5. Juni 1920 – Geburt von Kurt Edelhagen in Herne-Börnig

Vom Bergmannssohn zu Europas Bandleader Nr. 1

Die Verbindung mit dem WDR

war die Krönung aller meiner Bemühungen…

12.3.1950: „Ein besonders Erlebnis war es für uns, dass wir Gelegenheit hatten, in Hamburg das Orchester Kurt Edelhagen aus Nürnberg zu hören. Dieses ist das erste Orchester in Deutschland, welches sich mit den Bigbands in Amerika messen kann. Kurt Edelhagen gilt heute neben Ted Heath als führende Band Europas. Ihr müsstet das Orchester gesehen haben, um meine Begeisterung zu verstehen. In Hamburg wurden vor allem neue deutsche Komponisten, die zum Teil sogar Mitglieder des Orchesters sind, gespielt. Es war eine Wonne, dieses Konzert.“ (Zeitzeugenbericht)

1951: Bei einem Interview über die Radiowellen von American Force Network Frankfurt wurde ein gewisser Les Brown aus den USA gefragt, was er von Kurt Edelhagen, Deutschlands bestem und Europas zweibestem großen Jazzorchester, halte. Es war die Frage, die seit Jahren jeder amerikanische Jazzmusiker, der nach Deutschland kam, zu beantworten hatte. Noch keiner hatte darauf anders als in höchsten Lobestönen für das deutsche Jazzorchester unter Kurt Edelhagen reagiert. Les Brown war ein führender Big Band-Leader aus den USA, der u.a. mit der durch ihre Filme weltberühmt gewordenen Doris Day, mit Frank Sinatra, mit Nat King Cole und Ella Fitzgerald sehr erfolgreich unterwegs war.

Les Brown argwöhnte, dass Edelhagen womöglich ein Bier sei. Als Brown das Entsetzen seines Gesprächspartners bemerkte, fragte er schnell nach: „Oder ist es vielleicht diese deutsche Band, die spielt wie Stan Kenton?“ „Seit diesem Interview war Les Brown für die deutschen Fans seitdem ein toter Mann“, konstatierte der Redakteur des Wochenmagazins „Der Spiegel“ im Jahr 1951.

In diesem Jahr wählten die Leserinnen und Leser von Deutschlands führender Jazz-Zeitung „Jazz-Podium“ die besten ausländischen und deutschen Jazz-Musiker in den verschiedenen Sparten. Im Bereich der musikalischen Leitung eines Orchesters wählten die Jazzenthusiasten den gebürtigen Herner Kurt Edelhagen auf Platz eins. Zum Beginn der fünfziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts begann die beispiellose Karriere des Herner Jungen in der internationalen Musikszene. Im Jahre 1955 stellte die Presse nüchtern fest: “Kurt Edelhagen, Europas Bandleader Nr.1“.

Der Leiter verschiedener Bigbands von internationalem Format war kein „Kölsche Jung“, wie viele Zeitgenossen annahmen. Die Wiege des Bandleaders und Jazz-Professors stand in Herne-Börnig, wo er am 5. Juni 1920 vor 100 Jahren geboren wurde.

In seinem von ihm verfassten Lebensbericht vom 14. Oktober 1974 erzählte er den Mitgliedern des Rotary Clubs Köln: „Soweit meine Erinnerung in meine Kindheit zurückreicht, war ich immer von Musik umgeben. Mein Vater spielte als Amateur – im guten Sinne des Wortes – Violine, mit sehr viel Leidenschaft, aber sicherlich nicht so gut, wie er es sich wünschte. Das reduzierte meine kindliche Bewunderung aber keineswegs, und so lag der Wunsch nahe, selbst auch Geige zu spielen. Mit fünf Jahren bekam ich nun den ersten Unterricht von meinem Vater und damit eine Vorstellung davon, das Wunsch und die Realisation der Wünsche weit auseinander liegen können, d.h. die Erwachsenen-Violine war viel zu groß für mich und das tägliche Üben unangenehm, ja manchmal unerträglich. An diesem Punkt sind schon viele potentielle Musiker gescheitert.“ Sein Vater spielte für die Lebensplanung von Kurt Edelhagen eine zentrale Rolle: „Ich hatte eine Aufgabe, als Erstgeborener die Träume und Wünsche meines Vaters zu realisieren. Wenn meine Lehrer mir später auch musikalische Begabungen und Prädestination für die Musik attestierten, so ist doch die eigentliche Triebkraft von meinem Vater in mir wirksam geworden.“ In seinem Lebensbericht erwähnt Edelhagen auch die Tatsache, dass seine Vorfahren und seine Familie Migranten waren. Um 1700 zogen die Vorfahren mütterlicherseits von Salzburg nach Ostpreußen in das Gebiet, dass heute zu Russland gehört. Der erste Beleg, dass die Familie Edelhagen in Herne angekommen war, ist die Geburt von Kurt. In den vorhandenen Adressbüchern von Herne vor 1926 findet man keinen Namen  Edelhagen.

Der junge Kurt Edelhagen beim Üben, undatiert, Sammlung Stadtarchiv Herne

In einer weiteren Erinnerung an seine Kindheit in der Börniger Zechenkolonie berichtete er: „Wenn Freunde auf der Strasse dem Fussball nachjagten, musste ich auf den schwarzen Tasten üben. So manches Mal wäre ich lieber bei den Freunden gewesen.“

Als der junge Kurt seine Entscheidung getroffen hatte („Ich wollte Dirigent eines Sinfonieorchesters werden.“), meldete ihn der Vater in der Essener Folkwangschule an.

„Gerade für einen jungen Menschen gab es eine Fülle von Anregungen aus allen miteinander verwandten künstlerischen Berufen. So habe ich als Schüler von Professor Hardörfer mit jungen Opernsängern Arien korrepetiert, mit Tänzerinnen Tänze einstudiert, in der Kirchenmusikabteilung hospitiert und im Opernhaus im ´Rosenkavalier´ Bühnenmusik mit der Klarinette gespielt. Besuch der Generalproben im Theater, in der Oper und bei Balletten war obligatorisch“, beschrieb Kurt Edelhagen die Bandbreite seiner Ausbildung in Essen. Und dann war da noch etwas: er entdeckte seine Leidenschaft während der Nazi-Herrschaft zur offiziell verbotenen Jazzmusik. “Außerdem gab es geschmuggelte Partituren von Hindemith, Strawinsky, Jazz von Radio Luxemburg mit Count Basie, Ellington, Goodman, Nat King Cole und Armstrong.“ Aber Edelhagen konzentrierte sich auf sinfonische Musik, sein Diplom bekam er „mit Auszeichnung“. Lieblingskomponisten während der Studienzeit: Bach und Debussy. Das sind die Meister, denen der moderne Jazz mit seiner Mehrstimmigkeit und seiner impressionistischen Harmonik das Meiste verdankt.

Und dann war da noch eine Leidenschaft. Während seiner Ausbildung in Essen lernte er seine Frau kennen und lieben. „Sie war Studentin in der Opernklasse, hatte das absolute Gehör wie ich, und wir stellten noch viele weitere Gemeinsamkeiten fest.“

1941 war dieses „Eldorado an Anregungen für einen jungen Menschen“ (Kurt Edelhagen) beendet: der Börniger Junge erhielt den Einberufungsbescheid. Von nun sollte er sich als berittener Funker in einer Artellerieeinheit bewähren. „Doch die folgenden Jahre waren wenig ruhmreich.“ Im Sommer 1945 erreichte er nach der russischen Gefangenschaft seine Geburtsstadt Herne, wo sich schnell vier Musiker zusammenfanden, um in einem Cafe als Combo aufzuspielen. Das ehemalige „Central Cafe“ auf der von den Fliegerbomben verschonten Bahnhofsstraße war von den britischen Besatzungstruppen besetzt und hieß in jenen Tagen „Battle Axe Club“. Nur britische Soldaten hatten Zutritt zu diesem Club. Am 11. Juni 1945 wurde dann eine der ersten Jazzbands nach 1945 in Deutschland aus der Taufe gehoben: Kurt Edelhagen gastierte erstmalig mit seiner Combo im britischen Club. Honorar: ein belegtes Brötchen. Um sich damals finanziell über Wasser halten zu können, sorgte er am Klavier für die Unterhaltung der Gäste im Herner Hotel Schlenkhoff und im Cafe Stracke. 

„Diese Musik von Duke Ellington, Lionel Hampton und Armstrong war für uns so faszinierend, dass sie uns anregte und die Idee entstand, auch eine Bigband aufzubauen, was eigentlich genauso unglaublich war, wie ein Lottogewinn im ersten Rang, denn 1945 gab es keine Jazzmusiker in Deutschland. Eigentlich wollte ich Dirigent eines Symphonieorchesters werden, denn vor allem dieses Fach hatte ich auf der Folkwangschule in Essen studiert“, beschrieb Kurt Edelhagen die Atmosphäre in jenen Tagen.

Und seine weitere Karriere erforderte ein gewisses Umdenken weg vom Akademischen zum Improvisierenden. „Abgesehen davon, dass ich 25 Jahre alt war, begann der zweite Teil meines Lebens, der doch ganz anders war, als ich ihn mir vorher vorstellen konnte. Alle Ideale wie akademisch-genaues Spiel, exklusives Kunstdenken, Interpretation im Sinne des Komponisten (auch auf die Gefahr hin, Epigone zu sein), die hohe Vorstellung von der Werktreue, schienen in Gefahr zu sein. Selbst wenn ich auf der Klarinette mit Vibrato spielen sollte, war eine starke Sperre bei mir vorhanden, und dabei hat doch Benny Goodman kaum einen längeren Ton ohne Vibrato ausgehalten. Das Terrain des Eigenschöpferischen – sei es improvisierend, arrangierend, instrumentierend oder komponierend – bot eine Fülle verwirrender Möglichkeiten.“ Aber Kurt Edelhagen sollte dieses Problem meisterlich lösen.

Da die deutschen Musikinteressierten keinen Zutritt zum „Central Cafe“ bekamen, spielte Kurt Edelhagen mit seiner immer größer werdenden Gruppe im Herner Kino „Schauburg“ am 25. März 1946. Der Erfolg im ausverkauften Haus übertraf die Hoffnungen der Optimisten. Am Ende der Veranstaltung brach das Publikum im riesigen Beifall aus. Kurt Edelhagen und seinen Mannen gelang der öffentliche Durchbruch im Nachkriegsdeutschland.

„Die Erklärung dafür, dass ich nun Bandleader wurde, liegt allein darin, dass ich der einzige war, mit dem sich der Cluboffizier verständigen konnte. Trotz aller bisher beleuchteten Schwierigkeiten war der eigentliche Aufbau meiner Big-Band im Mai 1946 abgeschlossen, und wir, d.h. das Orchester, zogen nicht etwa wie die Pilgrim Fathers in das Land der Freiheit, sondern in die amerikanische Zone, um für die amerikanischen Truppen in Bad Kissingen zu spielen. Für die Musiker und mich war es das Land, in dem es Ice-Cream, Steaks, die damalige Währung Zigaretten, Schokolade, Coca Cola und Whisky gab.“ (Kurt Edelhagen)

In den amerikanischen Soldatenclubs lernte Kurt Edelhagen, neben dem Jazz auch Musik zur Unterhaltung zu spielen. Dieses Wechselspiel zwischen Kunst und Kommerz sollte ihn seine ganze Karriere über begleiten. Edelhagen gelang es bald, aus seinen Musikern eine Big Band zu formen, die über die Clubs hinaus für Aufmerksamkeit sorgte. Einem der Radiomacher des amerikanischen Soldatensenders „American Force Network“ (AFN) wurde auf die Musiker um Edelhagen aufmerksam und lud die Gruppe zu einer Radiosession nach Frankfurt ein. Aufgrund der Reichweiten dieser Frankfurter Radiostation entwickelte sich eine gewisse Popularität um die Mannen von Kurt Edelhagen.

Kurt Edelhagen listete in seinem Lebensbericht folgende weitere Stationen seiner musikalischen Entwicklung auf: 1947 Heidelberg mit dem damals „großartigen“ Stardust—Club, in München das Haus der Kunst und 1948 das IG-Kasino in Frankfurt. „The best band in der European command“ hieß es in diesem Jahr in den Rundfunksendungen von American Forces Network und British Forces Network. Auch liefen Sendungen mit dem Edelhagen-Orchester über Voice of America. Besondere Erwähnung fand der erste Filmball 1949. „Ein großartiges Ereignis“: Kurt Edelhagen trug seinen ersten Frack. Während des Filmballs bemerkten er und sein Orchester nicht, dass sie mit ihrem Programm zu avantgardistisch und „völlig deplaziert“ waren. Dieser Auftritt hatte Konsequenzen. Der Programmdirektor von Radio Frankfurt verhängte ein Produktions- und Spielverbot über die Edelhagentruppe. Für ihn und seine Musiker damals total unverständlich. Aber sie hatten sich zu weit vom Publikumsgeschmack entfernt. „Solche Misserfolge sind für mich in meinem Leben immer sehr wesentlich gewesen, weil sie als Provokation und Stimulans auf mich wirkten.“ (Originalton Kurt Edelhagen)

1949 landete Edelhagen in Nürnberg beim Bayerischen Rundfunk, um ein Jazz- und Unterhaltungsorchester aufzubauen.

Kurt Edelhagen mit seinem Orchester am 13.05.1972 in der Eissporthalle im Rahmen der Herner 75-Jahr-Feier, Foto Stadtarchiv Herne

Seit den 1940er Jahren hatte Edelhagen den Anspruch, Jazz zu spielen und in Deutschland zu popularisieren. Nicht zuletzt wegen seiner klassischen Ausbildung begeisterte er sich für die Musik des amerikanischen Bigband-Leaders Stan Kenton. Man nannte Kurt Edelhagen in jenen Tagen auch „die deutsche Antwort auf Stan Kenton“.

Die Verpflichtung beim Bayerischen Rundfunk auch Unterhaltungsmusik zu spielen, entwickelte sich zu einem Konflikt mit der Programmleitung des Senders. Dem Tanzmusikchef beim Bayerischen Rundfunk waren die Jazz-Ambitionen in der Big Band Edelhagens bald zu viel. Nach seiner Musik könne man nicht tanzen, sagte Jimmy Jungermann. Laut dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ soll Jungermann gesagt haben, dass sich Edelhagen besser vom Jazz auf Tanzmusik umstelle, wenn er auf längere Sendezeiten im Bayerischen Rundfunk erpicht sei.

Edelhagen kommentierte: „Von der Tanzmusik müssen wir leben, damit wir Jazz spielen können.“ Oder: „Man zahlt, und du musst tanzen.“ Die Folge war, dass Kurt Edelhagen 1952 seinen Wirkungskreis zum Südwestfunkt verlegte. Diesen Stationswechsel bezeichnete er als „ein Göttergeschenk“: „Endlich war mein Orchester das repräsentative Jazz- und Tanzorchester eines Senders.“ Einige seiner alten Freunde warfen ihm vor, er habe die Jazzmusik verraten, um mit Schlagern leichter sein Brot zu verdienen.

In der Edelhagen-Band, damals bestehend aus sechzehn Mann, regierte das alte Gesetz des Leistungsstärkeren. Kritiker behaupten, dass Edelhagen seinen Ruf und seinen Rang als führendes Großorchester durch ein theoretisch sehr einfaches Prinzip errungen hatte: Wo sich Gelegenheit bot, einen besseren Mann zu engagieren, da hat der Orchesterchef den bisherigen Musiker noch immer aus seinen Diensten entlassen. Edelhagen vertrat im Wirtschaftswunderland Deutschland den Standpunkt, dass die menschlichen Aspekte des Berufslebens nicht immer mit den künstlerischen Ansprüchen harmonierten. Während seiner siebenjährigen Tätigkeit beim Bayerischen Rundfunk arbeitete Edelhagen mit insgesamt 151 Musikern zusammen. Die Folge: in vielen großen Tanzorchestern in Deutschland spielten Musiker, die durch die Schule von Kurt Edelhagen gegangen sind. Während der täglichen sechs- bis siebenstündigen Orchesterproben verlangte er absolute rhythmische und klangliche Präzision. „Präzis wie die Preußen“ charakterisierte ihn der „Spiegel“.

Dazu wurde Edelhagen zitiert: „Präzision heisst ja bei mir nicht, dass ich mich bewerbe im Verein mit Krupp gemeinsam, also das Präziseste herzustellen, sondern dass ich einen gewissen Ausdruckswillen habe, und diesen Ausdruckswillen, so bis ins Letzte gehend,  versuche zu realisieren, wie es nur überhaupt möglich ist. Also eine Präzision, das ist im Grunde ein Ausdrucksvermögen, das bis zum Letzten tatsächlich auch realisiert wird.“

Seinen Lebensweg kreuzten viele berühmte Jazzmusiker nach dem Zweiten Weltkrieg. Nach seinem Wechsel zum Südwestfunkt schickte ihn der Sender u.a. als Repräsentanten des deutschen Jazz zum legendären „Salon du Jazz“ nach Paris, dem glanzumwobenen europäischen Jazz-Festival in jenen Tagen. Dort spielten erstmalig in Europa Charlie Parker, Dizzy Gillespie, Max Roach, Kenny Clarke und Thelonius Monk. Über dieses Pariser Festival nahmen die europäischen Jazzmusiker den neuen Trend, den Bebop, wahr. Und über Paris nahmen die Amerikaner Kurt Edelhagen und seine perfekte Musik wahr. Die amerikanischen Fachleute überschlugen sich vor Begeisterung über den von Edelhagen gespielten Sound.

Kurt Edelhagen mit seinem Orchester am 13.05.1972 in der Eissporthalle im Rahmen der Herner 75-Jahr-Feier, Foto Stadtarchiv Herne

Ein Jahr nach seinem triumphalen Erfolg in Paris wurde der gebürtige Herner Bandleader unfreiwillig zum Entdecker eines der größten Showtalente im Nachkriegsdeutschland. Im Herbst 1953 kam eines Abends eine junge Frau mit ihrer Gitarre zum Südwestfunkt, um bei Kurt Edelhagen vorspielen zu können. Die mehrstündige Orchesterprobe endete gerade und die Musiker verspürten wenig Lust, die Instrumente noch einmal auszupacken. Edelhagen saß im Regieraum und hörte gespannt zu: seine Entdeckung hieß Caterina Valente mit der „Stimme des Wirtschaftswunders“, wie es der „Spiegel“ 1954 schrieb. Noch bevor Caterina Valente ihre erste Platte herausgeben konnte, ging sie mit dem Orchester und Kurt Edelhagen auf Tournee, als begnadete Jazz-Sängerin.

Caterina Valente schilderte aus ihrer Sicht diese wegweisende Begegnung der beiden: „Ich kam da an und ich musste da vorsingen. Ich hatte solche Angst und dann allein und kein Orchester und ganz nur mit der Gitarre. Und der Edelhagen war sehr freundlich zu mir. Und der Kurt ging dann nach hinten in den Regieraum und sagte, Frau Valente würden sie bitte irgendetwas vorsingen. Und das erste, was ich gesagt habe: In welcher Sprache? Hahaha!“ Caterina Valente spricht sechs Sprachen. 

Beim 2. Deutschen Jazzfestival 1954 hörte man in Frankfurt Caterina Valente als Sängerin der Kurt Edelhagen Allstar-Band, mit einer Stimme, die „nie bloß samtweich oder gefällig sein wollte, sondern auf Angriff gebürstet, fast metallisch, voller Energie. Das Pariser Olympia lag ihr zu Füßen, einer Frau mit deutschem Pass,…einem Bilderbuch-Scatgesang, derart gekonnt, dass die Fitzgerald irgendwann raunte, sie, die Valente, sei ihre einzig ernstzunehmende Konkurrentin.“  Caterina Valente: eine Entdeckung von Kurt Edelhagen.   

Dank des guten Rufes des Orchesters von Kurt Edelhagen kamen viele bekannte Jazzmusiker zum Südwestfunkt, um mit der Big Band zu spielen, z.B. der weltberühmte Trompeter Chet Baker. Im März 1954 begann die legendäre Mitternachtssendung „Jazztime Baden-Baden“, die vom „Jazz-Papst“ Joachim-Ernst Behrendt und Kurt Edelhagen moderiert wurde. Das Mithören dieser Radiosendung war für Jazzfans in Deutschland ein absolutes Muss.

„Jazztime Baden-Baden haben wir unsere Sendung genannt, weil wir hier in Baden-Baden das Orchester haben, das eben im deutschen Jazz-Poll  von fast 20.000 Jazzfreunden zum besten deutschen Jazz-Orchester gewählt worden ist, weil in diesem Orchester Musiker sitzen, die ebenfalls in diesem Poll erste oder führende Plätze belegt haben, und weil wir hier den Mann haben, der dieses Orchester leitet, Kurt Edelhagen…Hallo liebe Jazzfreunde, es ist mir ein besonderes Vergnügen, Sie heute hier begrüßen zu dürfen, denn endlich können wir unsere lang gehegten Träume und Wünsche verwirklichen, das spielen, was wir alle gemeinsam lieben, Jazzmusik.“ (Sendemitschnitt „Jazztime Baden-Baden 1954“, SWF)

Ende 1956 präsentierten Joachim-Ernst Behrendt und Kurt Edelhagen ihre 1000. Jazzsendung im Südwestfunk. Zum Jubiläumskonzert in der Stadthalle in Freiburg waren weltberühmte Musiker eingeladen: das Modern Jazz Quartett, der Trompeter Miles Davis und der Saxophonist Lester Young.

Im Alter vor 37 Jahren (1957) wechselte Kurt Edelhagen an den Rhein nach Köln zum Westdeutschen Rundfunk, um das internationale Jazz- und Tanzorchester im Studio 7 im WDR aufzubauen. „Zweifelsfrei betrachte ich die Verbindung mit dem WDR als Krönung aller meiner Bemühungen“, schrieb Kurt Edelhagen in seinem Lebensbericht. Neben seiner Tätigkeit am Sender dozierte er für eine begrenzte Zeit an der Kölner Hochschule für Musik.

Das Orchester, das ab 4.4.1957 in Köln beim WDR aufgebaut wurde, war de facto ein europäisches Orchester. Die beteiligten Musiker aus acht verschiedenen europäischen Ländern u.a. aus England, aus dem damaligen Jugoslawien, aus Frankreich und aus Belgien legten den Grundstein für eine Art von europäischem Jazz. Ende der fünfziger Jahre war das eine grandiose Innovation, dass ein Jazz-Orchester so international besetzt war. Edelhagen sprach von der „Jazz-Uno“.

Zu seinem damaligen Leitbild als Orchesterchef stellte Edelhagen klar: „Wenn man ständig mit so viel Individualisten zu tun hat, dann ist man doch mehr oder weniger gezwungen, gewissen Richtlinien zu finden, eine faire kühle nüchterne Basis, auf der alle richtig gleich behandelt werden. Und dass ich das teilweise in der Musik auch niedergeschlagen habe, das lässt sich gar nicht verleugnen. Aber im Grunde, das Kühle und das Nüchterne liegt mir gar nicht. Im Grunde liegt mir das Rauschhafte, das Schöne, das Jubilieren und diese maßlose Freude auch in der Musik.“

Die Musik und besonders die Jazzmusik überwandten zu Beginn der sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts den sogenannten Eisernen Vorhang zwischen West und Ost. Als einen der zahlreichen Höhepunkte in seinem Leben bezeichnete Edelhagen seine Reise in die damalige UdSSR 1964. Der amtierende Bundeskanzler Adenauer handelte ein Kulturabkommen zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik aus, dass die Tournee dorthin ermöglichte. Bei den Konzerten in Moskau, Leningrad und dem Badeort Sotschi spielte die Big Band vor insgesamt mehr als 180.000 begeisterten Zuschauern. Auf dem Rückweg von Moskau machte Edelhagen mit seiner Band in Berlin-Ost und Dresden eine Zwischenstation. „Bei den Konzerten im Friedrichstadtpalast und vor allem in Dresden war die Begegnung mit den Zuschauern die menschlich bewegendste, ich je hatte. Es war mehr als ein grandioser musikalischer Erfolg. Und im krassen Gegensatz dazu standen die nächtlichen Begegnungen im Restaurant Moskwa mit der ostdeutschen Radio- und politischen Prominenz, darunter auch mit Karl Eduard Schnitzler. Ich glaube, dass alle diese Leute dem Musiker Edelhagen gegenüber aufgeschlossen waren und manches erzählten, was mit ihrer Disziplin sonst nicht zu vereinbaren gewesen wäre.“ (Kurt Edelhagen)

Ein weiterer Höhepunkt in 29 Jahren Orchesterleitung waren für ihn die Eröffnungszeremonie der Olympischen Spiel 1972 in München. Für dieses Projekt erfuhr Kurt Edelhagen wohlwollende Unterstützung des damaligen WDR-Intendanten Claus von Bismarck und des deutschen Sportchefs Willy Daume. Das Nationale Olympische Komitee hatte Kurt Edelhagen den Auftrag erteilt, die Eröffnungsmusik zu gestalten. Den großartigen musikalisch-dramaturgischen Erfolg von Kurt Edelhagen ermöglichten fünfzig exzellente Musiker, drei Arrangeure, Komponisten und versierte Tontechniker. Als Fürst Rainer von Monaco in der Ehrenloge den Takt mitklatschte, wusste Kurt Edelhagen, dass er mit dieser Musik richtig lag. Die Sache hatte einen Haken: Einzig die Schlagzeuger spielten live, ansonsten wurden die vorher im Studio aufgenommenen Tonbänder abgespielt. Die Arrangeure Dieter Reith, Peter Herbolzheimer und Jerry von Rooyen hatten passend zu den einmarschierenden Nationalmannschaften die Musik ausgesucht. Für die Mannschaft der DDR erklang der Titel „An der Elbe“. Als Stadionsprecher fungierte damals der Schauspieler Joachim Fuchsberger mit seiner „Stadion-Stimme aus dem Durbridge-Milieu“ (Spiegel).

Nach der Eröffnungsfeier konstatierte eine Tageszeitung, dass Kurt Edelhagen „die erste inoffizielle Goldmedaille“ verdient hätte.

„Von den Briefen, die ich als Reaktion von gekrönten und sonstigen Staatsoberhäuptern – sogar der Kaiser von Japan war darunter – erhalten habe, ist der von Walter Ulbricht der für mich amüsanteste gewesen.“

Mit seinem Album mit der Musik zur olympischen Eröffnungsfeier stürmte er die Hitparaden und erhielt kurz vor seinem Karriereende die erste Goldene Schallplatte.

Nach diesem für ihn großartigen Erlebnis in München machte sich mehr und mehr seine Krankheit bemerkbar.

Kurt Edelhagen verstarb nach langer schwerer Krankheit im Alter von nur 61 Jahren am 8. Februar 1982 in Köln.

Über seine Geburtsstadt Herne sagte er:

 „Herne, wissen Sie, das ist wie eine Mutter. Sie braucht nicht die schönste Frau zu sein. Aber sie ist in jedem Fall die Beste.“

Kurt Edelhagen mit seinem Orchester am 13.05.1972 in der Eissporthalle im Rahmen der Herner 75-Jahr-Feier, Foto Stadtarchiv Herne

Einmal gastierte Kurt Edelhagen noch in seiner Geburtsstadt: aus Anlass der 75-Jahr-Feier der Stadt Herne tanzten am 13. Mai 1972 1.500 Menschen zu den Klängen des Edelhagen-Orchesters in der Eissporthalle am Gysenberg, nicht weit entfernt von der Mont-Cenis-Strasse 434.

Norbert Kozicki, 05. Juni 2020

Auch interessant: Kurt Edelhagen (Musiker)

Quellen:

  • Lebensbericht Kurt Edelhagen 14.10.1974
  • Tageszeitungen (WAZ, Ruhr-Nachrichten, Frankfurter Rundschau)
  • Zeitzeichen WDR Köln
  • Archiv der Wochenzeitschrift „Der Spiegel“
  • Archiv der Wochenzeitschrift „Die Zeit“
  • Akten Stadtarchiv Herne
  • Stefan Heikens: Die Brieftaube: Deutsche Jugend zwischen Hakenkreuz und Sichel 1947-1951, 2020, S. 135