Wanne: Ein Ort wird erfunden

Eingemeindungen oder Zusammenschlüsse von Städten sind nicht erst eine Erfindung der Neuzeit. Mit diesen Problemen plagten sich schon unsere Ahnen herum. Seit die Menschen in Westfalen begonnen hatten, alles auf eine Kuhhaut zu kritzeln, was ihnen wichtig erschien, ging es kaum um etwas anderes. Wer von wem verwaltet wurde, wer wem Steuern zu entrichten hatte, wer über welches Land verfügen durfte – die Archive sind voll von solchen Schriftstücken.

So standen die kleinen Gemeindebezirke Röhlinghausen, Eickel, Bickern, Holsterhausen und Crange stets unter einer fremden Fuchtel. Die Ämter, die das Sagen hatten, waren mal Gelsenkirchen, mal Bochum und – schon vor 200 Jahren! – auch mal Herne. Das ging so lange seinen bäuerlichen, westfälischen Gang, bis die Zechen kamen und Tausende von Zuwanderern in die verschlafenen Käffer strömten. Ehe man noch Zeit hatte, sich richtig daran zu gewöhnen, war man plötzlich selber ein Amt.

Auch die anderen Gemeindebezirke übten kräftig, eine richtige Stadt zu werden. Auf dem Bild links ist die Hauptstraße in Eickel zu erkennen (im Hintergrund die Johanneskirche). Repro Stadtarchiv Herne

Ab 1850 war es vorbei mit der Ruhe. Alles wurde chaotisch in die Landschaft geknallt: Zechen, Zulieferbetriebe, Straßen, Gleise, Wohnsiedlungen, Versorgungsbetriebe und -einrichtungen. Um vernünftig zu planen, fehlten Zeit, Geld und wohl auch die richtigen Köpfe. In wenigen Jahren hatten die kleinen Dörfchen Tausende von Einwohner und wurden in die Erwachsenenwelt entlassen.

Die Kreuzung Dorstener Straße/Bielefelder Straße in Holsterhausen. Repro Stadtarchiv Herne

Um nicht von den gierigen, großen Städten aufgesogen zu werden, versuchten die neuen Ämter sich trotzig zu behaupten, indem sie möglichst viele Nachbarn um ihren Kirchturm scharten. Eickel brachte Röhlinghausen und Holsterhausen hinter sich, Crange verbandelte sich mit Bickern. Nur von einer Gemeinde oder gar einem Amt Wanne war weit und breit noch nichts zu sehen und zu hören. Bis dann 1872 der Bahnhof kam. Die Cöln-Mindener-Eisenbahngesellschaft setzte ihn zwischen Bickern und Eickel auf ein (fast) freies Feld, das die Bezeichnung In der Wanne trug. Prompt begann ein Gerangel zwischen den beiden Gemeinden, zu wem der Bahnhof denn eigentlich gehören und ob er nun Bahnhof Bickern oder Bahnhof Eickel heißen sollte. Die Eisenbahngesellschaft hatte wenig Lust auf diese Faxen und taufte ihre neue Station kurzerhand Bahnhof Wanne.

Die „Kranzplatte“ in Röhlinghausen mit Blick in die Plutostraße (Ecke Edmund-Weber-Straße/ Burgstraße). Repro Stadtarchiv Herne

Als dann drei Jahre später auf höchste Anordnung hin die fünf Gemeinden mit immerhin fast 5.000 Einwohnern ein gemeinsames Amt errichten mussten, benannten sie es einfach nach dem Bahnhof: Wanne war erfunden!

Wolfgang Berke

Aus: Berke, Wolfgang,  Das Buch zur Stadt Wanne-Eickel, Mythen, Kult, Rekorde: Eine Zeitreise durchs Herz des Ruhrgebiets, Das Buch mit der Website: www.wanne-eickel.info, 136 Seiten, Klartext Verlag, Essen 2002, Seiten 10 und 11, Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung von Wolfgang Berke