Entscheidungen

Ende Januar 1973 kristallisierte sich heraus, dass das Städteverbandsmodell keine Mehrheit im Landtag bekommen und die Neugliederung im Ruhrgebiet am Städte- und Kreismodell orientiert werden würde. Die folgenden Monate des Jahres 1973 waren daher auf lokaler Ebene in der Emscherzone von dem Bemühen gekennzeichnet, einen Gebietsänderungsvertrag zwischen den vier Emscherstädten zu einer Einheitsstadt unter Dach und Fach zu bekommen. Herne, Wanne-Eickel und Castrop-Rauxel war mehr an dieser Lösung gelegen als der Stadt Recklinghausen, drohte der Veststadt doch nur der Verlust der Kreisfreiheit, wohingegen die drei anderen Städte um ihr Bestehen kämpften. Gleichzeitig gab es bereits ab Anfang 1973 immer häufiger Hinweise, dass Herne und Wanne-Eickel zu einer Stadt zusammengehen könnten. Bis Mai 1973 liefen im wesentlichen zwei Handlungsstränge parallel ab: An der Emscher forcierte man die Vorarbeiten für den Abschluss eines Gebietsänderungsvertrages zwischen den vier Städten, auf Landesebene verhandelte man in den Parteigremien verstärkt über die Bedingungen für einen Zusammenschluss von Herne und Wanne-Eickel.

Vorstellung des Faltblatts ‚Unser Modell zur Neugliederung‘, 22.9.1972 (Stadtarchiv Herne)

Aufgrund der monatelangen Vorbereitungen für einen Städteverbund von Herne, Wanne-Eickel, Castrop-Rauxel und Recklinghausen war es ihren Vertretern möglich, bereits am 8. März 1973 über den Entwurf eines Gebietsänderungsvertrags zu diskutieren. Am 10. April 1973 lag die endgültige Version unterschriftsreif vor. Der Gebietsänderungsvertrag für die „Viererstadt“ sah vor, dass Rechtsnachfolgerin der vier Städte eine neue Stadt Recklinghausen werden sollte. Der Hauptausschuss von Wanne-Eickel beschloss am 30. April 1973 einstimmig diesen Vertrag, der Herner Hauptausschuss stimmte am selben Tage mit SPD-Mehrheit zu. Die CDU lehnte ab und plädierte für einen Zusammenschluss von Herne, Wanne-Eickel und Castrop-Rauxel. Recklinghausen und Castrop-Rauxel wiederum spielten auf Zeit. Letztendlich kam auch diese Variante des Ostendorf-Plans nicht zum Zuge.

Entwurf für den Gebietsänderungsvertrag Viererstadt (Stadtarchiv Herne)

Denn die großen Landtagsfraktionen SPD und CDU favorisierten mittlerweile andere Lösungen: Der Zusammenschluss von Herne und Wanne-Eickel zu einer neuen Großstadt sowie die Aufnahme von Castrop-Rauxel und Recklinghausen in den Kreis Recklinghausen. Mit den Entscheidungen der beiden großen Fraktionen war im Mai 1973 das „Neugliederungsspiel“ für den Kernbereich des Ruhrgebietes im Wesentlichen zu Ende.

In der Presse wurde die Entscheidung für eine Städteehe von Herne und Wanne-Eickel als die zweitschlechteste nach der Eingemeindung nach Bochum bezeichnet. Schlüssige Begründungen für diese Lösung vermisste man. Die von den Städten vorgetragenen Stellungnahmen und Gutachten hielt man für nicht berücksichtigt.

Die Reaktionen in den beiden Emscherstädten waren ähnlich. „Die „Minimallösung“ der Zweierstadt sei jeder Eingemeindung oder einem Mehrzweckpflichtverband mit Bochum allemal vorzuziehen, so die Stellungnahme der Stadt Herne. Der Landtagsabgeordnete Willi Pohlmann hielt nach wie vor die Vierer- oder Dreierlösungen (Städteverbund Herne, Wanne-Eickel und Castrop-Rauxel) für die besseren, aber er begrüßte, dass Eingemeindungen großen Stils nicht stattfänden. In der Bürgerillustrierten ‚Unsere Stadt‘ des Presse- und Informationsamtes der Stadt Herne, Ausgabe 1-73, beschrieb man die künftige neue Stadt als Gebilde „aus der Retorte, eingepfercht vom übermächtigen Kreis Recklinghausen und den Großstädten Bochum und Gelsenkirchen, ohne wirksame Anbindung an das Entwicklungsgebiet im Norden. Nur die Eingemeindung ist noch schlechter“. Wanne-Eickels Landtagsabgeordneter Helmut Hellwig hielt das Ergebnis für sehr gut und die vielen Gespräche für fruchtbar. Es sei zwar nicht die beste Lösung, aber Politik sei die Kunst des Möglichen und die Viererstadt sei nunmal nicht durchzusetzen gewesen. Im Übrigen werde man zusammen mit Herne das Bestmögliche für die Region erreichen.

Jürgen Hagen, Erstveröffentlichung des ursprünglichen Textes:  „Die Liebe aber kommt im Bett… – Die Geschichte der Städteehe von Herne und Wanne-Eickel“. Jürgen Hagen. In: „Der Emscherbrücher“ Band 17 (2016/17). Seiten 44 bis 46. Herausgegeben von der Gesellschaft für Heimatkunde Wanne-Eickel e. V. Herne 2016.