Ganz Herne stand 1923 im Abwehrkampf gegen die Besatzung. Kumpel leisten massiven Wiederstand.
Herne wurde schon damals von den Franzosen als „goldene Stadt“ angesehen, es wurde Residenz des Hauptquartiers für das ganze Ruhrgebiet. Aber die Vielzahl der Generale und Stabsoffiziere, die in den bunten Käppis, von einem leisen Parfümduft umweht, auf der Bahnhofstraße in Scharen promenierten, konnten den Herner Kumpel nicht aus seiner vaterstädtischen Fassung bringen. Dem Ruf nach aktiven Widerstand ist man in Herne nicht gefolgt. Die Herner kämpften passiv und mit einem Humor, an dem der tolle Bomberg seine Freude gehabt hätte.
Vor Ort wurde Skat gekloppt
Dem Bergmann zuliebe hätte die Besatzungszeit noch Jahre andauern können, denn als getreuer Staatsbürger stand er diesmal kritiklos hinter der Regierung. Kohlen wollten die Franzosen. Gestreikt durfte nicht werden. So kam es zum passiven Widerstand. Natürlich fuhren alle Belegschaften an. Aber kein Mensch kletterte in den Streb, um Kohlen zu hacken. Monatelang dauerte dieser passive Streik. Die meisten Kumpel machten sich den Weg ins Revier schon nicht mehr. Sie hockten am Schacht, spielten Skat, Schach oder Mühle. Ansonsten pennten sie wie ein Murmeltier. Wenn die Schicht herum war, schrieb der Steiger ein paar tausend Mark Lohn an. Also konnte der Stadtkommandant seinem General stolz melden, dass in Herne nicht gestreikt würde. Aber kein Krümel Kohle kam ans Tageslicht. Als dann im Sommer der passive Widerstand aufgehoben, die Regierung nicht mehr bezahlen konnte, da waren viele Knochen steif geworden. Mancher Hauer bekam nach der ersten richtigen Schicht einen Muskelkater.
Der Flieger war ein Shamrocker Schornstein
Schwere Gefängnisstrafen standen auf die Verteilung von Flugblättern. Deshalb wollte sich kein Mensch schnappen lassen. In der Oberrealschule an der Hermann-Löns-Straße, dem Sitz des Kommandierenden Generals, herrschte aber eines Morgens ein mächtiger militärischer Zorn. Ein Teil des Ruhrgebiets halb Herne in Richtung Osten, bis weit hinter Dortmund, war mit einigen hunderttausend Flugblättern übersät. „Die muss ein deutscher Flieger abgeworfen haben.“ So sagte man sich.Tatsächlich war es aber so: Man hatte in der Nacht die Flugblätter durch den 70 Meter hohen Schornstein von Shamrock gejagt. Der herrschende starke Wind war dann der Flugblattverteiler geworden, und ihn konnte man nicht verhaften, da stand man machtlos vis a vis.
Liebesszenen in deutschnationalen Villen, Scheren gegen Gretchenzöpfe
Natürlich schaffte sich damals auch mancher Franzose eine Herner Freundin an. Wie nach dem Zweiten Weltkrieg gab es auch schon nach dem Ersten zur Franzosenzeit Mädchen und Frauen, die mit einem Mitglied der Besatzungsmacht gingen, sehr zum Unwillen des größten Teils der Bevölkerung. Junge Burschen, oft auch wirkliche Tunichtguts, bewaffneten sich mit Scheren und schnitten bei passender Gelegenheit den Franzosenfreundinnen die langen Zöpfe ab, die damals noch modern waren. Diese Aktion schlief aber schnell ein, als auch durch die Zeitungen bekannt wurde, dass sich hinter den verschlossenen Fenstern der Villen mit stramm deutschnationalen Bewohnern tolle Liebesszenen zwischen den Herren Offizieren und der Hausfrau oder Haustochter abspielten. Außerdem kam dann im Sommer sowieso der Bubikopf auf.
Eisenbahnweiche geklaut
Auf der Zeche Shamrock sollte die Direktion verhaftet werden. Grund: Die Franzosen hatten über die Brunnenstraße und dem Hoheneik, eine Bahn gebaut, um den Shamrocker Koks abzufahren. Als der erste Waggon rollen sollte, da fehlten an zahlreichen Stellen der Bahn die Laschen und das Weichenstück war ausgebaut. Die ganze Zeche wurde militärisch eingekreist. Dann begann die Haussuchung. Jeder Winkel und jedes Bürozimmer wurde durchstöbert. Nirgendwo waren die Direktoren aufzufinden. Durch die Belegschaft war die Direktion gewarnt worden. Erst einige Tage später kam man dahinter, dass sie auf Schacht 1/2 in Herne eingefahren sind, auf Shamrock 3/4 in Eickel ausgefahren waren. In aller Ruhe begaben sie sich von dort aus ins unbesetzte Gebiet.1
Der Text wurde von Gerd Biedermann entdeckt und für das Digitale Geschichtsbuch bearbeitet.
Anmerkung
- Wie bei jedem historischen Text üblich, ist auch dieser im Zusammenhang seiner zeitlichen Entstehung kritisch zu betrachten. ↩︎