Im Jahr 1907 übernahmen Martha und Oskar Schiffmann das Textilhandelsgeschäft Gebr. Rindskopf an der Bahnhofstraße 27-29, Ecke Behrensstraße 1-3. Eine entsprechende Eintragung in das Handelsverzeichnis erfolgte im Herbst des Jahres 1907.
In den folgenden Jahrzehnten wurde das Geschäft weit über die Stadtgrenzen hinaus als eines der größten Kaufhäuser des Westens bekannt. In den 1930er Jahren kamen Sally und Frieda Neugarten als Teilhaber hinzu. Oskar Schiffmann starb 1935 in Herne. Er wurde auf dem jüdischen Friedhof am Hoverskamp bestattet.
Im September 1938 wurde das Kaufhaus unter massiven Druck und weit unter Wert als letztes jüdisches Geschäft in der Bahnhofstraße „arisiert“. Die Firma Kress & Co. G.m.b.H. Herne übernahm als „deutsches“ Unternehmen den Geschäftswert, den Warenbestand und das Inventar für 75.000 RM.1
Arisierung oder Entjudung nannten die Nationalsozialisten die Verdrängung von Juden und „jüdischen Mischlingen“ aus Handel, Gewerbe, Wohnungen, Häusern und Wissenschaft im Sinne der Nürnberger Gesetze. Sie fand von 1933 bis 1945 im Deutschen Reich sowie in den angeschlossenen und besetzten Ländern statt und wird heute in der Regel als Raub eingeordnet. Meist wurde sie zwar in Form als formell ordnungsgemäßer Verkauf inszeniert, dieser geschah jedoch unter erheblichen faktischen und/oder behördlichen Zwängen, sodass der Verkäufer nur selten einen angemessenen Preis erzielen konnte. Die „arischen“ Käufer hingegen erzielten mitunter erhebliche Gewinne.2
Während nun das Kaufhaus Kress seine Geschäfte und Gewinne im ehemaligen Textilhandelsgeschäft Gebr. Rindskopf machte, trieb die nationalsozialistische Herrschaft die Familie Schiffmann auseinander. Die Kinder Käthe und Erich Schiffmann flohen in die USA. Martha Schiffmann folgte ihren Kindern, kehrte aber nach wenigen Wochen zurück, weil sie hier ihre Wurzeln hatte und ihre Heimat nicht verlassen wollte. Nach den antisemitischen Ausschreitungen in der Reichspogromnacht vom 09. November auf den 10. November 1938 floh sie erneut aus Herne und starb 1943 in New York.
Frieda und Sally Neugarten blieben bis zum gewaltsamen Ende der jüdischen Gemeinde in Herne. Lange gaben sie sich der Illusion hin, dass ihnen durch das „deutsche Kulturvolk“ keine Gefahr drohe. Als sie 1940 dann doch ihre Flucht einleiteten, waren die Grenzen bereits geschlossen.
Sally Neugarten betreute bis zum Schluss die Angelegenheiten der jüdischen Gemeinde. 1942 begannen die Deportationen der Herner Juden in die Ghettos und Konzentrationslager des Ostens. Am 28. Februar 1943 wurden Sally und Frieda Neugarten in der Aktion „Judenfrei Reich“ in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und ermordet.3|4
Als letztes Textilhandelsgeschäft in dem Haus schloss das Filialunternehmen „H & M“ im Dezember 2020 seine Pforten.5
Jürgen Hagen
Anmerkungen
- Ralf Piorr (Hg.): Herne und Wanne-Eickel 1933-1945. Ein historischer Stadtführer. adhoc Verlag Herne. 1. Auflage November 2013. Seite 37. ↩︎
- Zitiert nach Wikipedia: Arisierung. ↩︎
- Erinnerungsorte – Shoah-Denkmal. Zum Gedenken an die Opfer der Shoah aus Herne und Wanne-Eickel. Eine Dokumentation von Ralf Piorr. Herausgeber: Stadt Herne. Januar 2010. Seiten 22 und 23. ↩︎
- Stadtarchiv Herne. Bestand Jüdisches Leben in Herne und Wanne-Eickel. Jüdische Geschäfte: Textilhandelsgeschäft Gebr. Rindskopf. ↩︎
- WAZ, Lokalausgabe Herne vom 30.11.2020. ↩︎