Durch Beschluss der Baudeputation Herne vom 31. August 1916 wurde auf Vorschlag der Gewerkschaft Friedrich der Große die Platzanlage in der neuerrichteten Zechensiedlung ‚Hilligenwall‘ genannt. Den Straßennamen gab es bis Anfang der 1970er Jahre.
Über die Geschichte des Hilligenwalls hat der Gründer des Emschertal-Museums Karl Brandt geforscht und im Auftrag der Stadt Herne nachfolgenden Artikel verfasst und veröffentlicht:
Der Hilligenwall in Herne, eine Dynastenburg
Im Stadtteil Herne-Horsthausen haben wir heute noch den spärlichen Rest einer sogenannten Dynastenburg, die wir im Jahre 1931 teilweise untersuchen konnten (Messtischblatt Herne, Nr. 2504, Lagepunkt 86 25/14 28; hierin ist das Kernwerk gekennzeichnet). Auf dem Messtischblatt erkennt man das Kernwerk an dem freien Quadrat am Nordrand der Kolonie Friedrich der Große 3/4. Der Volksmund nannte diese im Gelände nicht zu übersehende Erdanlage ‚Hilligenwall‘.
Die älteste Nachricht über diese Burg verdanken wir dem Bürgermeister Friedrich von Forell, der 1853 in einer Beschreibung seines Verwaltungsbezirks schrieb: ‚Der dem Schulten in der Langfort zugehörige Wald Osterloh enthält eine 100 Fuß im Viereck große, 4 Fuß hohe, von breiten Gräben eingefasste Umwallung mit Zugangswällen, welche in heidnischer Zeit zum Gottesdienst benutzt sein soll‘.
Diese Deutung als Stätte heidnischen Gottesdienstes erscheint manchem Heimatforscher alter Schule durch den Wald ‚Osterloh‘ geradezu als bewiesen. So lesen wir im Herner Heimatbuch: ‚Der Name ‚Osterloh‘ (Oster = Frühlingsfest; Lohe = Flamme) zeigt an, dass an dieser Stelle auch zugleich die heidnischen Feste gefeiert und Opfer dargebracht worden sind‘. In Wirklichkeit bedeutet Osterloh ‚im Osten gelegener Wald‘, hat also mit heidnischem Heiligtum nichts zu tun.
Welches war nun das Ergebnis der Grabungsarbeit? Wir fanden den von v. Forell angegebenen flachen quadratischen Hügel mit einem Durchmesser von 25 Metern und einer Höhe von 1,50 Metern; die Ecken des Hügels waren abgerundet. An seinem Fuße lag ein 2,50 Meter breiter ausgehobener Graben mit Wall davor. Vor diesem befand sich noch ein zweiter 6 Meter breiter Graben. Das sogenannte Kernwerk bestand also aus Graben, Wall, Graben und endlich aus dem Hügel. Es hatte, vom Außenrand des äußeren Grabens an gerechnet, einen Durchmesser von etwa 36 Metern (das sind die von Bürgermeister v. Forell angegebenen 100 Fuß), war also nicht sehr groß, doch groß genug, um einen wahrscheinlich mehrstöckigen Turm aus Holz zu tragen und zu schützen.
Nördlich und östlich des Kernwerks stellten wir ferner einen Erdwall fest, der heute noch im Gelände hervortritt. Vor ihm lag ein Graben, der für den Erdwall den Baustoff geliefert hat. Der westliche Schenkel des äußersten Walles ist nicht mehr genau erkennbar, doch dürfte ein etwa 75 Meter langes Wegstück die frühere Lage dieses Wallschenkels anzeigen, zumal nach dieser Berechnung das Kernwerk in der Mitte des vom äußersten Wall eingeschlossenen Raumes liegt. Der südliche Schenkel ist von Häusern überbaut und nicht mehr feststellbar. Vermutlich verlief er aber so, wie es die vorangestellte Skizze zeigt.
Wie schon gesagt, handelte es sich um eine sogenannte Dynastenburg, die wahrscheinlich aus dem 11. – 12. Jahrhundert stammt. Keinesfalls ist sie jünger. Wenn wir im Gebiete zwischen Emscher und Lippe in dieser Zeit von Burgen sprechen, muss man sich darunter Anlagen aus den heimischen Baustoffen Erde und Holz vorstellen. Aus Erde wurden die Wälle und Hügel aufgeworfen, aus Holz Palisaden, Türme, Brücken usw. gebaut. Erst später ging man dazu über, Burgen aus Stein zu mauern.
Bei uns kommen, wie fast überall in Deutschland, neben älteren die germanischen Volksburgen vor, die in kriegerischen Notzeiten von den Bewohnern mit aller beweglichen Habe aufgesucht wurden. Zeitlich folgten ihnen die sächsischen Volksburgen, die sich von ihren Vorgängern kaum unterschieden. Darunter befinden sich besonders große und starke Burgen, die in den Kriegen Kaiser Karls gegen den Sachsenbund, wie bei uns die Hohensyburg, eine große Rolle gespielt haben.
Nach der Eroberung des Landes durch Kaiser Karl wurden die sächsischen landeseigenen Befestigungen abgelöst von der fränkisch-normannischen Militärburg. Diese fränkischen Befestigungen sind nichts anderes als befestigte Königshöfe. Ihnen folgten die sogenannten Herrenburgen, deren Bau namentlich König Heinrich I. (919 bis 936), der Burgenbauer, anordnete. Er verfügte, dass jeweils 9 wehrhafte Landedle sich zusammen eine Burg bauen sollten.
Bald nach diesen Gemeinschafts- oder Genossenburgen kamen die Einzel- oder Dynastenburgen auf. Es handelt sich dabei um Eigenburgen für ein einzelnes, landadeliges Geschlecht, das vom Gutshof mit einigen bewaffneten Leuten in die kleine feste Burg zog. Nicht jeder Landadelige hat zur Zeit Heinrichs I. zusammen mit anderen nach des Königs Gebot eine feste Burg erbaut. Vielmehr ist ein großer Teil auf seinem befestigten Gutshof geblieben und erst später in eine von ihm oder dem Landesherrn erbaute feste Burg gezogen.
Entlang der Emscher haben mehrere solcher Dynastenburgen gelegen, eine von ihnen ist der ‚Hilligenwall‘. Der Hilligenwall war rechteckig und hatte den Wohnbau in der Mitte. Dieser Wohnbau wurde auch als Wohnhügel bezeichnet, er war der Ankerpunkt der gesamten Anlage. Hier auf dem Wohnhügel errichtete man einen starken, hohen Turm, der sicherlich mehrgeschossig war und aus kräftigen Balken und Bohlen von Eichenholz bestand. Auf dem Wohnhügel des Hilligenwalls haben wir Teile einplaniert, um Standspuren des starken Turmes aufzufinden. Es stellte sich aber heraus, dass die gesamte Oberfläche tief umgewühlt war.
Dennoch darf man die Vermutung hegen, dass auf dem Wohnhügel des Hilligenwalls ein Wohnturm gestanden hat, der ungefähr so aussah, wie in der nachfolgenden Abbildung. Diese Zeichnung entstammt einer französischen Quelle und ist ein treffender Beleg für die Beschaffenheit dieser Burgturmanlagen.
Eine Parallele zu diesen Turmburgen sind die Spiekertürme im niedersächsischen Lebensraum, besonders auf den Gräftenhöfen des Münsterlandes, die ein bäuerliches Gegenstück zu den Wasserburgen darstellen. Bei den Gräftenhöfen war die Gräfte an einer Stelle stark verbreitert und umschloss eine Insel, auf der der Spiekerturm mit hochgelegenem Eingang als letzte Zuflucht bei Überfall und Belagerung stand (siehe nachfolgende Abbildung).
Nun ist nicht anzunehmen, dass alle Türme auf den Wohnhügeln in den Dynastenburgen aus Holz bestanden; wo Steinbrüche in der Nähe waren, hat man sicherlich auch aus Steinen aufgemauert, denn solche Wohntürme waren besonders wehrhaft und gegen Feuer gefeit. Steinerne Wohntürme aus späteren Jahrhunderten finden wir noch heute im Ruhrgebiet. So zeigt die Burg in Altendorf unweit von Hattingen einen Wohnturm, der ein Unter-, Ober- und Dachgeschoss enthält.
Überhaupt ist der Turm der Kernbau jeder Burganlage. Man spricht daher bei dem ältesten Burgentyp, wie ihn heute noch Schloß Gemen mit seinen wuchtigen Rundturm darstellt, von der Turmburg. Selbst das heutige Schloss Strünkede, das eher als Burg denn als Schloss bezeichnet werden kann, lässt diese Entwicklung noch erkennen. Zweifellos ist hier das älteste Bauelement der massige quadratische Turm; an ihn wurden später die Seitenflügel angesetzt, zunächst der Nordflügel, dann der Flügel bis zur Toreinfahrt. 1664 war dann auch der westliche Teil neben der Toreinfahrt fertiggestellt.
Die Dynastenburgen von der Art des Hilligenwalls sind also die Vorläufer der Wasserburgen, deren Sicherung durch Wälle und Gräben (Gräften) ebenfalls bereits beim Hilligenwall vorgebildet war. Denn hier war die Herrenwohnung durch Wall und Graben und dann noch einmal das gesamte Burgterrain durch einen starken Erdwall mit vorgelagertem Graben geschützt.
Da der Wald Osterloh, in dem der Hilligenwall lag, zu dem nur 400 Meter süd-westlich gelegenen Hof Schulte in der Langforth gehörte, dürfte zwischen beiden ein Zusammenhang bestehen. Schon in den frühesten Werdener Heberegistern wird die villa Langwadu oder Languuide erwänt, die dem Kloster abgabepflichtig war. Es ist kaum etwas Stichhaltiges gegen die Annahme vorzubringen, dass das um 900 erwähnte Langwadu mit Langforth identisch ist.
Dann war aber meiner Auffassung nach das eigentliche Langwadu nicht der jetzige Hof Langforth, sondern der Hilligenwall, dessen Besitzer später ihre Hofstelle aus dem Hilligenwall etwas weiter süd-westlich verlegten. Der Grund der Verlegung kann die Tatsache sein, dass an der neuen Hofstelle viel besserer Ackerboden vorhanden war; im Bereich des Hilligenwalls kommt nur stark eisenschüssiger, wenig fruchtbarer Sand vor.
Während der Hilligenwall ungefähr bei 53,7 Meter über dem Meeresspiegel liegt, beginnt süd-westlich bei der Höhenkurve von 55 Metern der schwerere Boden, der sich als schwach ansteigende Höhe bis etwas über 60 Meter über Normal-Null hinaufzieht, um hier fast kleiig zu werden, und zwar wegen einer Grundmoränendecke, die auf dieser Höhe liegt.
Karl Brandt
Anmerkung:
Dieser Text wurde von Karl Brandt im Auftrag der Stadt Herne verfasst und 1952 veröffentlicht. Der Text wurde für das Digitale Geschichtsbuch überarbeitet. Die hier veröffentlichte Version wurde von der Stadt Herne freundlich genehmigt.
Jürgen Hagen
Quellen:
- Stadtarchiv Herne, Dokumentationsbibliothek, Bestand Straßen in Herne und Wanne-Eickel, Hilligenwall
- Stadtarchiv Herne, Protokoll der Baudeputation Herne, 31.08.1916, Tagesordnungspunkt 4, Blatt 208
- Frühgeschichtliche Bodenforschungen im mittleren Ruhrgebiet, Der Hilligenwall in Herne, eine Dynastenburg, Karl Brandt, Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 1952, Seiten 31 bis 39