Bernhard Rose hat das erste Viertel des letzten Jahrhunderts in Wanne in politischer, wirtschaftlicher und religiöser Hinsicht entscheidend mitbestimmt. Er war Bankier aus Passion, Liberaler aus Oberzeugung und Jude aus echter Religiosität.
Bis 1897 gab es in Wanne keinerlei selbständige Geldinstitute. Es existierte lediglich eine Wechselstube der Märkischen Bank in Bochum. Auch die Filiale der Essener Kreditanstalt konnte den wachsenden Finanzbedarf des aufstrebenden Ortes nicht adäquat decken. Die Schwachstellen waren besonders die geringe Entscheidungskompetenz und die Beschränkung auf den einfachen Zahlungsverkehr. Rose erkannte, dass in dieser Situation eine lokale Privatbank die Bedürfnisse des schnellen wirtschaftlichen Wachstums im Bereich der mittelständischen Unternehmen am besten befriedigen konnte. Die Ortsansässigkeit einer Bank sollte dabei eine gute Entscheidungsmöglichkeit für den Finanzbedarf und die Leistungsfähigkeit der Wanner Unternehmen garantieren. Seit 1897 hatte Bernhard Rose als Chef des Textilunternehmens Rose & Co. die finanziellen Probleme der Wanner Geschäftsleute beobachtet.
Am 01. Juni 1906 eröfffnete Rose & Co. ein Bankhaus im Haus Ziethenstraße 1, der heutigen Heinestraße, in der ersten Etage. Mit diesen bescheidenen Anfängen begann die Karriere von Bernhard Rose. Entsprechend der politischen Kultur des Kaiserreiches arbeitete Rose gleichzeitig in den Bereichen Wirtschaft, Politik und Religion. Sein wirtschaftlicher Erfolg war dabei der Grundstein für sein kommunalpolitisches Ansehen. Bald zog das Bankhaus in die Ziethenstraße 3 um und vergrößerte damit auch das Ladenlokal. Mit dem erneuten Umzug auf die damals teuerste Straße von Wanne, die Hindenburgstraße (jetzt Hauptstraße), gelang die Etablierung seiner Bank. 1921 ließ Rose auf der Hindenburgstraße 130 einen für die damalige Zeit fortschrittlichen Neubau errichten. Dieses Gebäude war seiner Zeit voraus, weil es die Abkehr vom Repräsentationsbau und die Hinwendung zum Zweckbau verdeutlichte. Zum 25-jährigen Firmenjubiläum wurde das Gebäude bezogen. In der NS-Zeit vereinnahmte die Stadt Wanne-Eickel das Gebäude als Stadtkasse. 1985 wurde das Haus abgetragen, um einem Ärztehaus Platz zu machen.
Rose war ständig auf der Suche nach Innovationen und erkennte früh das wirtschaftliche Potential einer zivilen Luftfahrt. Er wurde so Mitunterzeichner des Gründungsaufrufs des Westfälischen Luftfahrervereins im Jahre 1912. Der Verein sollte Wanne die Landerechte für Flugzeuge im Bereich zwischen Duisburg und Hamm sichern. Rose wurde Schatzmeister des Vereins und 1913 Finanzier der Rheinisch-Westfälischen Flug- und Sportplatz GmbH, der die Bewirtschaftung des Flugplatzes im Hertener Wald oblag. Das Flugplatzfieber hatte seit 1911 viele Ruhrgebietsstädte gepackt, und so gab es konkurrierende Flugplatzprojekte in Eickel und Nienhausen, gegen die sich Wanne durchsetzen konnte.
Bedingt durch den heimischen Bergbau hatte Rose sich seit 1910 auch auf den Handel mit Aktien, Kuxen (Bergwerksanteilen) und Obligationen spezialisiert. An den Wertpapierbörsen in Düsseldorf und Essen war er mit eigenen Agenten vertreten. Mit besonderem Stolz erfüllte es Rose, dass er als Jude in den Aufsichtsrat der Rhein-Ruhr-Kohle berufen wurde.
Der zweite Pfeiler von Roses kommunalpolitischer Karriere war sein Engagement für die jüdische Gemeinde. Am 01. Oktober 1907 feierte die Synagogengemeinde Wanne-Eickel den Beginn ihrer Selbständigkeit. Am 27. September fanden die ersten Wahlen zum Vorstand und zur Repräsentantenversammlung der jungen Gemeinde statt. Bernhard Rose wurde zum Vorsitzenden gewählt. Roses Stärken lagen in seiner Fähigkeit zu ‚würdigen Ansprachen‘, seinen guten Kontakten zur kommunalen und regionalen Verwaltung und seinem bankkaufmännischen Einsatzwillen. Besonders seine Repräsentationsfähigkeit und sein Verhandlungsgeschick wurden für die neue, unerfahrene Synagogengemeinde von großer Bedeutung. In Gesprächen mit den Amtmännern Berkermann und Winter sowie Landrat zur Nieden konnte Rose diese überzeugen, dass eine Unterstützung der Gründung einer selbständigen Synagogengemeinde Wanne-Eickel auch für Eickel und Wanne von Vorteil wäre. Dabei lag allen Beteiligten die Etablierung eines gesunden Mittelstandes am Herzen sowie die örtliche Verwendung der Synagogensteuer, die bisher nach Bochum abgeführt wurde. Zu religiösen Streitfragen innerhalb der jüdischen Gemeinde nahm Rose wenig Stellung; er verstand seine Aufgabe als Synagogenvorstand vornehmlich in der Vertretung nach außen. Durch diesen Führungsstil war seine Führungsrolle in der Synagogengemeinde nie umstritten. Zahlreiche Formulierungen im Protokollbuch wie ‚Herr Rose schlägt vor und die Versammlung beschließt…‘ dokumentieren dies deutlich.
Auf politischer Ebene war Rose ein klassischer Vertreter des Deutschen Liberalismus. Schon früh schloss er sich der liberalen Geistesrichtung an, für die er auf lokalpolitischem Gebiet arbeitete. Bis zu seinem Ausscheiden aus der aktiven Politik 1923 setzte er sich für eine Vereinigung der Ämter Wanne und Eickel ein. Die Förderung und Unterstützung des Mittelstandes blieb jedoch der Kernpunkt seiner politischen Bemühungen. Diese Mittelstandsorientierung wird auch durch die Tatsache verdeutlicht, dass Rose 1907 – 1915 von der II. Abteilung der Wanner Bürger als Gemeindeverordneter gewählt wurde. Im Preußischen Dreiklassenwahlrecht war die Stimmabgabe vom Steuerbetrag abhängig. Nach dem Ersten Weltkrieg schloss sich Bernhard Rose der Deutschen Demokratischen Partei an und wurde im Frühjahr 1919 wieder in die Gemeindevertretung des Amtes Wanne gewählt. Ab 1920 nahm sowohl die politische wie auch die synagonale Tätigkeit Roses eine einschneidende Wende, als Wilhelm Hering in Wanne die erste Ortsgruppe der Deutschsozialistischen Partei im Ruhrgebiet gründete. Dieser Partei – von Julius Streicher gegründet – gehörte auch Adolf Hitler an. Die Ortsgruppe entwickelt eine Serie polenfeindlicher und antisemitischer Aktivitäten. Im März 1922 kam es zum Eklat. Hering hatte Hitlers Chefideologen Gottfried Feder nach Wanne eingeladen. Die Sozialdemokraten und die Liberalen gingen unter Führung Roses ebenfalls in die Veranstaltung und setzen Feder derart zu, dass die Veranstaltung abgebrochen wurde. Rose setzt sich für die Entlassung Herings ein, der zu dieser Zeit noch in kommunalen Diensten stand, wodurch er zum Hauptgegner des Frühnazis avancierte.
Doch nicht die Nazis waren es, die Roses Lebenskraft brachen. Die Inflation, die sein Lebenswerk zu vernichten drohte, brachte Bernhard Rose im wahrsten Sinne des Wortes um den Verstand. Auf dem Höhepunkt der Geldentwertung musste er in eine Nervenklinik eingeliefert werden. Wenig später starb er als gebrochener Mann. Die Privatbank Rose & Co. erlitt das Schicksal vieler kleiner Banken, die sich nicht in ausländischen Währungen abgesichert hatten, sondern allein auf die deutsche Wirtschaft vertrauten: Sie stellte ihren Betrieb ein.
Über Roses Tod hinaus blieb seine Stiftung zur Förderung Wanner und Eickeler Kriegswaisen bestehen. Die ‚Rose-Stiftung‘ wurde an 28. Oktober 1918 mit 15.000,00 Reichsmark gegründet, welche kurz danach auf 25.000,00 RM aufgestockt wurde. Bis 1922 förderte die Stiftung ausschließlich nichtjüdische Kinder. Die Stiftung war von Beginn an ein Politikum, obwohl sie nach Roses Willen aus allen politischen Querelen der Zeit herausgehalten werden sollte. So bat er am 25. März 1920 Amtmann Weiberg, dem Gemeinderat nicht mitzuteilen, dass er nochmals 10.000,00 RM gespendet hatte. ‚In den jetzigen Zeiten könnten in der Öffentlichkeit daraus falsche Schlüsse gezogen werden, selbst dann, wenn betont wird, die Stiftung sei schon zu einer Zeit erfolgt, als man an die 2. Revolution noch nicht denken konnte‘. Die Inflationszeit machte auch die Stiftungserträge für einige Jahre wertlos. Erst durch die 15 %ige Goldmarkaufwertung 1929 wuchs der Wert der Stiftung wieder an. Mit der Machtübernahme 1933 bemächtigen sich die Nazis auch der ‚Rose-Stiftung‘. Ohne Nennung des Stifters begann die lokale NSDAP mit der Verteilung des Geldes. Unter dem neuen Namen ‚Kriegerwaisenstiftung‘ wurden von jetzt ab meist Kinder von SA-Leuten gefördert, die sich in der ‚Kampfzeit‘ für die NSDAP eingesetzt hatten. Um die Herkunft des Geldes zu vertuschen, ließen NS-treue Beamte die Akten über die ‚Rose-Stiftung‘ offiziell als verloren erklären. Die Stiftung war 1937 wieder die zweitgrößte kommunale Stiftung in Wanne-Eickel. Doch die Raffgier der NSDAP war mit der bisherigen Regelung über die Verteilung des Rose-Geldes nicht befriedigt. Ende 1937 löste Oberbürgermeister Günnewig die Stiftung auf und verwendete das Geld für den Ausbau des Wanne-Eickeler HJ-Heims.
Kurt Tohermes
Aus: Sie werden nicht vergessen sein – Geschichte der Juden in Herne und Wanne-Eickel, Eine Dokumentation zur Ausstellung im Stadtarchiv Herne vom 15. März bis zum 10. April 1987, Hrsg. Der Oberstadtdirektor der Stadt Herne, 77 Seiten, Herne 1987, Seiten – Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Stadt Herne.