Die jüdische Bevölkerung im Gebiet der heutigen Stadt Herne gehörte bis 1889 zur Synagogengemeinde Bochum. Der weite Weg dorthin führte dazu, dass die hiesigen Juden begannen, eigene Gottesdienste abzuhalten. Die Herner Juden mieteten hierfür eine Wohnung auf der Von-der-Heydt-Straße 3 an, die jedoch bald den Bedürfnissen der wachsenden Gemeinde nicht mehr genügte. Um weitergehende Pläne zu realisieren, war die Gründung einer rechtlich selbständigen Kultusgemeinde notwendig. Nur so konnte man beispielsweise eine Anleihe zum Bau einer eigenen Schule mit Betsaal bekommen. Mit Unterstützung des damaligen Amtmannes Hermann Schaefer gelang die rechtliche Anerkennung sehr schnell, und er war es auch, der sich für eine Anleihe von 10.500,- Mark bei der Ämtersparkasse Herne–Eickel–Wanne einsetzte. Diese Summe wurde für den Bau eines Schulgebäudes in der Schulstraße 4 benutzt, das an Samstagen und Feiertagen zu sakralen Zwecken genutzt werden konnte. Schon am 12. Juli 1889 wurde der neue Betsaal im Beisein eines Regierungsvertreters feierlich eingeweiht.
Weit schwieriger gestaltete sich die Gründung der Synagogengemeinde Wanne-Eickel. Im Herbst 1897 bildete sich in Wanne ein ‚Provisorischer Ausschuß‘, der langfristig die Loslösung von der Bochumer Synagogengemeinde zum Ziel hatte. Erstes organisatorisches Ziel war die Gründung einer Beerdigungsbruderschaft (Chewra Kaddischa). Aus solchen Vereinen waren schon in einigen deutschen Städten Synagogengemeinden hervorgegangen. Es ist allerdings erstaunlich, dass die Gründung der Bruderschaft erst mehr als vierzig Jahre nach der Einrichtung eines eigenen Friedhofs erfolgte. Treibende Kraft der Gruppe war der Versicherungsagent Joseph Hirsch. Ein Jahr später stellten die Wanner Juden beim Regierungspräsidenten in Arnsberg den Antrag auf Gründung einer Synagogengemeinde, der aber abgelehnt wurde. ‚Die im Amtsbezirk Wanne wohnenden Israeliten sind allein nicht hinreicheqd leistungsfähig; die Leistungsfähigkeit der in Vorschlag gebrachten Synagogengemeinde würde selbst dann nicht ausreichend sein, wenn die Israeliten aus dem Amtsbezirke Eickel der neu zu gründenden Gemeinde angeschlossen würden, ganz abgesehen davon, daß letztere an der Gründung einer Synagogengemeinde zu Wanne kein Interesse haben.‘ Nach dieser Enttäuschung mussten sich die Wanner Juden einen anderen Betsaal suchen. Bisher hatte man sich im Haus Bahnhofstr. 5 (jetzt Hauptstraße) getroffen und zog nun in die Gelsenkircher Straße 6 um. Doch da auch dies sich nur als eine Zwischenlösung erwies, suchte man weiter nach einer Wohnung, in der man eine Wand entfernen konnte, um einen genügend großen Raum zu erhalten. Die Synagogengemeinde Bochum, die weiterhin rechtlich für die Wanner Juden zuständig war, lehnte darüber hinaus noch den Erlass der Kultussteuer ab, obwohl die Wanner Juden das Geld für ihre Mietaufwendungen dringend benötigten.
Trotz aller Widrigkeiten ließ Hirsch in seinen Bemühungen nicht nach, die mehr als hundert Wanner Juden in die Selbstständigkeit zu führen. Bei seiner Arbeit wurde er von den Amtmännern Friedrich Winter (Wanne) und Karl Berkermann (Eickel) unterstützt. Die Einbeziehung der Eickeler Juden in die zu gründende Gemeinde war jedoch schwierig. Ein Grund lag in der 1896 eröffneten Straßenbahn Eickel-Wanne. Mit ihr konnte man die Bochumer Synagoge bequem erreichen, und deshalb wollten die Eickeler Juden nur dann beitreten, wenn eine später zu bauende Synagoge und Schule südlich der Eisenbahn entstehen würde. ‚Wäre das aber nicht möglich, so würde ein Verbleiben bei Bochum vorgezogen. Zu dieser Stadt hatten sie noch manch andere Verbindung und würden den Tempel dorthin fast ebenso schnell erreichen, wie später eventuell nach dem nördlichen Wanne‘. So dauerten die Verhandlungen zwischen den Amtmännern, dem Landrat und den Juden in Eickel und Wanne bis 1907. Am 01. Oktober dieses Jahres wurde die Synagogengemeinde Wanne-Eickel rechtlich selbständig, wobei die Eickeler durchsetzten, dass die Synagoge südlich der Bahn in der Langekampstraße gebaut werden sollte. Auch für die kommunalen Spitzen in Wanne und Eickel konnte die Gründung als Erfolg gewertet werden, zeigten sie doch, dass Eickeler und Wanner in zähen Verhandlungen unter einen Hut gebracht werden konnten. Die gewählte Führung der neuen Synagogengemeinde nahm sofort den Bau der Synagoge in Angriff, und es dauerte keine drei Jahre, bis das Gebäude eingeweiht werden konnte. Unter Anteilnahme der lokalpolitischen Spitzen und mit musikalischer Umrahmung durch das Musikkorps des Inf.-Regts. Nr. 56 aus Wesel wurde die Synagoge ihrer Bestimmung übergeben. Das Haus enthielt außer den Sakralräumen auch die jüdische Volksschule und eine Lehrerwohnung. Innen wie außen war das Synagogengebäude durch eine schlichte Funktionalität gekennzeichnet.
Im Gegensatz dazu wollten die Herner Juden ihre Synagoge als repräsentatives Sakralbauwerk errichten, welches auch äußerlich zeigte, dass die jüdische Kultusgemeinde nun nicht mehr hinter den christlichen Kirchen zurückstehen würde. Architektonisch ging man in Herne deshalb andere Wege als in Wanne-Eickel. Während die dortige Synagoge mit ihrem Treppengiebel deutlich an kleinere Synagogen am Niederrhein oder in den Niederlanden erinnerte, entstand die Herner Synagote in Anlehnung an westfälische Synagogen, wie sie in Münster und Detmold erbaut wurden. Dass beide Synagogen jedoch von liberalen Gemeinden gebaut wurde, wird durch den Verzicht auf ein rituelles Bad (Mikwe) deutlich. In der Gestaltung des Inneren spiegelte sich das Selbstbewusstsein der Herner Juden wieder. Großzügige Bleiverglasungen, Eichenportal mit Bronzebeschlägen und eine mit einem Marmorbrunnen versehene Vorhalle gaben dem Gebäude seine gediegene Atmosphäre, wozu auch die ausgezeichnete Akustik beigetragen hatte. Die Synagoge wurde deshalb bis 1933 auch zu weltlichen Konzerten benutzt. An der Einweihungsfeier im Juni 1911 nahm die politische und wirtschaftliche Prominenz der Stadt Herne teil.
Mit der Einweihung der Synagogen war die Etablierung der jüdischen Gemeinden abgeschlossen. Für die Herner und Wanne-Eickeler Juden war der Zeitraum zwischen 1890 und 1914 sicher als derjenige anzusehen, in dem sie der gewünschten Assimilation am nächsten kamen.
Kurt Tohermes
Aus: Sie werden nicht vergessen sein – Geschichte der Juden in Herne und Wanne-Eickel, Eine Dokumentation zur Ausstellung im Stadtarchiv Herne vom 15. März bis zum 10. April 1987, Hrsg. Der Oberstadtdirektor der Stadt Herne, 77 Seiten, Herne 1987, Seiten 15 bis 19 – Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Stadt Herne.