Der Mond von Wanne-Eickel

Als ein Lied die Stadt berühmt machte

Dass nichts so schön ist wie der Mond von Wanne-Eickel, das ist allgemein bekannt. Land auf, Land ab – mindestens. Grund dafür ist der bekannte Schlager, der das beschauliche Kohlenpott-Städtchen mit dem rußigen Image schlagartig bekannt machte. Im Juli 1962 ging der Mond über Wanne-Eickel auf. Und er ist seither nicht mehr untergegangen.

Wanne-Eickel wird 1962 von einem auf den anderen Tag mit der Nachricht überrascht, dass die bekannten Musiker Friedel Hensch und die Cyprys einen Schlager über die Stadt aufgenommen haben. Zwei Wochen, bevor das Lied veröffentlicht wird, kündigt der Musikverlag den „Der Mond von Wanne-Eickel“ in einem Brief an. Der geht an keinen Geringeren als den Oberbürgermeister Edmund Weber persönlich: „Wir möchten Ihnen heute eine in wenigen Tagen erscheinende Schallplatte ankündigen, und zwar enthält diese Schallplatte einen Schlager, der Ihre Stadt besingt“, heißt es in dem Schreiben an Edmund Weber, das im Stadtarchiv lagert.

Original wurde von einem Taxifahrer geschrieben

Der Mabot-Verlag (Hamburg) berichtet dem Oberbürgermeister dabei über die Entstehungsgeschichte: dass das Original des Schlagers aus Frankreich komme, von einem Taxifahrer geschrieben wurde und das französische Städtchen Maubeuge besinge. „Maubeuge ist eine kleine, nicht besonders schöne Stadt, bedingt durch die dortige Industrie“, heißt es in dem Brief. Und unverblümt schreibt der Verlag weiter: „Wir glauben also, in Wanne-Eickel ein Pendant gefunden zu haben.“ Maubeuge, das sei das Positive, sei dank des Schlagers von Pierre Perrin zu einem beliebten Urlaubsziel geworden: „Gäste aus der ganzen Welt treffen sich in dieser zauberhaften Industriestadt.“ Zum Schluss schreibt der Verlag noch: „Wir möchten wünschen, daß Ihnen und Ihrer Stadt dieser Schlager die gleiche Popularität verschafft wie der Stadt Maubeuge.“

Wanne-Eickel nimmt die Steilvorlage dankbar an. Die Lokalzeitungen überschlagen sich und zählen die Tage, bis der Mondschein-Tango, von Texter Ernst Bader eingedeutscht und auf Wanne-Eickeler Verhältnisse angepasst, endlich in den Läden liegt – und das Lied dann, hoffentlich, auch das Städtchen mit dem Bindestrich-Namen zur Berühmtheit macht. So schreiben die Ruhr-Nachrichten im Juli 1962: „Und nun haben sie ihn, die Wanne-Eickeler, ihren Heimat-Schlager.“ Nichts sei so schön wie der Mond von Wanne-Eickel? „Schönheit liegt so nah im Auge des Betrachters“, meint die Zeitung.

Mond von Wanne-Eickel mit Texten von Fred Endrikat, akustisches Werbegeschenk der Stadt Wanne-Eickel, 1965, Repro Stadtarchiv Herne

Der Wanne-Eickeler Zeitung ist klar: Niemand werde mehr von Ruß und Staub und vom versprochenen blauen Himmel über dem Revier sprechen, wenn das Lied erst mal durch den Äther aus Millionen Lautsprechern in den bundesdeutschen Haushalten erschallt. „Wanne-Eickel wird seine große Chance erkennen und ergreifen und niemand wird es mehr wagen, auf die Stadt, die böse Zungen die verschmutzteste Deutschlands nannten, mit Fingern zu zeigen“, heißt es am 09. Juli 1962, zehn Tage vor der Veröffentlichung der Platte. Und: „Unser Solbad wird in einem Atemzug mit Kissingen, Bad Neuheim oder Meinberg genannt werden, und um den Hotelneubau am Hauptbahnhof werden sich die Interessenten streiten.“

Auch die Bild-Zeitung berichtet über Wanne-Eickel

Drei Tage später legt die Zeitung nach: „Wer davon träumt, als Filmsternchen entdeckt zu werden, wird sich künftig nicht mehr bikini-bekleidet in die südliche Sonne der Riviera legen dürfen, sondern ein Mond-Bad am Kanal vorziehen müssen!“ Die Bild-Zeitung stellt fest: „Urlaub an der Adria, Ferien am Lido von Venedig, Erholung auf Sylt. . . Die Freizeit-Industrie an diesen Orten muss um ihre deutschen Kunden bangen. Da mag die Sonne noch so prall vom Himmel lachen, das Meer noch so blau verführen – was ist das schon gegen den Mondschein von Wanne-Eickel.“

Auch in Frankreich, wo das Original herstammt, wird über den deutschen Ableger von „Un claire de lune à Maubeuge“ (zu Deutsch: „Ein Mondstrahl in Maubeuge“) berichtet. So ist in der französischen Sonntagszeitung „Le journal du dimanche“ eine Karikatur zu sehen mit einem Eisenbahnschalter und drei Menschen. Einer von ihnen sagt zum Schalterbeamten: „Klar, wir fahren immer an die Cote d’Azur, aber seit einiger Zeit wird im Radio so viel über den schönen Mond von Wanne-Eickel gesprochen.“

Karikatur aus ‚Le Journal du Dimache‘, abgebildet in der Wanne-Eickeler Zeitung vom 12.07.1962, Repro Stadtarchiv Herne

Und wie: Auch im Lied „Mond von Wanne-Eickel“ findet sich der ironische Geist des Originals. „Die ganze Luft ist erfüllt vom ew’gen Mai“, singen Friedel Hensch und die Cyprys da, „und jede Nacht am Kanal von Wanne-Eickel ist voller Duft, wie die Nächte von Hawaii…“ Viele exotische Namen, die in der Schlagerwelt der 1950er und 1960-er Jahre so gern besungen werden und das Fernweh befeuern, tauchen in dem Mondlied auf: Mallorca, na klar, aber auch Tarragona, Athen und Rio und nehmen so letztlich die Schlageridylle aufs Korn.

Und die Wanne-Eickeler? Sie wollen das Lied von Friedel Hensch (1906-1990). Sofort. „Freitag nachmittag kamen die ersten Platten in den Geschäften an. Sie waren sofort vergriffen. Am Montag waren auch die Nachlieferungen schnell wieder ausverkauft, neue Nachbestellungen gingen heraus“, schreibt die WAZ am 17. Juli 1962.

Der Mond als Marketing-Instrument

Himmelskörper ist Namensgeber für Musikfest, Theater, Likör und Ritterschaft

Die stolze Stadt wird in dem Lied durch den Kakao gezogen? Egal, ist doch lustig. Nach dem Motto: Da stehen wir doch drüber, oder? Auch wenn die Touristenströme ausbleiben: Der Mond von Wanne-Eickel wird immer mehr zum Begriff, nicht nur in der Stadt, auch weit darüber hinaus, mehr noch, er wird zum Marketing-Instrument. So ist der Himmelskörper seit 20 Jahren Namensgeber für die „Wanner Mondnächte“, die dreitägige Feier am Buschmannshof, ihn gibt es als Likör, produziert von der Schnapsbrennerei Eicker & Callen, er steckt im Namen des Mondpalasts, des Volkstheaters, oder in dem der Mondritterschaft Wanne-Eickel, die Sozialprojekte unterstützt und Stadtteilfeste organisiert – um nur einige Beispiele zu nennen.

Das Mondmotiv, sagt Alexander Christian, Sprecher von Stadtmarketing Herne, habe sich längst verselbstständigt. Die Menschen identifizierten sich mit dem Mond und nähmen ihn mit in ihren Alltag: „Die Menschen freuen sich, wenn sie den Mond von Wanne-Eickel sehen.“ Mehr noch: Der Mond sei heute Kult: „Welche Stadt hat schon einen eigenen Mond?“ Dieser begrüßt längst übrigens auch die Gäste der Stadt: Schließlich leuchten schon am Hauptbahnhof Wanne-Eickel und Buschmannshof runde Monde mit der Botschaft: „Willkommen auf dem Mond“.

Der ‚Mond von Wanne-Eickel‘ grüßt am Buschmannshof, Foto Rainer Raffalski/FFS, 2022

Und das Lied? Das hat bis heute nichts an seiner Popularität eingebüßt. Zu Kirmeszeiten wird es auf Crange rauf und runter gespielt.

Michael Muscheid in Zusammenarbeit mit dem Stadtarchiv Herne1

Anmerkung

  1. Der Text fand seine Erstveröffentlichung in der Lokalausgabe der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung vom 25. Juni 2022. ↩︎