20. Juni 1921 – 85 Tote bei einer Explosion auf der Zeche Mont Cenis

Untersuchungskommission des Deutschen Reichstags vor Ort in Sodingen: Arbeitsbedingungen verstießen massiv gegen die  Sicherheitsvorschriften

Am 02. Juli 1921 trat der amtierende Reichsarbeitsminister Dr. Brauns ans Rednerpult im Deutschen Reichstag in Berlin und begann mit folgenden Worten seine Rede zum Grubenunglück vom 20. Juni 1921 auf der Zeche Mont Cenis im Amt Sodingen :

„Meine Damen und Herren! Die traurige Kunde von dem Unglück auf der Zeche Mont Cenis hat unser gesamtes deutsches Volk aufs Tiefste erschüttert. Wir sind in den letzten Jahren zwar an Leid und Tod gewöhnt, und der Bergbau hat auch sonst zahlreiche Opfer gefordert, aber so unerwartet mitten in friedlicher Arbeit über 80 blühende Menschenleben auf dem Felde der Arbeit fallen zu sehen, das ist doch eine furchtbare, eine erschütternde Katastrophe.

Wir trauern über die Toten, die ihrem Beruf zum Opfer gefallen sind, wir bedauern auf innigste die Hinterbliebenen und sprechen allen diesen Hartgeprüften unser herzliches Beileid aus.

Die Reichs- und Landesregierung glaubt im Sinne der Hinterbliebenen zu handeln, wenn sie von dieser Stelle aus öffentlich vor dem ganzen Volk auch allen denen aufrichtigen Dank ausspricht, die sich um die unglücklichen Opfer dieser Katastrophe bemüht haben. Sie tut das in erster Linie gegenüber den Kameraden der Verunglückten, die sich mit eigener Lebensgefahr am Rettungswerk beteiligt haben. Das war in der Tat echte Bergmannstreue…“ (Stenographisches Protokoll, Deutscher Reichstag, 129. Sitzung, Samstag, den 2. Juli 1921, S. 4307) 

An diesem Tag debattierten die Abgeordneten des Deutschen Reichstags in Berlin über das schwerste Grubenunglück in diesem Jahr 1921. In der Nähe der Sodinger Zeche Mont Cenis passierte im April 1921 in der weiteren Nachbarschaft an der Stadtgrenze Herne und Bochum auf der Zeche Constantin eine schwere Schlagwetter- und Kohlenstaubexplosion mit 19 Toten.

Die Bergarbeiterzeitung, Organ des Verbandes der Bergarbeiter Deutschlands, titelte in der vierzehntägig erscheinenden Zeitung „Schon wieder ein Massengrab!“. Als Ursache gab die Bergarbeiterzeitung eine schwere Gas- und Kohlenstaubexplosion für das Unglück an, das an einem Montagvormittag um 11 Uhr passierte.

Im Abschnitt „Wie sie starben“ wurde Folgendes ausgeführt:

„Mont Cenis! Regenschwer und grau der Himmel. Geräuschvoll arbeitet das Uhrwerk der Tagesanlagen. Eisenbahnwagen, leere und beladene, werden rangiert, auf den Hängebänken ohrenbetäubender Lärm, die Fördermaschinen fauchen laut, ungleichmäßig, oft wild, als läge ein Unwille darin, dazwischen das weniger laute Brummen des Ventilators und das taktmäßige Fauchen seiner Antriebsmaschine. Die Schwingen des Ventilators saugen unaufhörlich an dem Grubenbau, bringen Luft und Leben in die Strecken und werfen die verbrauchten, mit Giftgasen und Menschendunst durchsetzten Wetter hinaus. Tief unten ist Leben, und diejenigen, deren Schweißdunst der Ventilator saugt, sie schaffen, und was sie erschafft haben, kommt in hunderten kleinen Förderwagen zutage: es ist der Lebensquell der Menschheit – die Kohle!

Unten in der Abteilung – vor allen Betriebspunkten emsiges Schaffen, in den Bremsbergen, Strecken, Streben ist Leben, Bewegung – keuchende, schwitzende Menschen. Ab und zu kracht irgendwo ein Sprengschuss und erschüttert das Gebirge, der Luftstoß wirbelt den reichlich vorhandenen Kohlenstaub auf. Die Luft ist unerträglich, Sprengstoffgase, Kohlenstaub, Schweißdunst sind überall zu spüren. Aber die Hast – die Hast, mit welcher die Menschen arbeiten… Es kracht ein Sprengschuss, statt des gewohnten geringen Luftstoßes folgt ein dumpfer, gewaltiger Schlag, eine rotglühende Stoßwelle durchzuckt den Bau, keinen Widerstand duldend. Wagen, Hölzer, Schienen, Menschen – Menschen – wirbeln in rotglühender Flamme wie Blätterlaub im Orkan… Wenige Sekunden nur dauert dieser Feuertanz, den zu schildern es keine dramatische Wucht gibt, dann tiefe Dunkelheit, nur an einigen Stellen glimmt es rot im giftgelben Schwaden, welcher mit einer unbeschreiblichen Dichte den Bau ausfüllt. Der Bau brennt an mehreren Stellen, einige Brände erlöschen infolge Sauerstoffmangel, andere glimmen weiter, um beim einsetzenden Luftzug aufzuflammen.

Und die Menschen? Ihre Leiber liegen zerschmettert, verbrannt, durch den Bau verstreut. Nach der Explosion einen Augenblick Totenstille, das letzte Röcheln der nicht vollständig Zerrissenen, dann Jammern – oft wilde Schreie – der Schwerverletzten. Die Giftschwaden geben ihnen den Rest und in wenigen Augenblicken ist auch deren letztes Röcheln verklungen… Totenstille…

Über Tage erschrickt man, ein Stoß, im Ventilator macht sich ein Ruck bemerkbar, doch läuft er bald wieder regelmäßig, um bald dicken gelben Rauschwaden aus der Grube zu schleudern. Mit diesem schleudert er den Lebensgeist derer ins Weltall, die unten den Lebensquell der Menschheit holten.

Bergung eines Verunglückten der großen Grubenkatastrophe von Mont Cenis, Repro Hendrik Gerling

Sie starben für die Allgemeinheit, auch für jene, welche von irgendeiner sicheren Stelle – von Schreibtischen, Weinstuben, Parlamentstribünen – gegen die Unzufriedenheit der Bergleute wetterten. Jene sollte man gewaltsam zum Schacht schleppen, sie sollten die verkohlten, zerschmetterten Leiber und all das Grauen sehen…“ (Bergarbeiterzeitung, Nr. 27, Bochum, 2. Juli 1921)

Die Zechenleitung der Zeche Mont Cenis reagierte mit einer beispiellosen Provokation auf dieses katastrophale Grubenunglück: zum Ausdruck der Trauer ließ die Direktion die Zeche beflaggen, aber mit der schwarz-weiß-roten Fahne der Monarchie, der Fahne der Kriegstreiber und Militaristen knapp drei Jahre nach der Novemberrevolution von 1918. Die Belegschaft der Zeche Mont Cenis unter der Führung des kommunistischen Betriebsrates sah sich veranlasst aus Protest gegen diese Maßnahme in einen eintägigen Streik zu treten.

Im Deutschen Reichstag stellten die Fraktionen der Unabhängigen Sozialdemokraten (USPD) und des Zentrums Große Anfragen an die Regierung über die Ursachen der Katastrophe auf der Zeche Mont Cenis und über die Konsequenzen zur Verhütung solcher Unglücke.

Die Große Anfrage des Zentrums, versehen mit den Namen Imbusch und Trimborn, wurde bereits einen Tag nach dem Unglück im Parlament eingebracht und lautete: „Auf der Zeche Mont Cenis in Westfalen ereignete sich am 20. Juni ein folgenschweres Grubenunglück. Ähnliche Unglücke ereigneten sich in den letzten Jahren, wenn auch in geringerem Umfang, mehrfach. Es besteht auch die Gefahr weiterer ähnlicher Unglücke. Ist die Reichsregierung bereit, Auskunft zu geben über die Ursachen des Unglücks? Welche Maßnahmen will sie ergreifen, um solche Katastrophen in Zukunft zu verhüten? Berlin, den 21. Juni 1921, Imbusch, Trimborn und Fraktion.“ (Aktenstücke, Deutscher Reichstag, Nr. 2249, S. 1935)

Die Große Anfrage der USPD lautete ähnlich, nur mit zwei Zusätzen. „Ist die Reichsregierung ferner bereit, die Rechte der Betriebsräte in dem Sinne zu erweitern, dass dieselben mitbestimmen können, welche Vorsichtsmaßregeln zur Verhütung von Unglücksfällen auf den Zechen eingeführt oder aufgehoben werden sollen? Berlin, den 22. Juni 1921, Ledebour und Fraktion.“ Am selben Tag reichte die USPD-Fraktion einen Antrag ein, dass der Reichstag eine Kommission zur Untersuchung der Ursachen des Grubenunglücks einsetzt. (Aktenstücke, Deutscher Reichstag, Nr. 2268 und 2269, S. 1963 ) Die SPD-Fraktion mit ihrem Sprecher Otto Hue unterstützte im Unterschied zu den bürgerlichen Parteien die Einsetzung der Untersuchungskommission.

Aktenstücke, Deutscher Reichstag, Nr. 2248, 2249, 2250, Repro Norbert Kozicki

Und dann kann man einen ungewöhnlichen Vorgang beobachten: Noch am selben Tag – am 22. Juni 1921 –  waren die Anfragen und der Antrag der USPD Gegenstand der Debatte im Deutschen Reichstag. Der Parlamentspräsident Löbe bat den Reichsarbeitsminister um eine Beantwortung der Frage, wann die Regierung die Großen Anfragen der beiden Fraktion beantworten wird. Braun versprach innerhalb von acht Tagen auf die Anfragen zu reagieren. Im Rahmen der Geschäftsordnung erhielt der USPD-Abgeordnete Ledebour das Wort. Er brachte den Wunsch in den Reichstag ein, dass die Untersuchungskommission zu den Unglücksursachen auf der Zeche Mont Cenis sofort eingesetzt wird. Formal konnte Parlamentspräsident Löbe sofort dem nicht folgen. Er wollte nach Drucklegung und Verteilung des Antrags die Angelegenheit auf die laufende Tagesordnung setzen. Otto Hue (SPD) ergriff ebenfalls das Wort und richtete eine weitere Bitte an den Reichsarbeitsminister Braun: „Ich will aber die Gelegenheit wahrnehmen, an den Herrn Reichsarbeitsminister die dringende Bitte zu richten, bei der Untersuchung der Ursache dieses Unglücks auch Arbeitervertreter, in erster Linie die Betriebsratsmitglieder, heranziehen zu lassen, die Untersuchung nicht allein den Bergbehörden zu überlassen.“ Reichsarbeiterminister Braun antwortete: „Ich werde den zuletzt ausgesprochenen Wunsch dem preußischen Handelsministerium sofort übermitteln. In erster Linie ist natürlich das preußische Handelsministerium für diese Untersuchung zuständig und hat sie auch schon eingeleitet. Ich werde also Ihren Wunsch sofort übermitteln.“ Das Protokoll vermerkt an dieser Stelle „Zuruf bei den Unabhängigen Sozialdemokraten: Drücken Sie ein bisschen drauf !“.  (Stenographisches Protokoll, Deutscher Reichstag, 120. Sitzung, Mittwoch, den 22. Juni 1921, S. 4057)

Am 02. Juli 1921 kam es im Deutschen Reichstag zu einer umfassenden Erörterung der Unglücksursachen von Sodingen. Auf insgesamt 45 Seiten stenographierten die Reichstagsangestellten die Wortbeiträge zu den schon zitierten Großen Anfragen der Fraktion der Zentrumspartei und der Unabhängigen Sozialdemokraten (USPD).

Heinrich Imbusch, Abgeordneter des Zentrums und Vorsitzender des Gewerkvereins christlicher Bergarbeiter eröffnete die Aussprache mit einer sehr differenzierten Darstellung zu den Unglücksursachen auf der Zeche Mont Cenis. An dieser Stelle werden die sachlichen Darstellungen von Imbusch wiedergegeben:

Ausgehend von der Frage, weshalb war das Unglück möglich, skizzierte er die statistische Entwicklung im Ruhrbergbau von 1913 bis 1920. Einige Wochen vorher gab es auf der Bochumer Zeche Constantin eine gewaltige Explosion, die 19 tote Bergarbeiter forderte. In den Jahren 1918 bis 1920 kam es im Gebiet des Zechenverbandes im Ruhrrevier zu 33, 23 und 15 größeren Explosionen auf den Bergwerken.

Die Zeche Mont Cenis baute Gaskohle und im Süden der Zeche Fettkohle ab. Die Explosion ereignete sich auf der fünften Sohle im Revier des Steigers Bottermann. Es wurden dort die Flöze Gustav, Gretchen und Mathias abgebaut. Da die drei genannten Flöze nahe beieinander lagen, waren sie für den Abbau mit Querschlägen verbunden. Von der Explosion wurde das Flöz Mathias am schlimmsten, Gustav am wenigstens betroffen. Die Explosion war so gewaltig, dass auch andere Abbauorte von der Druckwelle erfasst wurden. Eine der Folgen war, dass die Wetterführung im Bergwerk erheblich gestört und teilweise zerstört wurde. Imbusch führte aus, dass im Bergbau nicht alle Unfälle zu verhindern waren. Solche Massenunglücke wie auf der Zeche Mont Cenis „dürften aber nicht vorkommen“. Die Wetterführung in den Gruben musste so gestaltet sein, dass die Ansammlung von Schlagwettern verhindert wurde. Schlagwetter sind Grubengase, die sich mit Luft vermischen. Wenn die Grubenluft 5 bis 14 Prozent dieser Gase (Methan) enthält, ist das Gemisch explosiv. Als zweite Technik zur Verhinderung von Explosionen unter Tage dienen die Wasserberieselungsanlagen, die den beim Abbau entstehenden Kohlenstaub relativ binden, denn auch Kohlenstaub kann explosiv entzündet werden.

Die erste allgemein gültige Antwort nach den Ursachen des Unglücks in Sodingen ist: es war eine gewaltige Kohlenstaubexplosion. Imbusch führte dazu im Reichstag aus:

„Auf der Zeche Mont Cenis haben wir es mit einer gewaltigen Kohlenstaubexplosion zu tun. Daran ist gar kein Zweifel. Die bergtechnisch vorgebildeten Mitglieder des Untersuchungsausschusses sind auf der Grube im Unglücksrevier angefahren. Herr Braß hat uns dabei begleitet. Wir haben festgestellt, dass wirklich eine starke Kohlenstaubexplosion erfolgt ist. Die Untersuchung ist noch nicht endgültig abgeschlossen… Der allgemeine Eindruck des Unglücksreviers ist ein guter. Die Bewetterung ist in dem Revier gut. Sie ist sehr einfach, so dass möglichst wenig Ecken entstehen, in denen sich Schlagwetter ansammeln können.“

Die weiteren Darstellungen der Situation vor Ort von Imbusch sind überaus positiv und man fragt sich, warum es zu dieser Katastrophe kommen konnte. Unter anderem sprach er von einem guten Verhältnis von Zechenleitung und Betriebsrat. Das Beispiel der Beflaggung anlässlich des Unglücks verdeutlicht etwas anderes.

Die Beurteilung, dass die Bewetterung allgemein gut war, relativierte Imbusch interessanterweise in seinen weiteren Ausführungen. „Dann aber zeigten mir die Zeugen- und Sachverständigenaussagen doch, dass auf der Grube auch einige Gefahren und Mängel vorhanden sind, dass die Grube auch ihre Tücke hat. Der Einfahrer, also der Vertreter der Bergbehörde, hatte einige Mal verdächtige Mengen von Schlagwettern gefunden. Insbesondere ist mir aufgefallen, dass einmal, wo ein Bruch entstanden war, in ganz kurzer Zeit sich eine ganz gefährliche Menge von Schlagwettern angesammelt hatte. Weiter hatte der Betriebsausschuss schon einmal einige Beriebspunkte stillgelegt.“

Imbusch konstatierte – was von weiteren Redner bestätigt wurde -, dass der Wetterkontrolleur, der vor der Anfahrt der Belegschaft das Revier zu kontrollieren hat, ein viel zu großes Areal zugewiesen bekam, d.h. er konnte seiner bergpolizeilichen Verpflichtung überhaupt nicht nachkommen. Weiterhin wies Imbusch daraufhin, dass laut Wetterbuch seit März keine Schlagwetter aufgetreten seien. Er bezeichnete das als „ihm persönlich unangenehm“, eine schöne Umschreibung für das Wegprotokollieren von Gefahren. „Ich halte es kaum für möglich, dass auf einer Grube mit Schlagwettervorkommen bei guter Prüfung in Monaten nirgendwo Schlagwetter gefunden werden. Dann biete auch Anlass zu Bedenken die Tatsache, dass im letzten halben Jahre drei Schlagwetterexplosionen geringeren Umfangs (auf der Zeche Mont Cenis) stattgefunden haben. Das zeigt auch, dass man da vorsichtig sein muss.“

Imbusch berichtete, dass „mit großem Eifer“ von der Untersuchungskommission nach dem Ort der Explosion gesucht wurde. Es kamen da mehrere Arbeitsstellen in Frage. Aber die nähere Prüfung ergab, dass nur eine Strebe in „Mathias-Osten 4“ in Frage kommen konnte und dass ein Schuss die Ursache der Entzündung war. An diesem ermittelteten Ort war die Koksbildung außerordentlich stark.

Im weiteren Verlauf seiner Ausführungen zitierte Imbusch aus dem vorläufigen Bericht des Untersuchungsausschusses.

„Das Ergebnis der Untersuchung kann nur als vorläufiges bezeichnet werden. Die Aufnahme des Reviers, in dem die Explosion erfolgte, ist noch nicht vollendet. Die Bergpolizei konnte daher die Erlaubnis für die Inangriffnahme der Aufräumungsarbeiten noch nicht geben. Es besteht die Möglichkeit, dass nach erfolgter Aufräumung weiteres Material zutage tritt. Dieses vorausgeschickt, hält der Untersuchungsausschuss folgendes fest:

1. Die Bewetterung des Reviers, in dem das Unglück stattfand, war nach Aussage der Zeugen und Sachverständigen gut.

2. Die Belegschaft des Unglücksreviers war ausschließlich mit elektrischen Grubenlampen am Tage des Unglücks zur Vornahme der vorgeschriebenen Wetteruntersuchungen Benzinsicherheitslampen empfangen.

3. Die Aussagen der Zeugen, der bisherige Stand der verschiedenen im Gange befindlichen Untersuchungen und die Befahrung des Reviers durch die bergtechnisch vorgebildeten Mitglieder des Untersuchungsausschusses haben ergeben, dass höchstwahrscheinlich keine Schlagwetterexplosion, sondern eine Kohlenstaubexplosion stattgefunden hat. Das Urteil der Sachverständigen lautet auf Kohlenstaubexplosion.

4. Die Aussagen vieler Zeugen stimmen darin überein, dass unmittelbar vor der Explosion ein Schuss gefallen ist. Die Sachverständigen sprechen sich ganz bestimmt dahin aus, dass die Explosion durch einen Schuss eingeleitet worden ist.

5. Die Möglichkeit der Berieselung des Reviers war nach Aussage der Zeugen und Sachverständigen vorhanden. Die bergtechnisch vorgebildeten Mitglieder des Ausschusses stellten fest, dass zurzeit ihrer Besichtigung in Flöz Gretchen Ort II etwa 50 Meter Berieselungsrohr fehlte und an einem höher belegenen Ort das Endventil fehlte.

6. Die bergtechnischen Sachverständigen neigen zu der Annahme, dass der Explosionsherd im Flöz Matthias-Osten 4/5 zu suchen ist.

Der Ausschuss wird nach Beendigung der im Gange befindlichen Untersuchung seine Arbeit fortsetzen, um dann möglichst zu einem endgültigen Urteil zu kommen. Er behält sich vor, das im Laufe der Untersuchung gesammelte Material eingehend zu bearbeiten und festzulegen, welche Möglichkeiten nach seiner Meinung bestehen, um in Zukunft Katastrophen, wie die zu Besprechung stehende, so wie wie denkbar vorzubeugen.“

Nach der Verlesung des vorläufigen Berichts der parlamentarischen Untersuchungskommission stellte Imbusch die Frage: „Warum aber der große Umfang des Unglücks?“  Eine Antwort lautete nicht von Imbusch: „Die Zeche Mont Cenis war eine Dreckszeche.“

Imbusch stellte fest, dass eine gewaltige Menge von Kohlenstaub explodierte. Wie das möglich war, kann er nicht erklären. Die befragten Zeugen sagten aus, dass stets gut berieselt wurde. Diese persönliche Einschätzung der Zeugen scheint der christliche Abgeordnete nicht zu teilen. „Tatsache ist, dass sich dort während der Schicht in den Betriebspunkten viel Kohlenstaub bildete. Meines Erachtens hätte mehr, als wirklich geschehen ist, zur Unschädlichmachung des Kohlenstaubes geschehen können.“

Und dann machte Imbusch auf die betriebswirtschaftliche Seite des Zechenbetriebs aufmerksam, die hier dafür sorgte, dass nicht ausreichend für die Sicherheit der Bergleute gesorgt wurde, Stichwort „zu viel Kohlenstaub“. „Dann muss berücksichtigt werden, dass hier in dem Revier auf verhältnismäßig kleinem Raum eine große Zahl von Arbeitern beschäftigt war auf 26 Betriebspunkten. Es ist das natürlich darauf zurückzuführen, dass wir eben den großen Kohlenmangel hatten, dass die Belegschaften vermehrt werden mussten und dass man die einzelnen Betriebspunkte stärker belegen musste.“ An anderer Stelle wurde auch von Imbusch darauf hingewiesen, dass nach dem Ersten Weltkrieg fast 200.000 neue Arbeiter ohne bergtechnische Ausbildung auf den Zechen eingestellt worden sind. Das musste Folgen für die Gestaltung der Arbeitssicherheit haben.

Nach dem Reichstagsabgeordneten Heinrich Imbusch von Zentrumspartei sprach der gebürtige Recklinghäuser und gelernte Bergmann Heinrich Pieper von der USPD. Zu Beginn seiner Ausführungen ging er auf die Unfallstatistik im deutschen Bergbau ein. Nach dem furchtbaren Grubenunglück auf der Zeche Radbod im Jahr 1908 mit 350 toten Bergarbeiter wurden durch Änderung des allgemeinen Berggesetzes die sogenannten Sicherheitsmänner eingeführt. Oft mussten diese Sicherheitsmänner, die teilweise aus den Reihen der Gewerkschaftsmitglieder kamen, feststellen, dass die Zechenleitungen und Grubenbesitzer ihre Vorschläge zur Verbesserung der Arbeitssicherheit unter Tage ignorierten. Das fortgesetzte Ansteigen der Unfallziffern war für Pieper ein Beleg, dass die Einführung des Systems der Sicherheitsmänner nicht den erhofften Erfolg verzeichnete. Pieper wies daraufhin, dass diese Entwicklung von den Gewerkschaften vorausgesagt wurde.

Pieper bestätigte die Darstellung des Abgeordneten Imbusch, dass diese Massenunfälle nicht den größten Teil der Unfälle im Bergbau ausmachten. Nach dem damaligen Bericht der Knappschaftsberufsgenossenschaft ereigneten sich in den Jahren 1911 bis 1914 115.000 bis 123.000 Unfälle. Die Unfallzahlen der Zechen im Ruhrrevier lagen weit über den Zahlen des Deutschen Reiches. Für die Jahre des Ersten Weltkriegs und des Jahres 1919 wurde erst keine Zahlen veröffentlicht. Die Zahlen belegten für Pieper, dass die Unfallzahlen „ganz außerordentlich hoch sind, besonders im Ruhrgebiet“. Danach bilanzierte er umfangreich die Opfer des Bergbaus durch Schlagwetter- und Kohlenstaubexplosionen. Allein in den Jahren von 1906 bis 1919 verzeichnete die Statistik in Preußen in den Steinkohlenbergwerken 429 Explosionsunfälle, mit 1.964 Verunglückten und davon 1.152 toten Bergarbeitern.

„Das sind außerordentliche Zahlen, die Ihnen das ganze Elend des Bergmannsberufes recht drastisch vor Augen führen“, konstatierte Pieper vor dem Plenum des Deutschen Reichstages. Im Weiteren zitierte er aus den Berichten der Knappschaftsberufsgenossenschaft einen internationalen Vergleich mit dem Nachbarland Belgien. Im Jahr 1908 kamen auf 10.000 Mann Gesamtbelegschaft 26,2 tödlich Verunglückte, davon im Revier Bochum 31,1, in Belgien 10,7. Im Jahr 1913 gab es in Belgien 10,5 tödlich Verunglückte und in Bochum 25,9.

Als Ursache für die Katastrophe auf der Zeche Mont Cenis machte Pieper einen Schuss in die Kohle aus. Benzinsicherheitslampen kamen für ihn als Ursache nicht in Frage. Er führte aus:

„Im Unglücksrevier auf Zeche Mont Cenis war nach den Zeugenaussagen und wie wir auch selbst festgestellt haben, eine Berieselungsanlage vorhanden. Der Rieselmeister sagte aus, dass er gerieselt hat. Der Schießmeister bekundet ebenfalls, dass er vor Abgabe eines Schusses stets gerieselt hat. Zeugen sagen ebenfalls, dass gerieselt wurde. Die Aussagen der Zechenverwaltung gehen natürlich dahin, dass alles in bester Ordnung sei. Und trotzdem diese gewaltige Katastrophe! Wenn wir uns dies vergegenwärtigen, müssen wir uns einmal den allgemeinen Betriebszustand vor Augen führen. Da hat der Ausschuss erhebliche Mängel festgestellt.“

Mont Cenis – Alles in bester Ordnung?, Repro Norbert Kozicki

Der Betriebsrat bestätigte dem Untersuchungsausschuss am Schluss der Verhandlungen, dass auf der Sodinger Zeche erhebliche Missstände bestanden. „Wir sagen, der Umfang der Katastrophe konnte nicht so groß sein, wenn alles korrekt in Ordnung war, wie es hätte sein müssen. Jetzt aber versucht man möglicherweise wiederum, die Schuld auf die Arbeiter abzuwälzen“, so Heinrich Pieper im Originalton, und dann ging der Reichstagsabgeordnete Pieper in seine Rolle als gelernter Bergmann zurück und sagte den anwesenden Kollegen: „Also hier macht man direkt die Arbeiter dafür verantwortlich, dass eine Katastrophe entstehen kann. Ich muss schon sagen, gegen derartige Unterstellungen erheben wir als Bergarbeiter den allerschärfsten Protest. Wir sind nicht in der Lage, diese Vorschriften zu befolgen, wenn die Betriebsverwaltungen uns nicht die nötigen Möglichkeiten geben.“

Es schließt sich dann eine Darstellung der sicherheitstechnischen Zustände während des Ersten Weltkriegs auf den Zechen an, als die Bergpolizeivorschriften gelockert wurden. Aufgrund des allgemeinen Materialmangels wurde die Einhaltung und Berücksichtigung der Bergpolizeivorschriften illusorisch. Für die Berieselung des Kohlenstaubs gab es keine Rohre. Folglich wurde die Kohle ohne Berieselung gesprengt. Die vielen Kriegsgefangenen besonders im Ruhrgebiet während des Ersten Weltkriegs, die zwangsweise im Bergbau unter Tage arbeiten mussten, haben aufgrund ihrer fehlenden Erfahrungen zum Ansteigen der Unfallziffern beigetragen. In der unternehmerfreundlichen Presse wurde die Wetterführung auf der Zeche Mont Cenis „lobend anerkannt“. Tatsache war aber, dass nicht die Menge an zugeführter Frischluft im Bergwerk das Problem war, sondern die Durchleitung der Wetter an den Betriebspunkten, wo die Bergarbeiter aktiv waren. Pieper führte aus:

„Auf Mont Cenis haben Schlagwetter gestanden. Sie stehen noch heute da. Grubengas strömt in erheblichen Mengen aus. Beweis ist die ungeheuer schnelle Ansammlung von großen Mengen von Schlagwettern am 04. Februar anlässlich eines Bruches, der eine Förderstrecke zuwarf, sodass die Wetterführung unterbunden wurde, wo dann in kurzer Zeit nicht nur der betreffende Bruch, sondern auch 30 Meter des in der Nähe liegenden Querschlages ebenfalls voller Schlagwetter stand. Der Einfahrer, der zufälligerweise an diesem Tage gerade an der Stelle war, sagte: wenn hier eine Explosion stattgefunden hätte, dann wäre ein zweites Radbod entstanden.“ Vor dem Unglück am 20. Juni 1921 gab es im ersten Halbjahr bereits drei „kleinere“ Schlagwetterexplosionen. Drei Tage nach der Juni-Katastrophe, am 23. Juni 1921 stand bereits ein Ort unter Tage voller Schlagwetter auf der Zeche Mont Cenis.

Pieper resümierte: „ Bei Berücksichtigung aller dieser Umstände können wir mit Recht sagen: Wäre auf Mont Cenis alles in Ordnung gewesen, die Verordnungen der Bergpolizei restlos befolgt, dann durfte diese Katastrophe einen solchen Umfang nicht annehmen.“

Neue Missstände auf Mont Cenis, Repro Norbert Kozicki

Dann stellte Pieper die ontologisch anmutende Frage: Warum entstehen diese Missstände und weshalb werden sie nicht beseitigt? Als Ursache und Grundübel sah er die kapitalistische Wirtschaftsordnung und die autoritäre Struktur auf den Zechen. Er sprach vom Raubbau an der menschlichen Arbeitskraft, die bei niedriger Entlohnung zu einer dramatischen Streßsituation führte – würde man heute formulieren. Der allgemeine Knappschaftsverein Bochum berichtete, dass das durchschnittliche Lebensalter bei der Invalidisierung der Bergarbeiter im Jahre 1919 42,9 Jahre betrug. „Also in einem Lebensalter, wo in den meisten Berufen und Ständen die Männer noch in vollster Kraft stehen, sind die Bergarbeiter bergfertig, invalide.“(Pieper)

Die Sodinger Katastrophenzeche gehörte bei den Löhnen zu den Zechen im Ruhrrevier, die weit unter dem Hauerdurchschnittslohn des Ruhrgebietes ihre Bergarbeiter entlohnte. Auf der Zeche Mont Cenis betrug im Dezember 1920 der Hauerdurchschnittslohn 56,49 Mark. Nach der amtlichen Statistik lag der Durchschnitt im vierten Quartal 1920 für das ganze Ruhrgebiet bei 63,35 Mark. D h. der Verdienst der Hauer auf der Zeche Mont Cenis lag über 12 Prozent unter dem Durchschnittsverdienst des Ruhrreviers.

Heinrich Pieper beendete seine Rede mit der Aufforderung das neben der sofortigen Verbesserung und des sofortigen Ausbaus der Unfallverhütungsvorschriften eine grundsätzliche gesellschaftliche Veränderung erfolgen muss: „Angesichts der Massengräber im Ruhrrevier haben wir aber die Pflicht, alles daran zu setzen und nicht eher zu ruhen, bis wir eine Gesellschaftsordnung bekommen, in der die Ausbeutung des Menschen ausgeschlossen ist, wo der Mensch höher steht als der Profit, wo das Menschenleben, besonders im Bergbau, an erster Stelle steht!“

Während der Aussprache ergriff der Bergrat Hatzfeld als Kommissar der preußischen Regierung das Wort. Im Einzelnen führte er aus, dass die Wetterführung „sehr gut geregelt“ war, das die Wetterbücher angeblich nur geringes Grubengas feststellten, die Kohlenstaubentwicklung entsprach dem normalen Maß, die Berieselungsanlagen waren vorhanden, in der entsprechenden Abteilung gab es elektrische Lampen ohne offene Flamme, kurzum, eine überaus positive Darstellung der Arbeitsbedingungen auf der Zeche Mont Cenis.

Als wenn der Herr Bergrat seiner positiven Darstellung selber misstraute, formulierte er im Zusammenhang mit der Frage nach den Ursachen dieser gewaltigen Explosion: „Ein zweifelsfreier Schluss ist noch nicht möglich. Ob er überhaupt im Verlauf der weiteren Untersuchung möglich sein wird, muss dahingestellt bleiben. Die meisten Anhaltspunkte haben wir bezüglich der Art der Explosion. Es ist schon mehrfach erwähnt, dass sich bei dieser Explosion außerordentlich viel Koksansätze gebildet haben. Das deutet ohne weiteres darauf hin, dass in der Hauptsache bei der ganzen Explosion Kohlenstaub mitgewirkt haben muss.“

Aufgrund der Entzüngungswerte für Kohlenstaub soll es nur die Möglichkeit durch eine Sprengung bzw. durch einen Schuss gegeben haben. Die beiden Schießmeister sollen nachweislich nicht an diesem Ort der Sprengung gewesen sein. Durch einen Dynamitschuss in einem der Querschläge konnte nach Auffassung des Bergrates die Explosion nicht ausgelöst worden sein, weil in den Querschlägen angeblich kein Kohlenstaub zu finden wäre. Auf der anderen Seite führten einige Sachverständige der Kommission aus, dass Kohlenstaub aufgrund der Luftströme durchaus unter Tage verteilt wird. Zum Thema Berieselung der abgelagerten Kohlenstaubmengen geriet Bergrat Hatzfeld in einen weiteren Widerspruch, wenn er detailliert darstellt, welche Grenzen diese Befeuchtung für den Kohlenstaub hat, einmal durch Trocknungsprozesse und ein anderes Mal aufgrund der Neubildung von Kohlenstaub. Kurzum, der Bergrat Hatzfeld vermied an diesem Tag während der Debatte zu den Großen Anfragen der Zentrumspartei und der USPD eine eindeutige Festlegung zur Ursache oder zu den Ursachen der Katastrophe auf der Sodinger Zeche.

Der Reichstagsabgeordnete der Deutschen Volkspartei, August Winnefeld, gelernter Bergmann aus Wattenscheid-Günnigfeld, Mitglied des Gewerkvereins christlicher Bergarbeiter, wies zu Beginn seiner Rede daraufhin, dass trotz starker Auseinandersetzungen in der Öffentlichkeit und vor den außerordentlichen Gerichten oftmals nach Grubenkatastrophen keine genauen Ursachen ermittelt werden konnten. Das war auf der Zeche Radbod mit 350 Toten 1908  der Fall und auf der Zeche Lothringen mit 114 Toten 1912 der Fall.

Im Einzelnen führte Winnefeld aus: „Im allgemeinen ist man der Ansicht, dass die Schlagwetter- und Kohlenstaubexplosionen der gefährlichste Feind des Begarbeiters seien. Dies trifft aber nicht zu. Ich gebe allerdings auf der anderen Seite gern zu, dass diese Massenunglücke immer wieder die Gefährlichkeit des Bergbaues im allgemeinen illustrieren. Die Gesamtverlust im Bereich der Sektion 2 der Knappschaftsberufsgenossenschaft zu Bochum in den Jahren 1919 und 1920 sind kurz folgende: Im Jahre 1919 waren täglich 4 Tote, 17 Schwerverletzte und 170 Verletzte vorhanden, im Jahre 1920 3,97 Tote, 13 Schwerverletzte und 160 Leichtverletzte. Die meisten Opfer forderte der Stein- und Kohlenfall. Mit 2.355 Verletzten und 458 Todesfällen stellte er 52,35 % der Gesamtunfälle dar. Der Anteil der Schlagwetterexplosionen ist zurückgegangen. Er beträgt 9,68, gegen 1890 eine Verringerung von 66 % der Schlagwetterunfälle im Allgemeinen.“ August Winnefeld unterstrich, dass er mit diesen statistischen Zahlen keineswegs die Gefährlichkeit von Schlagwetterexplosionen in Frage stellen wollte.

Winnefeld erklärte, dass angesichts dieser Grubenunglücke die politischen Auseinandersetzungen in den Vordergrund treten würden, was er sehr bedauerte. Als Beispiel benannte er einen Artikel aus der KPD-Zeitung „Die Rote Fahne“ vom 24. Juni 1921 mit der Überschrift „Das kapitalistische System als Massenmörder“. Seine Kommentierung: „Ich verstehe nicht recht, weshalb man immer diese Überschriften über Zeitungsartikel setzt angesichts der Tatsache, dass es doch an und für sich schlimm genug ist, dass diese Menschen auf einen Schlag ihr leben lassen mussten. Man braucht es doch nicht schlimmer zu machen, als es in Wirklichkeit schon ist.“

Als ein Beispiel für die aus seiner Sicht unnötigen Politisierung der Ursachenforschung für diese Grubenunglücke zitierte er einen längeren Brief aus Herne, um die „verheerenden Wirkungen“ zu verdeutlichen. Der Briefschreiber aus Herne hatte den Abgeordneten Winnefeld aufgefordert, diesen Brief im Reichstag für die Debatte zu verwenden, wenn nicht, würde er sich an die Linksparteien wenden.

„Herne, den 28. Juni 1921.

Herrn Abgeordneten Winnefeld.

Dass die Bergbehörde in Anklagezustand versetzt ist, kann man nur billigen. Aber diese kapitalistischen Hausknechte dienen doch nur dem Geldsack. Auch müsste die Bewirtung der Revierbeamten mit Frühstück und Schnäpsen seitens des Geldsacks untersagt werden. Dies ist alles nur Bestechung. Auf der Unglückszeche Mont Cenis ist auf Antrag der notleidenden Zechenherren von der Bergbehörde die Nachprüfung der Berieselungsanlage aufgehoben. Als Gründe wurden angegeben:

1. die erforderlichen Rohre und Armaturen seien während des Weltkrieges nicht zu haben. (Wer lacht da?)

2. die Ungefährlichkeit der Grubenbetriebe in bezug auf Feuchtigkeit, Schlagwetter und Kohlenstaub.

Und jetzt haben die armen Witwen und Waisen die Bescherung. Was sagen die Verbrecher dieses Antrags nun dazu? Niemand ist der Schuldige, das heißt: der große Unbekannte, elementare Ereignisse, plötzliche Gasausbrüche, sogenannte Bläser. Die Hetzjagd hinter dem goldenen Kalb ist es. Trotz allen Leugnens erzielen die Zechen märchenhafte Gewinne. Nur lassen die Profitgierigen dieselben nicht in Erscheinung treten, sondern ziehen für neue Anlagen aufgewendete Ausgaben von dem Überschuss ab, und solche bescheidene Abrechnungen legen sie den Betriebsräten vor, lediglich um die nächste Kohlenverteuerung mit der künstlich erzeugten Unterbilanz begründen zu können. Als Beispiel von vielen: der Kurs der Unglückszeche Lothringen bei Bochum hat die zehnfache Höhe des Friedenskurses erreicht, wohl doch nur deshalb, weil zehnmal so viel Ausbeute wie im Frieden gezahlt wird. In Erscheinung tritt nur ein Bruchteil, weil eben alle Ausgaben für Neubauten und Verbesserungen, auch die Kosten des schlossartigen Palastes des Generaldirektors und Menschenpeinigers Gerres von den Riesengewinnen abgezogen werden. Außerdem werden noch unerhörte Abschreibungen gemacht. Um diesen Brüdern das unsaubere Handwerk zu legen, ist es unbedingt erforderlich, dass mit der Sozialisierung nun einmal Ernst gemacht wird. Hoffentlich wird dadurch das Los der armen Bergarbeiter, seien es nun Hand- oder Kopfarbeiter, auch wesentlich menschenwürdiger. Also auf zum Kampf und stechen Sie die Eiterbeule auf !

Glück auf !

Heinrich Reiermann,

Herne, Wilhelmstraße 36.“

Winnefeld betonte als argumentative Reaktion auf diesen klassenkämpferischen Brief aus Herne, dass der Betriebsrat angeblich erklärt hatte, dass das betreffende Revier, in dem die Explosion ihren Ausgangspunkt nahm, in bester Ordnung gewesen war. Der christliche Gewerkschafter stellte weiterhin fest, dass im Betriebsrat der Zeche Mont Cenis nur Mitglieder der kommunistischen Partei saßen. Abschließend vermerkt das Stenographische Protokoll, dass der Reichstagsabgeordnete Winnefeld erklärte: „Ich vermag mich also dem Urteil, dass die Arbeiter die Schuld an diesem Unglück tragen, nicht anzuschließen.“

Trauerfeier am 26. Juni 1921 in der ev. Kirche zu Sodingen zum Gedächtnis der Verunglückten der Zeche Mont Cenis , Postkarte, Repro Stadtarchiv Herne

Für die neue Vereinigte Kommunistische Partei trat der Reichstagsabgeordnete Otto Braß ans Rednerpult, der bereits im Debattenbeitrag von Heinrich Imbusch ausdrücklich erwähnt wurde, dass er sich an der Begehung der Grube in Sodingen beteiligt hatte. Otto Braß stellte auf der Seite der Arbeiterbewegung eine gewisse Autorität dar, aus diesem Grund hier ein kurzer Abriss seines politischen Werdegangs während der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg.

Otto Braß engagierte sich bereits seit 1893 im Deutschen Metallarbeiterverband und war dort Vorsitzender des Bezirks Niederrhein. Seit 1895 gehörte er der SPD an. Bei der Spaltung der Sozialdemokratie aufgrund der Differenzen um die Kriegskredite zur Finanzierung des Ersten Weltkriegs beteiligte er sich 1917 an der Gründung der USPD, deren Zentralkomitee er angehörte. Während der Novemberrevolution wurde er zum Vorsitzenden des Remscheider Arbeiter- und Soldatenrates gewählt. Diesen vertrat er auch auf dem  1. Reichskongress der Arbeiter- und Soldatenräte Deutschlands im Dezember 1918 in Berlin. Im Januar 1919 wurde er in die Weimarer Nationalversammlung gewählt. Von 1920 bis Mai 1924 vertrat er den Wahlkreis 25 (Düsseldorf-Ost) im Reichstag. Als sich die USPD-Mehrheit Ende 1920 mit der KPD zur VKPD vereinigte, ging er diesen Weg zunächst mit und wurde auf dem Vereinigungsparteitag im Dezember 1920 in Berlin in das Sekretariat der VKPD gewählt, aus dem er allerdings schon am 22. Februar 1921 aus Kritik an der „Offensiv-Theorie“ der Parteimehrheit wieder zurücktrat. Unter dem Vorwurf des „Reformismus“ wurde er im Januar 1922 aus der KPD ausgeschlossen, schloss sich der kurzlebigen Kommunistischen Arbeitsgemeinschaft (KAG) an und wechselte mit dieser im Frühjahr 1922 zum selbständig verbliebenen Teil der USPD zurück, mit denen er im September des Jahres wieder zur SPD kam.

Zum Beginn seiner Rede ging er auf das schon behandelte Thema der Unfallstatistik im deutschen Steinkohlenbergbau ein und verknüpfte damit die Frage „Wo liegt nun die Schuld dieser Unfälle?“

„Es ist nicht die Schuld des einzelnen Kumpels, nicht die Schuld eines einzelnen Aufsichtsbeamten, nein, es ist die Schuld des Systems. Es liegt dran, dass die dort bestehenden Lohnverhältnisse, die Sorge um das Brot den Bergmann dazu treiben, die Sicherheitsvorschriften aus dem Auge zu lassen.“

Er berichtete, dass der Untersuchungsausschuss des Reichstages drei Tag lang mit dem Unglück auf der Zeche Mont Cenis beschäftigt war. Ausdrücklich verwahrte sich Braß gegen die öffentliche Darstellung in der Presse, dass auf der Zeche alles in Ordnung war. Er erwähnte, dass am Sonntag, den 26. Juni 1921 der Bergassessor Battig in seiner Funktion als Grubendirektor der Zeche Mont Cenis eine Pressekonferenz abhielt, weil „er glaubte nachweisen zu müssen, dass die Grube tadellos in Ordnung sei“.

Zu diesem Vorgang kommentierte Braß: „Die Feststellungen der Kommission haben etwas anderes ergeben, wofür schon der Abgeordnete Janschek (SPD) verschiedene Beispiele angeführt hat. Ich will nur einzelne, die nicht so in den Vordergrund gerückt worden sind, hervorheben, um Ihnen zu beweisen, dass es in der Tat auf der Grube Mont Cenis an den notwendigen Vorkehrungen gefehlt hat, um derartige Unglücksfälle zu verhüten.“

Braß sprach davon, dass ohne die Informationen des Betriebsrates manches nicht hätte aufgeklärt werden können. Der Betriebsrat legte großen Wert auf die Feststellung, dass seine Aussagen über das Revier von Steiger Bottermann nicht dazu werden dürften, zu behaupten, auf der Grube Mont Cenis war alles in Ordnung. Weiterhin war die Grubenfahrt des Untersuchungsausschusses erforderlich, um die Darstellungen des Grubendirektors zu relativieren. Der Untersuchungsausschuss musste feststellen, dass die Einrichtungen der Berieselungsanlage nicht funktionstüchtig waren. Es herrschte auch ein großer Mangel an Rohren für die Fortführung von Berieselungsanlagen und ein großer Mangel an Bauholz. Das belegten auch die Sitzungsprotokolle des Betriebsrats. Weitere Zeugen bestätigten, dass die vorschriftsmäßige Berieselung in den einzelnen Revieren nicht möglich war. Spätestens an dieser Stelle entstand ein Widerspruch zu den Darstellungen der Regierungen und der Behörden. Diese Debatte am 02. Juli 1921 löste aber nicht diese Widersprüche im Interesse der Wahrheitsfindung auf.

In Bezug auf die Belüftung des Bergwerks – sprich der Bewetterung – gab es ebenfalls erhebliche Unklarheiten. Braß stellte dar, dass die vorgeschriebenen Untersuchungen zum Schichtbeginn der Reviere auf Schlagwetter nicht ordnungsgemäß durchgeführt wurden. Der Wettermann, der drei Stunden vorher die einzelnen Betriebspunkte zu befahren hatte, war nicht in der Lage wegen der Vielzahl der Betriebspunkte im Revier des Steigers Bottermann alle Orte zu kontrollieren. Während der Vernehmung musste der Wettermann diese Tatsache bestätigen. Dieser Umstand wurde zu einem realen Problem auf der Zeche Mont Cenis aus folgendem Grund. Dazu Otto Braß:

„Es ist schon auf den Einfahrer Junghans hingewiesen worden, und wenn sie die Protokolle über die Aussagen des Einfahrers Junghans bekommen, dann werden sie sehen, dass es nicht wahr ist, dass diese Grube eine wetterarme war, sondern sie werden sehen, dass sie eine überaus gefahrenreiche war. Davon haben wir uns selbst überzeugen können. Wenn der Einfahrer im Laufe des letzten Jahres bei seinen Befahrungen 34 mal sogenannte explosible Schlagwetter festgestellt hat, und wenn man dann weiter sieht, dass seit seiner letzten Befahrung Ende März dieses Jahres, Eintragungen in das Wetterbuch überhaupt nicht mehr vorgenommen worden sind, und wenn man ferner weiß, dass, wie festgestellt ist, der Nachfolger von diesem Einfahrer seit März in diesem Revier überhaupt nicht gefahren hat, dann kann man doch nicht kommen und sagen: auf der Grube ist alles in Ordnung gewesen, sondern dann muss man sagen: das Gesamtbild der Grube ist, wie auf den Zechen im allgemeinen, so, dass eben auf Grund solchen Systems jeden Augenblick ein Unglück eintreten konnte.“

Das betreffende Revier des Steigers Bottermann war einfach größer als die zulässigen 60 Bergleute pro Revier. Das Revier Bottermann umfasste 26 Betriebspunkte mit 124 Bergleuten. Aus Kostengründen wurde hier von der Zechengesellschaft an einem zweiten Steiger – einer unproduktiven Ausgabe – gespart. Thema Sicherheitslampen: Die Untersuchungskommission stellte einmütig fest, dass im Revier Bottermann erheblich zu wenig Sicherheitslampen vorhanden waren, um plötzlich auftretende Schlagwetter überall bemerken zu können. Ein Mitglied des Betriebsrates wurde nach einem öffentlichen Auftritt bei einer Versammlung, wo er schwere Vorwürfe gegen die Zechenleitung wegen der Schlagwettergefahr auf der Zeche Mont Cenis erhoben hatte,  entlassen, dieselbe Zechenleitung, die aus „Trauer“ die schwarz-weiß-rote Fahne der Monarchie hisste.

Zur Explosionsursache auf Mont Cenis führte Braß aus, dass die Frage gestellt werden muss, warum der verantwortliche Schießmeister nicht an seinem Platz war und wer den offensichtlich getätigten Schuss zu verantworten hat. Die Untersuchungskommission konnte niemanden ermitteln, der für die Durchführung dieser Sprengung in Frage kam. Der Abgeordnete Rosemann von der Fraktion der USPD machte darauf aufmerksam, dass die Schießmeister, wenn keine sofortige Sprengung ansteht, in der Kohleförderung eingesetzt wurden, was gegen die damaligen gültigen Vorschriften verstieß.

„Wenn der Schießmeister, der nur Schüsse abgeben soll, nicht an dem Platze, wo die Explosion mit großer Wahrscheinlichkeit stattgefunden hat, gefunden worden ist, wer hat diesen Schuss abgegeben? Und wenn die Frage dahin beantwortet wird, dass das verbotswidrig die Bergarbeiter selbst getan haben, so ist die weitere Frage aufzuwerfen: Was veranlasst sie dazu, in dieser Grube in 700 Meter Tiefe ihr Leben jeden Augenblick aufs Spiel zu setzen? Das tun sie sicherlich nicht aus Ranküne, sie spielen doch nicht mit ihrem Leben, wenn sie nicht ein harter Zwang dazu treibt, so zu handeln, wie sie möglicherweise gehandelt haben. Wer zwingt sie dazu, sich in diese Gefahren zu begeben und diese Gefahren unter Umständen selbst heraufzubeschwören? Sicherlich nicht der Übermut, sondern lediglich der Selbsterhaltungstrieb, der Trieb, mehr Lohn zu erhalten. Beim Bergarbeiter heißt aber mehr Lohn: mehr Förderung, und mehr Förderung heißt, die Sicherheitsvorschriften aus dem Auge lassen, damit mehr gefördert werden kann.“ (Braß)

Abschließend trug Braß für die Fraktion der VKPD die Forderungen zur Verhinderung von weiteren Massenunfällen auf den Bergwerken vor. Zentral waren vier Forderungen: Arbeitszeitverkürzung mit sofortiger Einführung der Sechsstundenschicht, Erweiterung der Rechte der Betriebsräte, Anstellung einer ausreichenden Anzahl von Sicherheitsleuten und sofortige erhebliche Erhöhung der Löhne der Bergarbeiter.

Auch im Preußischen Landtag wurde am 15. Juli 1921 in der 43. Sitzung über die zeitnahen Grubenunglücke auf den Zechen Constantin der Große und Mont Cenis debattiert. Das Stenographische Protokoll zu diesem Tagesordnung erstreckt sich über 43 Seiten. Anlass dieser Debatte waren die Großen Anfragen der Abgeordneten Otter aus Bochum über das Unglück auf Zeche Constantin der Große und der Abgeordneten Brust und Braun über die „Schlagwetterkatastrophe auf Grube Mont Cenis“. Interessant ist, dass fast vierzehn Tage später nach den Ausführungen zur Diskussion im Deutschen Reichstag die Tagesordnung im Preußischen Landtag von einer Schlagwetterkatastrophe sprach.

Der Eickeler Abgeordnete Gustav Sobottka (KPD) aus dem Wahlbezirk Westfalen-Süd, seines Zeichens auch gelernter Bergmann und ehemaliger Betriebsratsvorsitzender auf der Zeche Shamrock 3/4 im Amt Wanne, konstatierte, dass acht Tage vor der Debatte im Preußischen Landtag, also nach der Aussprache im Deutschen Reichstag, festgestellt wurde, dass auf der Zeche Mont Cenis in einem Querschlag ein Kohlenflöz angeschossen wurde. Aus diesem Querschlag heraus hatte die Katastrophe ihren Anfang genommen. Da sich in einem Querschlag in der Regel kein Kohlenstaub finden lässt, müssen dort Methangase, schlechte Wetter, vorhanden gewesen sein.

Bereits am 18. Juni 1921 informierte der Betriebsrat der Zeche Mont Cenis die Zechenbeamten, dass Schlagwetter festgestellt worden sind. Das galt besonders für das Revier von Steiger Bottermann mit seinen Querschlägen, wo die Wetter davor standen. An diesem Tag weigerten sich die Gesteinshauer dort die Schießarbeit fortzusetzen. Die Zechenverwaltung reagierte prompt und wechselte die Hauer aus, indem neue Bergarbeiter in die gefährlichen Bereiche geschickt wurden.  Durch den entlassenen Betriebsrat Palland wurden bereits am 25. Mai 1921 an fünf Stellen und am 27. Mai 1921 an einer weiteren Stelle Schlagwetter festgestellt. Als der Betriebsrat, dass dem Betriebsführer melden wollte, wurde er aus dem Betriebsführerzimmer entfernt. Nachdem er in einer Versammlung der Belegschaft die Kumpels zur direkten Aktion aufrief, vor jeder Einfahrt von der Zechenleitung zu verlangen, dass die Missstände unter Tage beseitigt werden, erhielt er seine fristlose Kündigung. Er hatte die gesetzlich geregelten Befugnisse eines Betriebsrates überschritten.

In dieser Debatte im Preußischen Landtag wurde vorgetragen, dass es auch an guter Luft im Bergwerk Mont Cenis gefehlt hatte. Unter Tage gab es Betriebspunkte mit 31 bis 34 Grad Hitze. Laut Berggesetz musste bei einer Temperatur von über 28 Grad die Arbeitszeit auf 6 Stunden reduziert werden. Die Zechenverwaltung von Mont Cenis schickte in der Nacht den Fahrsteiger Höfelmann in die Grube, der dann nur noch 27 Grad gemessen hatte.

Abendausgabe der USPD-Tageszeitung ‚Freiheit‘ vom 28.12.1921, Repro Norbert Kozicki

Der Landtagsabgeordnete Sobottka machte auf einen Aspekt aufmerksam, der bis dahin weder in der Reichstags- noch in der Landtagsdebatte zur Sprache kam. Er verwies auf die immer größer werdende Steinhalde bei der Zeche Mont Cenis, die er als „verkommene Zeche mit schlimmen verkommenen Tagesanlagen“ bezeichnete, die ein zweites Mal „im ganzen Ruhrgebiet wohl kaum zu finden ist.“

Sobottka erklärte im Landtag den Zusammenhang von Hohlräumen und Arbeitssicherheit: „Unten in der  Grube werden die Kohlen hinausbefördert, und diese Hohlräume, aus denen die Kohlen herauskommen, müssen mit Bergen versetzt werden. Aber das erfordert mehr Zeit, mehr Arbeit, das schmälert den kapitalistischen Profit. Deshalb tut man das nicht, deshalb fördert man die Berge zutage, kippt sie auf der Steinhalde aus und lässt da unten die Hohlräume. Was diese Hohlräume nachher für Folgen für das Leben der Bergarbeiter haben, das hat die Katastrophe auf Mont Cenis gezeigt… Diese Wetter kommen infolge dieses Raubbaues, der dort getrieben wird, nicht vor die Betriebspunkte der Bergarbeiter. Deshalb sammeln sich dort auch die Gase an.“

Sobottka thematisierte auch die Frage der Versorgung der Hinterbliebenen: Eine Witwe mit drei Kindern musste sich in jenen Tagen mit 130 Mark durchschlagen. Wenn die Rente durch Zulagen gesteigert wurde, wurde der Zahlbetrag auf 200 Mark begrenzt. Ein Bergbau-Invalide musste mit 300 Mark monatlich auskommen.

Gustav Sobottka beendete seine Ausführungen im Preußischen Landtag mit einer Darstellung aus seinem erfahrungsreichen Leben als Bergmann: „Was besonders die Belehrung der Belegschaften anbetrifft, so ist es bezeichnend, dass der Herr Oberberghauptmann im Ausschuss sagte, die alten Bergarbeiter, die alten Hauer sollten dafür sorgen, dass die jungen Bergarbeiter mehr über die Gefahren im Bergbau unterrichtet würden. Diese Aufgaben haben die alten Bergarbeiter auch in den früheren Jahren erfüllt. Als sie noch kein Bergamt hatten, hielten die Kumpels in der Grube ihr Bergamt selbst. Wenn sie dort angefahren waren, haben sich die alten Bergarbeiter an den Stellen zusammengesetzt, die jungen Bergarbeiter sind hinzugekommen, und in die Mitte hat sich der Beamte, der Steiger, gesetzt; haben sie über die Gefahren im Bergbau gesprochen, und die jüngeren Bergarbeiter wurden von den alten Hauern belehrt. Aber dies alles haben sie durch ihre Profitgier, durch ihre Ausbeutung der Bergarbeiter beseitigt. Die Zustände werden erst wieder besser werden, wenn die Profitgier beseitigt wird, wenn an die Stelle der heutigen Wirtschaft, der heutigen kapitalistischen Produktion die sozialistische Produktionsweise, die erste Vorstufe der kommunistischen Gesellschaftsordnung tritt.“ (Zitate alle aus: Stenographische Protokolle des Preußischen Landtags, hier : 43. Sitzung vom 15. Juli 1921, S. 2 933 bis 2 976)

Trauermarsch für die Opfer der Schlagwetterexplosion am 20.06.1921 auf Mont Cenis, 24. Juni 1921, Foto Stadtarchiv Herne
Trauermarsch für die Opfer des Grubenunglücks vom 20. Juni 1921 auf Mont Cenis, 24. Juni 1921, Repro Stadtarchiv Herne

Abschließend lässt sich sagen: die offizielle Darstellung, z. B. auf der Internetseite der Stadt Herne, dass menschliches Versagen für die Katastrophe auf der Zeche Mont Cenis aus dem Jahr 1921 ursächlich verantwortlich ist, lässt sich aufgrund der Protokolle des Deutschen Reichstags und des Preußischen Landtags so nicht aufrechterhalten. Es ist deutlich geworden, dass die Zechenleitung ein enormes Interesse daran hatte, aus wirtschaftlichen Gründen die gesetzlich vorgeschriebenen Sicherheitsmaßnahmen für den Bergbau nicht zu berücksichtigen. Es wurde weiterhin deutlich, dass die Tätigkeit der Betriebsräte durch die Zechenleitungen und ihre Nichtbeachtung durch die Bergbehörden die Unfallgefahr im Bergbau wesentlich erhöhten. Der Preußische Handelsminister Otto Fischbeck (DDP) hatte zuletzt im Januar 1921 eine Anordnung für seine nachgeordneten Behörden wie die Bergämter erlassen, dass es eine engere Zusammenarbeit mit den Betriebsräten geben muss.  Das führte vielfach bei den Zechenbeamten im Ruhrgebiet zu einer großen Empörung, was das Misstrauen von Seiten der Bergarbeiterorganisationen, der Betriebsräte und der Bergarbeiter in die Einrichtungen, die für die Kontrolle der Einhaltung der Sicherheitsvorschriften verantwortlich waren, beförderte.

Nobert Kozicki

Anmerkung: Die Stadt Herne hat auf die neuen Forschungsergebnisse reagiert und den Eintrag auf der Internetseite wie folgt korrigiert: Das schwerste Grubenunglück der Herner Bergbaugeschichte ereignete sich am 20. Juni 1921. An diesem Tag kam es zu einer furchtbaren Schlagwetterexplosion, bei der 85 Bergmänner ihr Leben verloren. (vgl.: https://www.herne.de/Stadt-und-Leben/Stadtgeschichte/Bergbau/Zeche-Mont-Cenis/). Vielen Dank an Norbert Kozicki für den Hinweis.

Jürgen Hagen