungen während er die Gewerkschaften bei ihren Lohnforderungen zum Maßhalten auffordert.

Bis in unsere Tage hält sich in der offiziellen Geschichtsschreibung die Legende von Erhard als genialen Erfinder und „Vater der sozialen Marktwirtschaft“. Dabei entspricht es den verdrängten historischen Tatsachen, dass wesentliche soziale Weichenstellungen in der Nachkriegszeit ein Ergebnis erbitterter Kämpfe der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung waren. Unter dem Schleier der stets wiederholten, aber falschen Erzählung, die herrschenden Kreise der jungen Bundesrepublik seien schon immer für die „soziale Marktwirtschaft“ gewesen, wurden und werden die relativen Erfolge der damaligen Protestbewegung unsichtbar gemacht. Relativ deshalb, weil nach dem Zweiten, wie nach dem Ersten Weltkrieg, durchgreifende strukturelle Veränderungen der Besitz- und Machtverhältnisse, die ja zunächst auf breiteste Akzeptanz stießen, für die man angetreten war und die Eingang in Landesverfassungen und ins Grundgesetz fanden, am Widerstand der alten und neuen Machteliten scheiteten.

Norbert Arndt