Entertainment-Center Herne

1996 hatte die Stadt große Träume: Ein riesiger Gebäudekomplex, unter anderem mit Multiplex-Kino, sollte Besucher und Jobs anlocken. Heraus kam eine riesige Baubrache.

Herne hat auf Hunderte neue Jobs gesetzt und sich einen großen Imagegewinn erhofft, Kritiker dagegen sprachen von Größenwahn und einer Planungsleiche: 1996 starteten die Planungen für ein XXL-Entertainment-Center an der A43. Zehn Jahre später, im Mai 2006, war alles vorbei. Als Bagger eine ungenutzte Bauruine abrissen, war eine Millionensumme in den Sand gesetzt und im Rathaus viel Porzellan zerschlagen worden.

Was tun mit der Brache am Regenkamp in Herne-Süd? Die Stadtspitze um den damaligen Oberbürgermeister Wolfgang Becker (SPD) will in den 1990er-Jahren Arbeitsplätze holen, und da kommen die Pläne von Tudor House Investment (THI) gerade recht. Für bis zu 100 Millionen Mark will die Deutschland-Tochter des britischen Unternehmens auf der sieben Hektar großen Fläche ein Entertainment-Center aus dem Boden stampfen.

Auf 15.000 Quadratmetern Nutzfläche, so die Versprechungen, wollen die Investoren bis Ende 2000 einen gigantischen Komplex bauen. Dazu gehören ein Multiplex-Kino mit bis zu 13 Sälen für über 3500 Menschen, außerdem soll eine Großraumdisco entstehen, Brauhaus, Restaurants, Bowlingbahn, Sport- und Live-Musik-Bar, Spielsalon, Hotel sowie ein Saal für Konferenzen und Tagungen. „Unterhaltung bis zum Abwinken“, so ein potenzieller Mieter, ein Unternehmer aus der Schweiz. „Sie werden sich wie in Las Vegas fühlen“, verspricht er den Bürgern. Die Pläne kommen im Rathaus und bei der Wirtschaftsförderungsgesellschaft (WFG) gut an. 500 Arbeitsplätze in Voll- und Teilzeit stellt THI in Aussicht. Wer kann da Nein sagen?

Das geplante Entertainment-Center, Repro Stadtarchiv Herne

Nein sagen in erster Linie die Bürgerinitiative Regenkamp und die Grünen. Die BI zweifelt an der Solvenz der THI, sieht Ungereimtheiten im Planverfahren und glaubt nicht an Mieter. Die Grünen wollen auf dem Gelände einen ökologischen Gewerbe- und Energiepark. Der bringe ebenfalls Arbeitsplätze, und zwar sichere und verträgliche. Die Grünen stimmen im Rat als einzige gegen die Änderung des Flächennutzungsplans, Peter Hugo Dürdoth befürchtet, dass am Regenkamp eines Tages Bauruinen stehen. Vergeblich. Die Stadtspitze peitscht das Projekt durch, hat SPD und CDU an ihrer Seite. Und sie sieht sich bestätigt: Der Investor stellt seinen Bauantrag, im September 1999 rollen die Bagger. Glen J. Day, der THI-Projektentwickler, kündigt im April 2000 an: Ende Juni, nach Abschluss der Rohbauarbeiten, feiert Herne Richtfest – und noch vor Weihnachten läuft im Multiplex-Kino der erste Film.

Bauunternehmen ging in Vorleistung

Von wegen: Nur einen Monat später gehen die Lichter aus. Die THI ist pleite, die Bauarbeiten stoppen. Nun kommt häppchenweise heraus: Die Stadt hat von dem vereinbarten Kaufpreis in Höhe von rund 5 Millionen Mark keinen Pfennig gesehen, der Investor hat keine Verträge mit Mietern geschlossen. Und das Bauunternehmen Müller-Altvatter ist guten Glaubens in Vorleistung gegangen und hat schon 22 Millionen Mark verbaut.

Was tun? Wayss & Freitag, Schwesterunternehmen von Müller-Altvatter, springt in die Bresche. Es kauft das Gelände von der Stadt und übernimmt das Projekt. Das neue Zauberwort heißt „Triforum“ – und das ähnelt nur noch in Grundzügen dem Entertainment-Center. Nun soll aus den Ruinen ein Einzelhandelszentrum auferstehen, mit Bürogebäude, Bürofach-, Elektronik- und Lampen-Markt, kleineren Geschäften und nur noch einem kleinen Entertainment-Bereich.

Begeisterung sieht anders aus. Einzelhandelsverband sowie Industrie- und Handelskammer lehnen das Projekt ab, sie fürchten den Tod der beiden Innenstädte. Auch in der Politik schwindet der Rückhalt, nur die Stadtspitze hofft weiter aufs Triforum. Vergeblich: Auch der neue Investor findet keine Mieter, Alternativen wie ein Outlet-Center oder ein Autohof machen die Runde. Dann gibt Wayss & Freitag auf.

Die Bauruine vom Regenkamp, Foto Monschau, Repro Stadtarchiv Herne

Wie ein Mahnmal steht seither über Jahre, gut sichtbar an der A43, ein halbfertiges Entertainment-Center, das immer mehr verwittert. Es wird überregional bekannt: Die Tageszeitung „Die Welt“ schreibt: „In Herne steht die größte Bauruine in NRW.“ Nahe der Anschlussstelle Herne-Eickel sei er zu sehen, „der zurzeit größte und mutmaßlich hässlichste Rohbau Nordrhein-Westfalens“.

Die Stadt, die das Projekt förderte und für ihr Handeln zum Teil heftig kritisiert wurde, ist sich keiner Schuld bewusst. Ein Bericht des Rechnungsprüfungsamtes zur Projektabwicklung gibt ihr Recht. Er räume Fehler ein, zeige aber auch, dass die beteiligten Stellen der Verwaltung insgesamt gute Arbeit geleistet hätten, berichtet Heinz-Jürgen Steinbach, Sprecher der SPD im Rechnungsprüfungsausschuss. Er sagt: Das Scheitern des Projekts habe durch die Verwaltung nicht verhindert werden können. Auch OB Wolfgang Becker und SPD-Fraktionschef Horst Schiereck, der spätere Nachfolger, sehen keine Verfehlungen. Sie räumen ein, „dass durch die Pleite ein erheblicher Imageschaden entstanden ist“, finanzielle Verluste habe es aber nicht gegeben: „Nicht einen Cent“ habe die Stadt verloren.

Investor soll alle belogen haben

Die Bürgerinitiative Regenkamp zieht eine andere Bilanz. „Der Investor Stuart Reid mit seiner Ein-Mann-Briefkastenfirma mit Sitz in Berlin hat alle Beteiligten kontinuierlich belogen“, sagt Günter Mydlak, einer der Mitglieder, in der Rückschau zur WAZ. Reid habe nie einen Vertrag mit Mietern gehabt, geschweige denn eine gesicherte Finanzierung oder überhaupt eine Bürgschaft im Rathaus hinterlegt. „Und die Stadt Herne hat nie ernsthaft geprüft, ob THI finanziell überhaupt in der Lage ist, das Projekt zu stemmen“, kritisiert er. Er fragt: „Wie dumm oder verstockt muss man sein, sich einem solch windigen Trickser zu Füßen zu legen?“

Logo der Bürgerinitiative Regenkamp, Repro Stadtarchiv Herne

Mydlak kritisiert vor allem die damalige Stadtspitze. Die Baugenehmigung für das Entertainment-Center habe beinhaltet, dass der Investor vor Baubeginn 5 Millionen Mark als Sicherheitsleistung zu hinterlegen hatte, damit Handwerksfirmen im Falle einer Insolvenz des Bauherrn nicht leer ausgehen: „Oberbürgermeister Wolfgang Becker und Stadtbaurat Jan Terhoeven verzichteten auf die Eintreibung dieser Sicherheitsleistung – mit katastrophalen Folgen.“ Am Ende kommt die Stadt mit einem blauen Auge davon. Die Stadtwerke kaufen das Gelände, Wayss & Freitag verpflichtet sich, den Rohbau abzureißen. Und mit dem Möbelriesen Zurbrüggen findet sich doch ein Unternehmen, das auf der Brache baut und Jobs mitbringt. Das Einrichtungshaus öffnet Anfang 2012.

Wie es zum Scheitern des großen Bauprojekts kam

September 1996: Oberbürgermeister Wolfgang Becker (SPD) und Karl-Heinz Adams, Chef der Wirtschaftsförderungsgesellschaft (WFG), bestätigen, dass sich ein englischer Investor für die Brache am Regenkamp interessiert. Die Rede ist von einem Kino- und Freizeitzentrum mit 400 Arbeitsplätzen.

Ende 1996/Anfang 1997: Anwohner gründen eine Bürgerinitiative (BI), bezweifeln die Solvenz des Investors Tudor House Investment (THI) und legen Widersprüche gegen den Bauvorbescheid ein.

September 1997: Der Rat stellt die Weichen für den Bau.

Januar 1998: Stadt und THI unterzeichnen den Durchführungsvertrag zum Vorhaben- und Erschließungsplan. Die Stadt verkauft das Grundstück für etwa 6 Mio DM an THI, der Investor zahlt aber nicht.

April 1998: Das OVG Münster lehnt den BI-Antrag ab, den mit einem Bebauungsplan vergleichbaren Vorhaben- und Erschließungsplan für nichtig zu erklären.

Mai 1998: THI erhält eine Teil-Baugenehmigung und kündigt die Eröffnung des Entertainment-Centers für Ende 1999 an.

Juli 1998: THI verschiebt den Beginn der Bauarbeiten.

März 1999: Es wird bekannt, dass mit der Lichtburg in Herne-Mitte im Dezember das letzte Kino schließt. Das Multiplexkino am Regenkamp soll die Lücke nahtlos füllen.

April 1999: THI übergibt den Bauantrag. Als Mieter stellt er vor: Hoyts Cinemas, McDonald’s und die Hotel-Kette Holiday-Inn.

August 1999: THI stellt die Galaxy AG als Betreiber des gastronomischen Bereichs vor. BI-Vertreter zeigen sich entsetzt: Sie nehmen Akteneinsicht im Bauordnungsamt und sprechen anschließend von einer Planungsleiche.

Dezember 1999: Spatenstich für das Entertainment-Center.

März 2000: Die Stadt meldet, dass die Gebühr für die Baugenehmigung von THI überwiesen sei.

Mai 2000: Baustopp – THI stellt Insolvenzantrag.

Oktober 2000: Das Bauunternehmen Wayss & Freitag kauft das Grundstück für 4,5 Millionen DM und tritt selbst als Projektentwickler auf.

McDonald’s vor der Regenkampschen Bauruine, Foto Monschau, Repro Stadtarchiv Herne

Dezember 2000: McDonald’s kommt wie geplant und eröffnet sein Drive in.

Januar 2001: Kinobetreiber Cinemark und die Galaxy AG springen als Mieter ab.

April 2001: Wayss & Freitag plant jetzt ein „Triforum“ – ein Fachmarkt-Zentrum, einen Entertainment-Bereich und ein Bürogebäude – ohne Kino.

November 2001: Stadt spricht vom Scheitern auch des Triforums.

Januar 2002: Geplantes Hotel öffnet – nun aber unter der Flagge von B & B-Hotel.

November 2005: Wayss & Freitag zieht einen Schlussstrich und verkauft das Regenkamp-Grundstück für unter 2,7 Millionen Euro an die Stadtwerke Herne.

April/Mai 2006: Wayss & Freitag reißt die Bauruine ab.

Mai 2008: Das Unternehmen Zurbrüggen entscheidet sich für den Bau eines Wohn- und Einrichtungshauses auf dem Regenkamp-Gelände. Später kauft das Unternehmen das Grundstück von den Stadtwerken, Eröffnung ist Anfang 2012.

Michael Muscheid1

Anmerkung

  1. Der Text wurde am 22.05.2021 in der Herner Lokalausgabe der WAZ erstveröffentlicht. ↩︎