Zur Geschichte und Bedeutung des Volkshauses Röhlinghausen

„Das alles hat uns einen großen Zusammenhalt gegeben…“

Am 10. Dezember 1986 erschreckte eine Pressemeldung die Röhlinghauser: „Traditionsverein fürchtet um den Bestand des Volkshauses“. Der bekannte Schatzmeister Friedbert Haake wurde mit folgenden Worten zitiert: „Wir können nicht länger mitansehen, wie die Verwaltung das Haus verkommen läßt und herunterwirtschaftet.“ Der Vorsitzende des Turnvereins Röhlinghausen und andere Vorstandsmitglieder sprachen von „handfesten Gerüchten“, dass die Stadt das Volkshaus abreißen lassen wolle, um sich aus der politischen und finanziellen Verantwortung zu stehlen.

Drei Tage später verdichteten sich die „Gerüchte“, als der damalige Stadtsprecher Manfred Scheibe auf Nachfrage der Presse erklärte, dass „demnächst ein Abriß der traditionsreichen Begegnungsstätte zur Debatte stehen könnte. Weiterhin erklärte der Stadtsprecher, dass die Verwaltung intensiv prüfe, ob sich der finanzielle Aufwand einer Sanierung und Modernisierung rechtfertigen lasse. Nach dieser ersten städtischen Stellungnahme deutete viel darauf hin, dass die Tage des Volkshauses bald gezählt sein konnten.

Doch der SPD-Ortsverein ging in die Offensive und stellte in der Öffentlichkeit klar, dass das Volkshaus Röhlinghausen sehr wohl ein Thema in den städtischen Gremien war. Gerd Bollmann, der damalige Sprecher der SPD-Fraktion in der Bezirksvertretung Eickel, fand deutliche Worte in alle Richtungen: „Ein Abriß des Volkshauses wäre völliger Blödsinn. Es geht vielmehr darum, ein Konzept zu erarbeiten, wie wir den Bau wieder auf Vordermann bringen.“ Ernst Wissel vom Hochbauamt schätzte die erforderliche Investionssume auf eine knappe Million DM. Der amtierende Stadtkämmerer Heinz Drenseck betonte den „größtmöglichen Nutzungsgrad“ : „Wenn die Einrichtung schon nicht kostendeckend ist, dann muss sie effektiv sein. Das heißt, dass die Nutzung des Saales auf einer breiteren Basis erfolgen sollte.“ Mit diesen Erkenntnissen vermeldete der Ortsvereinsvorsitzende der SPD Röhlinghausen Siegfried Richert am 17. Januar 1987: „Das Thema Abbruch ist nun endgültig vom Tisch.“ Alle Beteiligten formierten sich zu einem runden Tisch und klärten im Sinne des Erhaltes des Traditionsgebäudes der Röhlinghausener Arbeiterbewegung das weitere Nutzungskonzept.

Sprung in die Geschichte

Machen wir einen Sprung in die Geschichte des Stadtteils Röhlinghausen und sehen einmal, welche Bedeutung das Volkshaus Röhlinghausen für die Arbeiterbewegung um 1930 hatte.

Eine Erinnerung: „Zum 1.Mai war in Röhlinghausen immer was Besonderes los. Transparente waren von Baum zu Baum über die Strasse gehangen worden. Mit Sprüchen und Parolen. An Mauern und Wänden und auf dem Straßenpflaster waren Enbleme gemalt. Drei Pfeile, Hammer und Sichel unter anderem. Dann hieß es ´Am 1.Mai die Straße frei´. Da zogen wir alle mit Kind und Kegel zur Demonstration los. Ein riesiger Zug von Menschen wälzte sich durch die Strassen. Vorne voran die Fahnenträger. Ein junger Athlet aus dem Arbeitersportverein. Mit ausgestreckten Armen schwenkte er eine riesige rote Fahne. Dann kamen die Schalmeienkapellen und andere Spielmannsgruppen mit Pauken und Trompeten. Arbeitergruppen mit blauen Russenkitteln, Reichsbannergruppen in Windjacken und Ledergamaschen. Dann die Jugendverbände, Gruppen der kommunistischen Jugend, Sozialistische Arbeiterjugend, Falken, Wandervögel mit Gitarren und Mandolinen. Aus den Sprechchören hörte man die Kampfrufe ´Am 1.Mai, die Straße frei, die rote Front marschiert`oder ´Was bedeuten die drei Pfeile? Hitler bekommt Keile`. Am Abend ging man ins Volkshaus, da spielte dann der Dilettantenverein. Berthold Brechts Dreigroschenoper zum Beispiel. Das alles hat uns einen großen Zusammenhalt gegeben.“

Das Volkshaus Röhlinghausen in den 1930er Jahren, Foto Stadt Herne

„Volkshaus Röhlinghausen“, als Begriff und Ort ist diese Einrichtung aus der Röhlinghausener Stadtteilgeschichte nicht wegzudenken. Diese Geschichte ist eng mit der Geschichte der Arbeiterbewegung verknüpft. Diese Orte der Begegnung, der Kommunikation und der Kultur des „kleinen Mannes und der kleinen Frau“ erfüllen für die Bewohner wichtige Funktionen. Hier trifft sich die Nachbarschaft, soziale und politische Informationen werden ausgetauscht und die Mitglieder der unterschiedlichen Vereine und Interessensgruppen nutzen die Einrichtung zur Durchführung und Präsentation ihrer Aktivitäten.

Die Volks- und Gewerkschaftshäuser, die meist zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstanden sind, wurden kulturelle Mittelpunkte für die Arbeiterschaft, in denen neben den Büroräumen der Gewerkschaften auch Gaststätten, Versammlungs- und Festsäle untergebracht waren.

Im Unterschied zur Entstehung des Herner Volkshauses und des Gewerkschaftshauses „Stöckmannshof“ im Wanner Norden beschloss die Gemeindevertretung von Röhlinghausen in ihrer Sitzung am 10. Februar 1921 den Betrieb eines Volkshauses in eigener Regie durchzuführen. Zu diesem Zweck kaufte die Gemeinde den Bauernhof der Familie Strathmann, der im Jahre 1812 erbaut wurde. Die Initiative zu diesem Bauvorhaben ging in der Gemeindevertretung von den Arbeiterparteien SPD und KPD aus, die in jenen Jahren die Mehrheit innehatten.

Die Gemeinde Röhlinghausen veranstaltete ein Preisausschreiben für Architekten, um brauchbare Vorschläge für die Umgestaltung des Bauernhofes zu bekommen. Dieses Preisausschreiben wurde unter den Architekten im Stadt- und Landkreis Bochum, Essen, Dortmund, Gelsenkirchen und Herne öffentlich ausgeschrieben.

Nach den Plänen des siegreichen Bochumer Architekten Otto Hoffmann in der Firma Willkens und Hoffmann (Köln/Bochum) wurde der Strathmannsche Hof umgebaut. Diese Firma mit ihrem Architekten übernahm dann auch die komplette Bauleitung des Objektes.  Die Gemeinde finanzierte den Umbau über Kredite, die bei der Amtssparkasse Wanne aufgenommen wurden. Die Finanzierung gestaltete sich in jenen Tagen überaus schwierig, denn Deutschland erlebte eine galoppierende Inflation.

Zur Finanzierung muss man Folgendes feststellen. In der Gemeinde Röhlinghausen standen zwei Zechen, die für entsprechende Einnahmen in der Gemeindekasse sorgten: die Zeche Königsgrube und die Zeche Hannover, die bis zur Stadtwerdung von Wanne-Eickel am 1. April 1926 auf Röhlinghauser Gebiet stand. Mit den Beschlüssen des Preußischen Landtags zur kommunalen Neugliederung im Jahr 1926 wurde die Zeche „Hannover“ nach Bochum „eingemeindet“.

Der Kaufpreis für das gesamte Anwesen der Witwe Strathmann betrug die stolze Summe von 700.000 Reichsmark. Die Protokollbücher des Gemeinderates von Röhlinghausen weisen z.B. Gesamtausgaben für das Haushaltsjahr 1919 in Höhe von rund 1,4 Millionen Reichsmark aus. D.h. das Projekt „Bau des Volkshauses“ hatte für die Gemeindevertreter einen sehr großen Stellenwert, wenn die Hälfte eines kompletten Jahresetats für diese Baumassnahme ausgegeben wurde. Auch nach der Eröffnung des Volkshauses musste der Gemeinderat von Röhlinghausen eine weitere Anleihe während der Sitzung am 12. April 1923 beschließen, um die Finanzierung des Volkshauses zu sichern. Zum ersten Mal tagte an diesem Tag der Gemeinderat von Röhlinghausen in den Räumen des frisch eröffneten Volkshauses.

Ende März 1923 war der Umbau des Volkshauses abgeschlossen. Besonderen Wert legte die Gemeinde bei der Bauausführung auf die Bestandserhaltung des alten Gebäudes. Am Ostersonntag, den 2. April 1923, eröffnete das Volkshaus seine Pforten.

Um die Bedeutung dieses Vorgangs besser verstehen zu können, muss man an dieser Stelle an die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen des Jahres 1923 erinnern. Seit dem Januar war das Ruhrgebiet von französischen Truppen besetzt, in Folge der ausgebliebenen Reparationszahlungen von Deutschland an Frankreich. Diese Besetzung verursachte etliche politische und soziale Konflikte im Ruhrgebiet, z.B. praktizierten die Arbeiter den passiven Widerstand, um weniger zu produzieren. Oder es gab Sabotageaktionen gegen Eisenbahnanlagen oder gegen den Rhein-Herne-Kanal, damit die Kohle nicht abtransportiert werden konnte. Weiterhin galoppierte in diesem Jahr die Inflation mit unvorstellbaren Preissteigerungen, die zu großem Elend in der gesamten Bevölkerung führte. Die Zechendirektor der Zeche „Königsgrube“ ließ u.a. eigenes Geld drucken, damit die Bergleute mit diesem Geld in Röhlinghausen einkaufen konnten. In dieser historischen Situation feierte ganz Röhlinghausen die Eröffnung des Volkshauses.

Der Sozialdemokrat und spätere Gemeindevorsteher von Röhlinghausen Anton Wandzioch, Repro Norbert Kozicki
Der Sozialdemokrat und spätere Gemeindevorsteher von Röhlinghausen Anton Wandzioch, Repro Norbert Kozicki

Am Morgen des Ostersonntags begrüßte der Beigeordnete Overdrevermann die zahlreichen Ehrengäste zur ganztägigen Veranstaltung.  Unter den Ehrengästen weilte die ehemalige Besitzerin des Bauernhofes, Frau Strathmann. In Gegenwart der Vertreter der Gemeinderäte von Wanne, Eickel und Röhlinghausen sprach der damalige Gemeindevorsteher von Röhlinghausen, Anton Wandzioch (SPD), den Wunsch aus, dass das Volkshaus eine Erholungs- und Bildungsstätte für alle Bevölkerungskreise werden. Nach der offiziellen Eröffnungsfeier fand am Nachmittag die „größere Gemeindefeier“ statt.

„Es war eine Freude die Masse der Teilnehmer zu sehen, die sich in dem Riesensaale versammelt hatte. Aber ebenso groß war die Zahl derer, die keinen Einlaß mehr bekommen konnten“, berichtete der Chronist vom Westdeutschen Herold am 3. April 1923, einer der Zeitungen, die im Amt Wanne erschienen.

Die Festveranstaltung eröffneten die Männerchöre des Stadtteils. Weiterhin beteiligten sich am Eröffnungsprogramm die Sozialistische Arbeiterjugend (SAJ), der Arbeitergesangverein, die Sängervereinigung, der Christliche Verein junger Mädchen (CVJM) und die Jugendgruppe der Bergarbeitergewerkschaft „Alter Verband“ und die Deutsche Volkspartei (DVP). Am Abend gastierten mehrere Theatergruppen auf der neuen Bühne des Volkshauses: die Gruppen „Gemütlichkeit“, „Freiheit“ und „Thalia“ begeisterten die Röhlinghausener, bevor es zur Aufführung der „Westfälischen Bauernhochzeit“ von Karl Wagenfeld kam.

Werbung für das Volkshauses Röhlinghausen in der örtlichen Presse, 1923, Repro Norbert Kozicki

Neben diesem offiziellen Programm informierten sich die Bewohner der Gemeinde über das Freizeit- und Bildungsangebot des neuen Hauses. Und das konnte sich sehen lassen. In der Paterre befand sich der Wirtschaftsraum mit frei durch Schiebetüren verbundenen Gesellschaftszimmer. Links vom Eingang lag der Vortragssaal, der rund 150 Personen aufnehmen konnte. Aus der ehemaligen Scheune war ein großer Saal entstanden, der für Sportveranstaltungen genutzt wurde. An der Saalgiebelwand stand eine riesige Bühne mit den erforderlichen Garderoberäumen. Das Bühnenbild war achtundzwanzigmal veränderbar. Diese Bühne verfügte für damalige Verhältnisse über eine hochgradig innovative Einrichtung für „Kinovorführungen“. An der Südseite des Saales befand sich eine Kegelbahn.

Aus einem Teil der früheren Wagenremise schuf man eine Badeeinrichtung, die den Röhlinghausener Einwohnern zur Verfügung stand.  Diese Badeanstalt bestand aus drei offenen und drei geschlossenen Brausezellen sowie zwei Wannenbädern. Im zweiten Stock lagen zwei Bibliotheksräume und die Wohnräume des Wirtes. Im dritten Stockwerk befanden sich drei Räume für die Jugendarbeit der verschiedenen Gruppen und Organisationen. An der Westseite des Gebäudes dehnte sich der Konzertgarten aus. Die Gemeindevertretung von Röhlinghausen wählte den Kaffeehausbesitzer Harder aus Gelsenkirchen zum ersten Wirt der neuen Einrichtung. Die im zweiten Stockwerk eingerichtete „Volksbücherei“- eine der wenigen öffentlichen Einrichtungen in der Gemeinde Röhlinghausen – wurde vom Schulrektor Neumann geleitet, der auch die Leitung der Kirchschule an der ehemaligen Heinrichstrasse innehatte.

„Dem Architekten ist es gelungen, mit verhältnismäßig knappen Mitteln die Raumgestaltungen praktisch zu gestalten und ebenso in künstlerischer Beziehung mit schlichten einfachen Mitteln eine Wirkung zu erzielen, die für die heutige Zeit mit „reizend“ bezeichnet werden kann. Umso mehr ist die Lösung des ganzen Objekts glücklich geworden, als die Außenmauern der gesamen Gebäudegruppe bereits vorhanden waren und sich und inneren Landhauscharakter sehr gut an und machen einen anheimelnden und gemütlichen Eindruck, doch ist der Übergang von alten zu neuen Stockwerkshöhen recht gut gelöst. Der äußere Charakter des vor 100 Jahren erbauten Gehöftes ist fast so geblieben, nur durch Einfügen von einigen Dachaufbauen und Fenstern ist trotzdem der alte biedere Charakter des Bauerngehöftes bestehen gelieben“, schwärmte fast der Redakteur der Bochumer SPD-Zeitung.

Die überregionale Presse wie das Bochumer Volksblatt berichtete am 5. April 1923 mit großem Pathos wie folgt über die kulturelle Innovation der Eröffnung des Volkshauses Röhlinghausen:

„Am zweiten Ostertage ist in der Industriegemeinde Röhlinghausen bei Wanne das erste Volkshaus eröffnet worden, womit eine Einrichtung geschaffen ist, die schon lange im Zuge unserer Zeit lag, es fehlte nur noch, dass irgendwo der Anfang damit gemacht wurde.

Wenn heutigentags Versammlungen, Jugendveranstaltungen, Spiel – und sportliche Veranstaltungen in Schulen abgehalten werden, so geschieht dies hauptsächlich aus Einschränkungsrücksichten. Die Versammlungsbesucher scheuen beim Wirtshausbesuch das Geld zum Verzehr; bei einem Glas Bier können sie nicht gut die ganze Zeit sitzen, das sieht auch „so lumpig“ aus; es wird das zweite und dritte Glasgetrunken wenn´s auch nicht dran über ist. Die Folge davon ist, dass die Veranstaltungen schlechter besucht werden; die Vorstände sehen sich dann zu dem Ausweg gezwungen. Wer etwas näher sich mit diesen Dingen beschäftigt, der weiß vor allem, wie es den Sportvereinen, Theatervereinen und dergleichen schwer wird, Lokale zu erhalten. Der Wirt muß verdienen, er nimmt aber oft nicht einmal so viel ein, um Feuer und Licht zu bestreiten. Kein Wunder, wenn die Wirtsleute ein brummiges Gesicht machen. Sehr arg liegt auf diesem Gebiete die Jugendbewegung. Bei der erfreulichen Tatsache, daß alle Jugendbestrebungen, gleich welcher Richtung, starke Abneigungen gegen den Alkoholgenuß offenbaren, war es ihnen erst gar nicht möglich, in Wirtslokalen Unterkunft zu erhalten; sie waren von vornherein auf Schullokale angewiesen.

Die Benutzung von Schullokalen, so gut man zur gegebenen Zeit damit auskommt, ist nur ein Behelf. Man hat das Verlangen nach behaglichen, sauberen Räumen, wo man gern weilt. Von dem Grundgedanken der Abneigung des Zwanges zum Verzehren geleitet, waren auch die Soldatenheime der Kriegszeit entstanden, die bei guter Leitung immerhin angenehmer als manche Kneipe war.

Das Volkshaus in Röhlinghausen ist ein Anfang, doch sind wir gewiss, dass auch andere Gemeinden folgen werden, folgen müssen, denn ein Volkshaus, wo das Volk ein Heim hat, wo es sich bei seinen vielgestaltigen Bestrebungen auf allen Gebieten zum edlen Wettstreit und zur inneren Sammlung auswirken kann, ist das Gebot der Zeit.

Tanztee im Volkshaus, Repro Norbert Kozicki

Am Nachmittag des zweiten Osterfeiertages ist das Volkshaus seiner Bestimmung übergeben worden. Ein besonderer Festakt vereinigte jung und alt um dieses Haus, daß der Allgemeinheit dienen soll, dem Volke der Arbeit zu übergeben. Musikalische, deklamatorische und theatralische Darbietungen bildeten die Vortragsfolge dieser Weihefeier. In einer Ansprache wurde der Werdegang des Bauwerks geschildert. Wenn in einer so ausgesprochenen Industriegegend, wie der um Röhlinghausen herum, die für das Auge so wenig Erfreuliches bietet, ein solches Volkshaus geschaffen wurde, so ist das gerade um der Arbeiterschaft willen, deren Arbeit recht schwer und deren Leben meist so arm an wirklichen und edlen Freuden ist, ganz besonders zu begrüßen. Auch für die Jugend, der dieses Haus ein Heim werden soll, freuen wir uns ob seiner Vollendung, denn gerade der Jugend des arbeitenden Volkes fehlt es nur noch zu sehr an Stätten, woe sie ihren Geist sammeln, sich weiterbilden und ihren Körper durch Spiel und Sport gesund erhalten können. Wenn es möglich war, in dieser wirtschaftspolitisch so schweren Zeit ein derartiges Heim zu schaffen, so sollen diejenigen dankbarer sein, denen es geschenkt wurde. Und das sind die Jungen und Alten aus dem arbeitenden Volke. 

Und der große Dreispalter endet mit den Worten:

„Männer und Frauen! Burschen und Mädel! Zeugt euch eures Heims würdig, seid stolz darauf und hütet es als euer Gut. Geht vorsichtig und bedacht um mit den Möbeln des Hauses, mit seinen Musikinstrumenten, den Turngeräten und auch den Dekorationen auf der Bühne. Denkt daran, daß das alles heute Millionwerte darstellt und daß deshalb alle die Dinge der Obhut jedes einzelnen anvertraut sind, der mit über ihre Erhaltung zu wchen hat. Der Wirtschaftsbetrieb soll ein Familienaufenthalt und keine Kneipe sein oder werden.

Darum bewegt euch auch dort so, dass jeder, auch jeder Feind der deutschen Arbeiterbewegung, der euch beobachtet, vor euch Achtung haben kann. Der Geist der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit soll in edelstem Sinne im Volkshaus gepflegt werden, dann wir es wirklich werden ein Haus für das arbeitende Volk.“ (Bochumer Volksblatt, 5.April 1923, Nr. 74)

Im Laufe der Zeit entwickelte sich das Volkshaus zum Mittelpunkt des öffentlichen Lebens in Röhlinghausen. Besonders die Organisationen der Arbeiterbewegung und die ihnen angeschlossenen Arbeitervereine nutzten das Volkshaus als Versammlungsstätte: die Arbeiterjugend, der Arbeiter-Radfahrerbund „Solidarität“, die „Gemeinschaft proletarischer Freidenker“, der Arbeiter Turn- und Sportverein Röhlinghausen sowie die „Freie Wohlfahrtsvereinigung“ mit ihren Nähstunden. Der Betriebsrat der Zeche „Königsgrube“ führte die Belegschaftsversammlung im Volkshaus durch.

Besonders für die Jugendlichen von Röhlinghausen sollte das Volkshaus attraktiv gestaltet werden. „Wo sind Eure Kinder nach getaner Arbeit? Wo verbringen sie ihre kurze Freizeit? Auf der Straße oder bei der sozialistischen Jugend? Überlaßt ihr sie der Straße, dann werden sie Eckensteher. Soll das Deinem Kind passieren?“ fragte die sozialdemokratische Tageszeitung „Der Volkswille“, die in Gelsenkirchen mit einem Lokalteil für die noch bestehenden Ämter Wanne und Eickel erschien. Die Beantwortung dieser Fragen verband die SPD-Tageszeitung mit der Aufforderung, die Kinder und Jugendlichen in das „Jugendheim Volkshaus“ zu schicken. U.a. trafen sich um 1930 die Gruppen der Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ) und der Falkenbewegung im Volkshaus Röhlinghausen.

Am Ende des Jahres 1927 kam es zu einem Konflikt zwischen den Röhlinghausener Bürgern und der Verwaltung der neugegründeten Stadt Wanne-Eickel. Die Verwaltung der neuen Mittelstadt Wanne-Eickel erhob Gebühren für die Nutzung der Räume im Volkshaus. Das führte dazu, dass die Vereine und Organisationen das Volkshaus nicht mehr so intensiv nutzten. Am 30. Dezember 1927 forderte die Röhlinghausener SPD die Stadtverwaltung auf, den Bewohnern wieder freien, kostenlosen Zugang zum Volkshaus zu ermöglichen, was dann auch passierte.

Das Volkshaus Röhlinghausen zur Zeit des Nationalsozialismus, Repro Norbert Kozicki

Am 2. April 1933 während des Nazi-Faschismus feierten die Röhlinghausener 10 Jahre Volkshaus Röhlinghausen. Passend zum neuen Geist in Deutschland eröffnete mittags eine Militärkapelle die Feierlichkeiten zum zehnjährigen Bestehen des Volkshauses. Es folgte ein Einlagespiel der ersten Mannschaft der Spielvereinigung Röhlinghausen gegen die erste Mannschaft des FC Wacker München. Weiterhin wurde eine Tierschau präsentiert, mit zwei Berberlöwen, zwei Tiger, ein Kamel und einem Zebra. Abgesehen von den Fussballern war die Röhlinghausener Stadtteilkultur – ganz zu schweigen von den Organisationen der Arbeiterbewegung – nicht mehr vertreten.

Zum Abschluss dieser Ausführungen ein Zitat aus dem Vorwort der Festschrift zur Eröffnung des Bremer Volkshauses von 1928 also fünf Jahre später nach der Eröffnung des Röhlinghausener Volkshauses:

„Die von der Arbeiterschaft für ihre kulturellen und ideellen Zwecke errichteten Volkshäuser sind Bauten eigener Art: sie dienen nicht wie die Burgen der Unterdrückung der Menschen, nicht wie die Kirchen der geistigen Knechtung der Gläubigen, nicht wie die Banken und Handelshäuser dem Geldverdienen und der Ausbeutung anderer. Sie dienen den Besitzlosen zur geistigen und kulturellen Hebung; sie sind eine Schmiede, in der das Rüstzeug hergerichtet wird für den täglichen Kampf um die Verbesserung der Lebenshaltung der arbeitenden Menschen. Gleichzeitig sind sie Bildungsstätten der Jugend und des Alters, um sie vorzubereiten und zu festigen für den Kampf. Sie sind Brutstätten einer neuen Ideenwelt. Sie dienen aber auch der Freude und der Geselligkeit.“

Norbert Kozicki