Amtsgericht Wanne-Eickel

Errichtung eines Amtsgerichtes in Wanne-Eickel – Konrad Adenauer und der Staatsrat hatten keine Bedenken

Am 27. Juni 1930 beschloss der Preußische Landtag die Errichtung eines Amtsgerichtes in der jungen Stadt Wanne-Eickel.

Auf der aktuellen Internetseite des Amtsgerichtes Wanne-Eickel findet sich folgender historischer Abriss: „Sowohl die Stadtverwaltung als auch die Wirtschaftsverbände drängten in der Folgezeit bei der preußischen Staatsregierung auf die  Errichtung eines Amtsgerichts Wanne-Eickel. Am 15. Juli 1930 beschloss der Preußische Landtag  das „Gesetz über die Errichtung eines Amtsgerichts in Wanne-Eickel.“  Der Zeitpunkt seines Inkrafttretens blieb jedoch einer Verordnung des Staatsministeriums  vorbehalten.
Dem Bau eines Gebäudes für das Amtsgericht stand die Notverordnung vom 06. Oktober 1931 entgegen, die die Errichtung von Neubauten für Verwaltungszwecke vorläufig untersagte. Es war die Zeit der sogenannten Weltwirtschaftskrise mit ihren katastrophalen sozialen und politischen Auswirkungen. Durch Vertrag vom 19. Mai 1932  vermietete die Stadt Wanne-Eickel deshalb an den Preußischen Justizfiskus  zur Unterbringung des Amtsgerichts im Rathausgebäude eine Reihe von Räumen, darunter das gesamte Erdgeschoss. Die Stadt trug auch „die Kosten der erstmaligen Herrichtung der Räume wie auch der Um-und Ergänzungsbauten….“. Eine Kündigung des Vertrags war für die Stadt erst 30 Jahre nach Beginn des Mietverhältnisses zulässig.

Nach der Durchführung der Umbauarbeiten setzte das Preußische Staatsministerium durch Verordnung vom 27. Dezember 1932 das Gesetz über die Errichtung des Amtsgerichts in Wanne-Eickel zum 01. Februar 1933 in Kraft. An diesem Tag nahm das mit vier Richtern besetzte Gericht seine Arbeit auf.

Entwurf eines Gesetzes über die Errichtung eines Amtsgerichts in Wanne-Eickel, Repro Norbert Kozicki
Entwurf eines Gesetzes über die Errichtung eines Amtsgerichts in Wanne-Eickel, Repro Norbert Kozicki

Unter der Drucksachen-Nummer 5116 brachte am 23. Juni 1930 das Preußische Staatsministerium in einem Schreiben an den „Herrn Präsidenten des Landtags“ einen Gesetzentwurf über die Errichtung eines Amtsgerichtes in Wanne-Eickel ein. In dem vom preußischen Ministerpräsidenten Braun unterzeichneten Brief wurde darum gebeten, die Beschlussfassung des Landtags dazu herbeizuführen. Weiterhin wurde festgestellt, dass gemäß Artikel 40 Absatz 2 dem Staatsrat die Gelegenheit zur gutachterlichen Äußerung gegeben wurde. Er hat keine Einwendungen erhoben. Dieser Staatsrat neben dem Landtag hatte folgende Funktion:

Die Verfassung bestimmte die Bildung eines Staatsrates als Vertretung der Provinzen. Die Mitglieder wurden von den Provinziallandtagen gewählt, und sie durften nicht gleichzeitig Mitglied des Landtags sein. Das Organ musste von der Regierung über die Staatsangelegenheiten unterrichtet werden. Dazu konnte der Staatsrat seine Ansichten äußern. Er hatte aber auch das Recht zur Gesetzesinitiative. Gegen Gesetze des Landtages konnte er Widerspruch einlegen. Diesen konnte der Landtag, von Ausnahmen abgesehen, mit einer Zweidrittelmehrheit zurückweisen oder einen Volksentscheid anberaumen. Vorsitzender des Staatsrates war bis 1933 der Kölner Bürgermeister Konrad Adenauer.

Der Paragraf 1 des eingebrachten Gesetzentwurfs lautete: „In der Stadt Wanne-Eickel wird ein Amtsgericht errichtet. Der Bezirk dieses Gerichtes wird aus dem von den Amtsgerichtsbezirken Bochum, Herne, Gelsenkirchen und abzutrennenden Stadtkreise Wanne-Eickel gebildet.“ Weiterhin sah der letztendlich beschlossene Gesetzentwurf vor, dass das Amtsgericht Wanne-Eickel dem Landgericht Bochum „zugelegt“ wird. Weiterhin sollte das Preußische Staatsministerium durch eine Verordnung das Inkrafttreten dieses Gesetzes bestimmen.

In der Begründung dieses Gesetzesvorhaben wurde daran erinnert, dass durch den Paragrafen 6 des Gesetzes über die Neuregelung der kommunalen Grenzen im rheinisch-westfälischen Industriegebiet vom 26. Februar 1926 die Landgemeinden Wanne, Eickel und Röhlinghausen zu einer Stadtgemeinde mit dem entsprechenden Namen vereinigte.  Zum Zeitpunkt der Gesetzeseinbringung hatte Wanne-Eickel eine Größe von 2.118 ha und zählte rund 95.000 Einwohner. Im Jahre 1930 ergab sich für Wanne-Eickel die günstige Situation, dass die Stadt in ihrer Existenz während der erneuten Beratungen im Preußischen Landtag über die Stadtgrenzen im Ruhrgebiet im Jahre 1929 bestätigt wurde. Während der Debatten im Preußischen Landtag zum Gesetz über die kommunale Neuregelung des rheinisch-westfälischen Industriegebietes vom 29. Juli 1929 wurden Stimmen laut, dass das Ruhrgebiet zum Beispiel aus drei Großstädten gebildet werden sollte. Wenn sich diese politischen Kräfte durchgesetzt hätten, wäre die junge Stadt Wanne-Eickel bereits nach vier Jahren wieder aufgelöst worden. Das entsprach aber nicht der Absicht der Parteien, die die Preußische Staatsregierung zu diesem Zeitpunkt bildeten.

In der Begründung zum Gesetz über die Errichtung eines Amtsgerichtes in Wanne-Eickel wird dazu ausgeführt:

„Wenn den langjährigen Bemühungen der früheren Ämter Wanne und Eickel um Errichtung eines eigenen Amtsgerichtes mit Rücksicht auf die ungeklärte kommunalpolitische Zukunft des Gebietes zwischen Bochum und Gelsenkirchen nicht entsprochen werden konnte, so sind diese Bedenken also wohl endgültig beseitigt.“ Besonders die Bochumer Kommunalpolitik äußerte großes Interesse,  die junge Stadt Wanne-Eickel mit Bochum zu vereinen. Hier dürften besonders die Interessen an den Steuerzahlungen der Zechengesellschaften und anderen Industriebetrieben eine Rolle gespielt haben. So wurde zum Beispiel bei der Stadtwerdung von Wanne-Eickel das Gebiet um die Zeche Hannover aus dem Gemeindegebiet Röhlinghausen „herausgeschnitten“, um es nach Bochum einzugliedern.

Beratung über ein Gesetz zur Errichtung eines Amtsgerichts in Wanne-Eickel, Repro Norbert Kozicki
Beratung über ein Gesetz zur Errichtung eines Amtsgerichts in Wanne-Eickel, Repro Norbert Kozicki

In der Begründung zum Gesetz über die Errichtung eines Amtsgerichtes in Wanne-Eickel formulierte das Preußische Staatsministerium viel Positives über die junge Stadt. Wanne-Eickel wurde als eine bedeutende Industriestadt dargestellt, die nicht nur von der Ausdehnung des Bergbaus und den damit zusammenhängenden industriellen Betrieben profitiert. Wanne-Eickel bilde einen von den Nachbargemeinden unabhängigen, wirtschaftlichen Mittelpunkt. Besonders wurde die günstige Verkehrslage der Stadt skizziert, die sich aus der Verbindung des Wasserweges mit dem weitverzweigten Schienennetz der Eisenbahn ergab.

Wanne-Eickel hatte nach der Vollendung des dritten Hafenbeckens am Kanal einen der größten Binnenhäfen in Deutschland. Der Güterumschlag im Wanne-Eickeler Hafen steigerte sich von 1924 bis 1928 von 2,1 Millionen Tonnen auf 3,0 Millionen Tonnen. Dem Hafen waren insgesamt 16 Schachtanlagen angeschlossen, die auf der Hafenbahn oder eigenen Zechenbahnen die Kohlen zum Hafen transportierten. Weiterhin betonte das Staatsministerium, dass der Hafen auch von dem mit mehr als 30 Millionen Reichsmark neu errichteten Stickstoffwerk der Gasverarbeitungsgesellschaft (Gaveg) in Holsterhausen genutzt wurde.

Besondere Erwähnung fand der Hauptbahnhof Wanne-Eickel, der als einer „der wichtigsten Bahnhöfe des rheinisch-westfälischen Industriegebietes“ bezeichnet wurde. Zur damaligen Zeit verließen täglich 240 Schnell-, Eil- und Personenzüge den Personenhauptbahnhof. Im Güterverkehr auf der Schiene wurden im Bahnhofsbereich rund 2,4 Millionen Tonnen bewegt.

Im Folgenden eine längere Passage aus der Begründung des Staatsministerium zur Infrastruktur der damaligen Stadt Wanne-Eickel:

„An Behörden haben in Wanne-Eickel ihren Sitz ein Postamt erster Klasse mit mehreren Nebenstellen, ein Finanzamt, eine Reichsbanknebenstelle, ein Katasteramt und ein Zollamt. Die Stadt hat eigene Elektrizitäts-, Gas- und Wasserversorgung, zwei städtische Sparkassen mit Nebenstellen, ein Gesundheitsamt mit Kindererholungsheimen und betreibt einen eigenen Schlachthof. An höheren Schulen besitzt sie ein Realgymnasium mit Oberrealschule und ein Oberlyzeum, daneben Berufs- und Handelsschulen. Drei Straßenbahnlinien vermitteln den Verkehr innerhalb des Stadtgebietes sowie nach den Nachbarstädten. Das rege wirtschaftliche Leben der Stadt das zur Eröffnung mehrerer Bankinstitute sowie zur Ansiedlung leistungsfähiger Geschäftshäuser aller Art geführt hat, wird auch dadurch gekennzeichnet, dass sich trotz des Fehlens eines Gerichtes bereits 7 Rechtsanwälte in der Stadt niedergelassen haben, von denen 5 Notare sind. Die Stadt kann trotz der Zeitlage mit Bestimmtheit einen weiteren wirtschaftlichen Aufschwung erwarten.“

Das Preußische Staatsministerium resümierte nach dieser Aufzählung der gemeindlichen Ausstattung: „Bei dieser Sachlage geht es nicht an, die Errichtung eines Amtsgerichtes in Wanne-Eickel, die von der Stadtverwaltung und den wirtschaftlichen Verbänden der Stadt dringend beantragt und von den Lokal- und Provinzialbehörden der Justiz und der allgemeinen Landesverwaltung übereinstimmend warm befürwortet wird, länger hinauszuschieben.“ Es wurde auch darauf hingewiesen, dass die Unterbringung des neuen Amtsgerichtes in einem großen, abgeschlossenen Teil des Wanner Rathauses „zu einem mäßigen Mietpreise“ erfolgt. Die Nähe zum Wanne-Eickeler Hauptbahnhof wurde ebenfalls hervorhebend erwähnt. Die leichte Erreichbarkeit des neuen Gerichtes würde auch dazu führen, dass die Staatskasse an Ausgaben für die Reisekosten der Zeugen und Sachverständige sparen würde. Mit diesen Ersparnissen würde sich die Miete für die Räumlichkeiten im Rathaus gegenrechnen. Aufgrund der guten Verkehrsverbindungen in die Nachbarstadt Bochum sollte das Wanne-Eickeler Amtsgericht dem Bochumer Landgericht zugeordnet werden, und nicht dem Essener Landgericht.

Die Protokolle des Preußischen Landtags zeigen, dass es hier über dieses vorgelegte Gesetz keine großen Debatten gab. In der 174. Sitzung der dritten Wahlperiode vom 27. Juni 1930 erfolgte abschließend die zweite und dritte Lesung des Gesetzes. Der Vize-Landtagspräsident Baumhoff forderte unter dem sechzehnten Tagesordnungspunkt an diesem Sitzungstag den Berichterstatter des Ausschusses für das Rechtswesen, den Abgeordneten Hestermann von der Wirtschaftspartei auf, das Wort zu ergreifen, was er auch kurz und bündig tat: „Ich verzichte und beantrage Blockabstimmung in zweiter und dritter Lesung.“

Beschluss eines Gesetzes über die Errichtung eines Amtsgerichts in Wanne-Eickel, Repro Norbert Kozicki
Beschluss eines Gesetzes über die Errichtung eines Amtsgerichts in Wanne-Eickel, Repro Norbert Kozicki

Als sich gegen diesen Antrag des Berichterstatters kein Widerspruch erhob, ließ der Vize-Landtagspräsident über den Gesetzentwurf abstimmen, indem sich die Befürworter unter den Abgeordneten von ihren Plätzen erhoben. Mit der Feststellung des Vize-Landtagspräsidenten Baumhoff „Das ist die Mehrheit, der Gesetzentwurf ist angenommen“ erhielt die Stadt Wanne-Eickel ihr eigenes Amtsgericht.

Norbert Kozicki

Quellen:

  • Protokollbücher und Anlagenbände des Preußischen Landtags

Internet: