Die Aufzeichnungen des Bauer Theodor Koop in Börnig

Vorbemerkung

Theodor Koop in Börnig (gest. 1925) saß auf einen Bauernhof, auf den seine Vorfahren schon 1675 als Besitzer genannt werden. Er gehörte wohl zu den Vertretern seines Standes, deren Gedanken sich nicht nur mit Viehzucht und Kartoffelanbau, sondern darüber hinaus auch mit anderen Dingen beschäftigten. Die plattdeutschen Gestalten von Augustin Wibbelt verkürzten ihm den Feierabend. Als sein Freund und Standesgenosse, Bauer Wilhelm Hoffmann aus Börnig, im Jahre 1885 im „Castroper Anzeiger” einen Roman über die Schadeburg veröffentlichte, sammelte er die einzelnen Fortsetzungen und bewahrte die Zeitungsausschnitte Jahrzehnte hindurch in der Mappe seiner Hofesakten.

Diese Einstellung mochte ihn auch veranlasst haben, die von seinen Eltern und Großeltern überlieferten Berichte über das Alt-Börniger Leben aufzuzeichnen und so für die Nachwelt zu erhalten.

Zu den einzelnen Abschnitten der Aufzeichnungen folgende Hinweise:

„Alt-Börnig“

Bei den angegebenen Bauernhöfen erscheinen die jetzigen Besitzer in Klammern, die übrigen Höfe sind inzwischen eingegangen.

„Das Börniger Bruch“

Das Börniger Bruch lag zu beiden Seiten der jetzigen Weichselstraße und umfasste 510 Morgen. Es diente den Börniger Bauern als gemeinschaftliche Viehweide, wobei jeder das Recht hatte, je nach der Größe seines Besitztums eine bestimmte Anzahl Vieh dort weiden zu lassen. Im Jahre 1824 erfolgte die Aufteilung des Bruchs (auch Vöde = Viehweide genannt) an die einzelnen Nutzungsberechtigten durch den Kommissar Hiltrop.

Dabei wurden der Schulgemeinde Börnig als „Fundierung“ 5 Morgen, 48 Ruten, 42 Fuß zugeteilt, ebenso erhielten 10 kleine nicht teilungsberechtigte Kötter je 80 Ruten als Eigentum geschenkt.

„Die Schadeburg“

Bei dem in Koops Aufzeichnungen erwähnten Besitzer der Schadeburg handelt es sich um den Freiherrn Johann Heidenreich von Palant, der als Letzter seines Geschlechts auf der Schadeburg saß und im Jahre 1756 ohne Kinder eines unnatürlichen Todes starb. Die Angabe, der Freiherr sei Mitglied am Preußischen Landtags gewesen, beruht auf einem Irrtum, da dieser erst im 19. Jahrhundert eingerichtet wurde. Im 18. Jahrhundert bezeichnet man die Versammlung der Landstände (Vertreter der Ritterschaft, der Städte und der geistlichen Grundherren), die gegenüber den Landesfürsten das Recht der Steuerfestsetzung besaßen, als „Landtag“. Der von Koop erwähnte Streit des Freiherrn mag sich auf einem solchen „Landtag“ zugetragen haben.

Die Aufzeichnungen von Theodor Koop folgen nunmehr im Wortlaut

Alt-Börnig

An der jetzigen Kreisstraße, früher Landstraße, zwischen Castrop und Herne lag vor hunderten von Jahren das Bauerndörfchen Börnig. Es gehörte zum Landkreis Dortmund, Gerichtsbezirk Bochum, Postamt Castrop und zur Kirchengemeinde Castrop. Eine Schule war im Dorfe schon vorhanden. Die Dorfbewohner waren fleißige, arbeitsame Leute, echte Westfalen. Sie betrieben Ackerbau, Viehzucht und Handwerk. Die Gemeinde Börnig setzte sich zusammen aus den Ortschaften Vellwig, Börnig und Voßnacken.

Es gehörten zur Gemeinde Börnig ein freiherrliches Gut (Schadeburg), 19 Landwirte, 1 Kötter. Letztere betrieben nebenbei alle noch ein Handwerk. So waren denn auch alle Handwerker vertreten, und die Dorfbewohner waren nicht auf Nachbargemeinden angewiesen. So gab es hier 3 Leineweber, 1 Schmied, 1 Sattler, 1 Schuster, 1 Zimmer- und Schreinermeister, 1 Rademacher, 1 Faßbinder, 2 Schneidermeister (davon ein Damenschneider), 1 Privatmetzger. Auch war schon eine Wirtschaft am Ort.

Eine Hebamme war auch am Ort. Ein Doktor war hier nicht wohnhaft, konnte zur damaligen Zeit auch noch wenig Geschäfte machen, denn alle waren kerngesund. Im Notfall holte man einen Doktor von Castrop, für allgemein wurden Hausmittel angewandt.

Die Bauernhöfe hatten folgende Namen: Hoffmann, Vortmann , Pächter (Schmidt), Büchte, Herntrey (Velten), Beckmann (Borg), Werth, Sonntag, Tinnemann, und Bornemann (Wefer) (standen in Börnig). Behmer, Baak, Sehrbrook (Stadt Herne), Westerbusch, später Regenbogen (Gaveg) (gehörten auch Voßnacken). Dann Haus Vellwig (gegenüber der Gärtnerei Schüth), Tönnis, später Schulte-Uhlenbruch (Große-Lahr), Wefer, Klute (Werth) und Koop (Friedrich der Große) (gehörten zu Vellwig).

Der Bauernstand war vor mehr als hundert Jahren ein schwerer Stand. Die Bauern waren alle Leibeigene des Adels, d.h. der Hof vererbte sich wohl von einer Generation auf die andere, die Besitzer waren aber nicht direkte Eigentümer, sondern Erbpächter. Sie mussten an ihren adeligen Gutsherrn jedes Jahr je nach der Größe des Hofes eine bestimmte Zahl Scheffel Korn liefern, da in damaliger Zeit das Geld bei den Bauern knapp war. Auch mussten sie an vielen Tagen das Jahres Ihrem Gutsherrn bestimmte Hand- und Spanndienste leisten.

Starb der Mann des Hofes, so mussten die Erben das beste Pferd an den Gutsherrn abgeben, und beim Tode der Frau die beste Kuh. Die Börniger Bauern gehörten meistenteils zum freiherrlichen Gut Schadeburg, die Übrigen zum Gut Bladenhorst. Außerdem mussten die Bauern auch noch ein Zehntel an den Staat abgeben, dass war die damalige Steuer. Sie mussten vom Korn jede zehnte Stiege und vom Vieh jedes zehnte Stück abgeben. Beim Vieh nannte man es blutiger Zehnt. Diese Lasten konnten nicht von den Höfen abgetragen werden, bis die Jahrs 1806 usw. kamen, da Napoleon hier herrschte. Er machte hier das Gesetz, dass die Leibeigenen gegen eine bestimmte Ablösungssumme ihr Eigentumsrecht erwerben konnten.

Jetzt waren es noch schwerere Zeiten, die Ablösegelder zusammenzubringen, denn es musste alles durch der Hände Arbeit verdient werden. In damaliger Zeit war die Bewirtschaftung der Bauernhöfe noch recht schwer. Maschinen kannte man noch nicht. Das Korn wurde im Sommer mit der Sichel gemäht und mit dem Dreschflegel im Winter gedroschen. Des Morgens beim ersten Hahnenschrei um 3-4 Uhr ging der Bauer mit seinen ganzen arbeitsfähigen Hausgenossen zur Tenne. Söhne und Töchter, Knechte und Mägde, alles musste sich am Dreschen beteiligen. Nur die Hausmutter war davon ausgenommen. Sie machte das große Herdfeuer an und kochte die Morgensuppe, frische Milch mit Knabbeln, oh, wie das allen schmeckte nach einer so gesunden Dreschflegelarbeit.

Wer am frühen Morgen mal so durch ein Bauerndorf ging, konnte aus jedem Gehöft das harmonische Klapp-klapp-Konzert der fleißigen Drescher anhören. Der erste Knecht auf dem Hofe, der sogenannte Baumeister, hatte dafür zu sorgen, dass die Arbeiten richtig ausgeführt wurden, er hatte auch zu sorgen, dass das Getreide richtig ausgedroschen wurde.

Luftbildaufnahme des Dorfes Börnig, Repro Gerd Biedermann

Einst passierte es mal, dass ein Bauer das gedroschene Stroh nachkontrollierte. Er fand noch Ähren dabei, die nicht ausgedroschen waren. Ohne ein Wort zu sagen, legte er dem Baumeister drei Ähren, worin noch Korn saß, neben dessen Teller. Der Baumeister sprach auch kein Wort darüber, aber am andern Morgen, wie es wieder ans Dreschen ging, stellte er dem Bauern drei Mädchen vor und sprach: „Für diese drei muss ich andere haben, dann kann ich gute Arbeit liefern.“

Wenn nun am Morgen das Dreschen vorbei war, wurden andere Arbeiten in Angriff genommen.

Das Börniger Bruch

Der nördliche Teil von Börnig, die breite Flächen links und rechts der Kanalstraße (heute Weichselstraße) bis zum Kanal bildete das Börniger Bruch. Hier war früher eine allgemeine Hütung. Jeder Eigentümer von Börnig konnte hier je nach Größe seiner Besitzung die entsprechende Zahl Vieh austreiben. Kam der Frühling ins Land, wurde alles ausgetrieben, Pferd, Kühe, Rinder, Schweine und Gänse, alles marschierte zum Börniger Bruch. Der Kuhhirt, der Schweinehirt, der Gänsehirt, jeder zog mit seiner Herde los.

Die Hirten waren meist so halbwüchsige Jungen, die sich in dieser Wild­nis die Zeit nicht lang werden ließen. Sie spielten dabei Räuber und Banditen, suchten Kiebitzeier im Heidekraut, holten Eichkätzchen, Krähen und Elsternnester aus den höchsten Bäumen heraus. Waren Regentage in Aussicht, so waren die Hütejungen besonders guter Laune, dann konnte man deren Gesang weithin erschallen hören, und jeder Bauer der das trockne Heu draußen hatte, brachte es herein, denn er sagte sich, es liegt Regen in der Luft, die Kuhhirten singen so laut. So galten sie mehr als Barometer, denn diese Dinger hatte man früher noch nicht auf den Bauern­höfen.

Im Jahre 1824 einigten sich die Bewohner von Börnig darüber, dass die Gemeindehütung sollte geteilt werden, und nach Größe der Besitzung wurde das Bruch aufgeteilt. Jeder Eigentümer fing nun an, seinen Anteil besser zu kultivieren und durch Entwässerung und Düngung besser instand zu setzen, so dass üppige Wiesen und Weiden entstanden. Im Sommer sah man drei mal des Tages die Dorfschönen, junge Mädchen, zum Börniger Bruch wandern, um die Kühe zu melken. Jede trug ein Kissen, einen eigens dazu angefertigten Melkkranz, auf dem Kopfe, darauf wurde die Milchbütte gestellt und auf dem Kopfe getragen, ohne sie mit der Hand festzuhalten. Wer das nicht fertigbrachte und die Bütte mal auf den Boden stellte, wurde von den übrigen verlacht. Am liebsten gingen die jungen Mädchen gemeinschaftlich zum Melken.

Das Schloss Schadeburg

Jetzt etwas Näheres über das alte freiherrliche Schloss Schadeburg. Das frühere Schloss Schadeburg stand an der Stelle, wo die jetzigen Ökonomiegebäude von Schadeburg stehen. Es war ein altes, stolzes Schloss, ringsum mit einer Gräfte umgeben. An der Südseite stand ein mächtiger Turm, dort befand sich auch das Einfahrttor und die Zugbrücke. Östlich lagen die Wohnräume, nördlich und westlich die Scheunen und Ökonomiegebäude. Es war somit ein Viereckbau ,und in der Mitte befand sich ein großer freier Platz.

In dem Turm hing eine ziemlich große Glocke, womit des Morgens, Mittags und Abends geläutet wurde. Diese Glocke kam später durch Kauf oder Schenkung zur katholischen Kirche nach Castrop. Später, als im Jahre 1892 in Börnig die erste Notkirche errichtet wurde, kam sie nach dort in das kleine Türmchen und lud die Bewohner von Börnig zum ersten katholischen Gottesdienst ein. Als in Börnig 1903 die jetzige Kirche eingeweiht wurde, kam diese Glocke nach Merklinde und dort ist sie ein Opfer des Ersten Weltkrieges geworden.

Das Innere des Schlosses war großartig eingerichtet. Die großen Gesellschaftssäle ruhten auf Federwerk. Da man in damaliger Zeit keine Öfen und Heizungen kannte, war auf jedem Zimmer ein Kamin, der mit weißen und schwarzen Kieselsteinen ausgemauert war. Der Besitzer des Schlosses war damals der Freiherr von Palant, seine Gemahlin eine geborene Freiin von Frick. Dieser Freiherr war ein brutaler Mensch und führte ein ausschweifendes Leben. Er geriet immer mehr in Schulden und verkaufte ein Grundstück nach dem andern. So war es ihm bald nicht mehr möglich, sich noch standesgemäß zu kleiden. Der Herr Baron von Palant war auch Mitglied des Preußischen Landtages. Da machte ein anderes Mitglied des Landtages einst die Bemerkung: „Herr Baron von Palant, Sie sind der höchste Herr von Adel, haben aber den kahlsten Rock an.“ Hierüber wurde v. Palant so erbost, dass er seinen Hirschfänger zog und den andern niederstach. Darauf wurde Palant zum Tode verurteilt.

Der Adel hatte aber zu der Zeit das Vorrecht, dass sie nach ihrer Verurteilung noch ein Jahr und sechs Wochen frei umher gehen durften, ehe das Urteil vollstreckt wurde. War die Zeit verflossen, so mussten sie sich dem Gericht stellen. In dieser Zeit führte er nun erst recht einen unsoliden Lebenswandel. Da nun der Tag kam, dass er sich in Dortmund zur Vollstreckung des Urteils stellen musste, bestieg er seine Kutsche. Dann befahl er seinem Kutscher, so schnell zu fahren, wie die Pferde laufen könnten und sich durch nichts aufhalten zu lassen. Als aber der Kutscher in Dortmund den Wagen aufmachte, um seinen Herrn aussteigen zu lassen, lag dieser tot im Wagen, er hatte unterwegs durch Vergiftung seinem Leben ein Ende gemacht. Von der Zeit an ging in Börnig die Sage: „Der alte Freiherr von Palant geht spuken,“ und keiner war zu bewegen, in der Geisterstunde sich dem Schlosse Schadeburg zu nähern. Verschiedene wollten ihn gesehen haben, wie er zu der Zeit mit einer Kutsche und zwei Rappen in der Nähe des Schlosses umherfuhr. Andere sahen Ihn des Nachts, wie er mit einem glühenden Pfeifchen im Weinbergswäldchen umging.

Die Gemahlin des Barons ging nachher noch eine zweite Ehe ein mit einem Baron von Berchem, beide Ehen blieben ohne Nachkommen. Durch Vererbung und Verkauf ging das Schloss Schadeburg bald in bürgerlichen, bald in adeligen Besitz über. Die Eigentümer bewohnten aber das Erbe nicht mehr selbst, sondern Pächter bewirtschafteten das Gut. Schließlich kamen die Gebäulichkeiten so in Verfall, sie wurden baufällig und mussten abgebrochen werden. So war die Herrlichkeit des alten Schlosses zu Ende. Es wurden kleinere Ökonomiegebäude wiederrichtet, die heute noch stehen. Die letzte Besitzerin vom Gute zu Schadeburg war eine Frau Landgerichtsrat von der Recke. Von dieser ging der letzte Rest des Gutes Schadeburg durch Kauf an den Bochumer Verein über.

Friedrich Becker

Der Text wurde von Gerd Biedermann entdeckt und für das digitale Geschichtsbuch aufbereitet. Die Veröffentlichung des Textes wurde von Andrea Dahmen, Enkelin von Friedrich Becker, freundlich genehmigt.