„Ein Säugling erhebt ein Dorf zur Großstadt“, so war es im Juli 1933 in der Wochenbeilage der Schleswig-Holsteinischen Landeszeitung, Rendsburg zu lesen. Weiter hieß es: „Die westfälische Stadt Herne hat infolge der Entwicklung der rheinisch-westfälischen Industrie einen Aufschwung genommen, wie selten eine Stadt in Deutschland. Vor 50 Jahren noch ein winziges Dorf ist es jetzt mit Herne soweit gekommen, daß sie auf Grund des hunderttausendsten Einwohners zur Großstadt angewachsen ist.“
Margarete Henkel hieß das „historische“ Baby, das am 14. März 1933 Herne zur Großstadt machte. Die Geburt der Tochter des Grubenelektrikers Josef Henkel und seiner Ehefrau, der Schneidermeistertochter Johanna geb. Katzenich, war ein gesellschaftliches Ereignis. Die Herner Zeitungen gaben Extraausgaben heraus und das Radio brachte ein Interview mit den Großstadteltern. Es gab Blumen und Präsente. Die Henkel-Werke ließen sich wegen der Namensgleichheit nicht lumpen und schenkten Persil, Sekt, Essbestecke usw., wie die Westfälischen Rundschau vom 14. März 1952 berichtete. Von der Stadt gab es eine Urkunde und ein Sparbuch mit 100,00 Mark, auszahlbar zum 21. Geburtstag.
Der Großstadtglanz wurde allerdings schon wenige Tage später matt. Durch die übliche Frühjahrsabwanderung von Saisonarbeitern aufs Land waren in Herne am 27. März genau 99.993 Einwohner gemeldet. Es sollte bis 1947 dauern, bis Herne wieder zu Großstadtehren kam.
Der Ruhm der „Großstadtmacherin“ war ebenso schnell verblasst. Sie selbst brachte sich an ihrem 21. Geburtstag in Erinnerung und schrieb einen Brief an den damaligen Oberbürgermeister Robert Brauner. Brauner ließ sich nicht lange bitten und lud Henkel im März 1954 zu einem Gespräch ein. Als Geschenk gab es weitere 100,00 Mark und eine Urkunde mit Glückwünschen von Rat und Verwaltung, unterzeichnet von Oberbürgermeister Brauner. In den Folgejahren waren mehrere Zeitungsartikel über Henkel zu lesen. Zuletzt berichtete die Westdeutsche Allgemeine Zeitung am 13. März 1993 zum 60. Geburtstag üiber sie. Die ledige Margarete Henkel starb – längst wieder in Vergessenheit geraten – zwischen dem 31. Mai und 1. Juni 2003 in Herne.
Jürgen Hagen, Erstveröffentlichung des ursprünglichen Textes: „125 Jahre (Alt-)Herner Stadtwerdung“. Jürgen Hagen. In: „Der Emscherbrücher“ Band 19 (2023/24). Seiten 7 bis 36 . Herausgegeben von der Gesellschaft für Heimatkunde Wanne-Eickel e. V. Herne 2023.