Politische Veränderungen während der Novemberrevolution
Infolge der Novemberrevolution von 1918 und der Sozialisierungsbewegung des Frühjahrs 1919 im Ruhrgebiet kam es im heutigen Stadtgebiet von Herne/Wanne-Eickel zu einigen wesentlichen Veränderungen in politischer Hinsicht.
Im Amt Wanne war das erste Zeichen für die Radikalisierung innerhalb der Bevölkerung die Wahl des Mitglieds der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Wallbaum zum Vorsitzenden des Soldatenrats am 24. November 1918. Diese Wahl erscheint umso bedeutender, als vor der Revolution im Amt Wanne mit den Gemeinden Wanne und Röhlinghausen über die Existenz einer Ortsgruppe der USPD nichts bekannt war. Mehrheitlich waren die Arbeiter in beiden Gemeinden parteipolitisch in der SPD organisiert.
Nach den Streikbewegungen im Dezember 1918 konnte man im Bochumer Wahlkreisverein, zu dem auch das Amt Wanne gehörte, einen starken Zulauf zur USPD beobachten. (Bochumer Anzeiger, 3.1.1919, Nr. 2) Die Parteiversammlungen der Unabhängigen Sozialdemokraten waren im Gegensatz zum November stark besucht. Im Rahmen des Wahlkampfes zur Nationalversammlung am 19. Januar 1919 organisierte die USPD in den Gemeinden Wanne, Eickel, Röhlinghausen und Hordel eine große Demonstration für die „Sozialistische Volksrepublik“. Der Eickeler Soldatenrat Gustav Sobottka (USPD) erklärte zu den Zielen der Demonstration:
„Die am morgigen Sonntag stattfindende Demonstration soll die gewaltigste werden, die Wanne und Eickel und Umgebung je gesehen hat. Die Masse der Arbeiterschaft wird auf dem Plan erscheinen, um für eine freie sozialistische Republik zu demonstrieren.“ (zitiert nach: Westdeutscher Herold, 12.1.1919, Nr. 8) An dieser Demonstration, dem sogenannten Roten Sonntag, beteiligten sich 20.000 Menschen aus den vier Gemeinden.
Im Ortsteil Wattenscheid entwickelte sich ein Konflikt zwischen der SPD und der USPD, der zu einer weiteren Radikalisierung der Arbeiterschaft beitrug. Anfang Januar traten die SPD-Mitglieder aus dem Wattenscheider Arbeiter- und Soldatenrat aus, weil sie sich angeblich nicht dem Zwang unterwerfen wollten, sich den „Spartakisten“ anschließen zu müssen. (Bochumer Anzeiger, 10.1.1919) Der Arbeiter- und Soldatenrat von Wattenscheid, der damals nur noch aus den Unabhängigen Sozialdemokraten bestand, veröffentlichte eine Stellungnahme, in der er erklärte, dass die Mehrheitssozialdemokraten (MSPD) für diese Entwicklung verantwortlich seien. Der Arbeiter- und Soldatenrat berichtete, dass die die drei Sozialdemokraten, die Mitglied der Wachmannschaften waren, vor die Alternative gestellt wurden, entweder ihren Austritt aus der MSPD zu erklären oder aus der Wachmannschaft des Soldatenrats auszuscheiden.
Die Unabhängigen Sozialdemokraten begründeten ihren Schritt mit den „Bochumer und Gelsenkirchener Ereignissen“. Der Vorsitzende des Bochumer Arbeiter- und Soldatenrat und Mitglied der SPD, Husemann, soll Entwaffnungen und Hausdurchsuchungen bei Mitgliedern der USPD aus dem Arbeiterrat veranlasst haben. In Gelsenkirchen sollen die Wachmannschaften des Soldatenrats, der sich mehrheitlich aus Mitgliedern der SPD rekrutierte, unter Mitwissen des Sozialdemokraten Scheidt die Gelsenkirchener Zeitung gestürmt haben. Dabei hatten die Soldaten die Armbinden des Arbeiter- und Soldatenrats abgelegt, damit als Täter die „Spartakisten“ und die Unabhängigen (Sozialdemokraten) verdächtig werden konnten.
So meldete z.B. die Wanner Zeitung am 2. Januar 1919: „In der Nacht zum Dienstag drang eine Gruppe Spartakisten in die Redaktion der Gelsenkirchener Zeitung ein, und verbot das Erscheinen der Zeitung bis zum Wahltag am 19. Januar.“ (Wanner Zeitung, 2.1.1919, Nr. 1) Weiterhin kritisierte die Wattenscheider USPD, dass die von den Mehrheitssozialdemokraten versprochene Parität in der Zusammensetzung des Bezirkssoldatenrats in Gelsenkirchen nicht eingehalten wurde. Dieselbe Absprache sollte es für den Arbeiterrat des Amtes Wattenscheid gegeben haben.
Das sozialdemokratische Bochumer Volksblatt rief nach den Vorgängen in Wattenscheid zum Sturz des dortigen Arbeiter- und Soldatenrates auf:
„Wir erleben ganz traurige Beispiele, wie die Mehrheitssozialisten durch Langmut und Nachsicht sich ihrer Rechte begeben, z.B. in Wattenscheid, wo es noch keine 50 selbstbewusste Unabhängige und Spartakisten gibt, maßen diese Leute sich an, den ganzen Sicherheitsdienst an sich zu reißen, alle Mehrheitssozialisten daraus brutal zu entfernen, eine Zeitung durch Gewalt zu zwingen, sich in den Dienst der von ihr in keiner Weise anerkannten Sache zu stellen. Gegen solche Gewaltherrschaft muss sich das ganze Volk erheben, welches auf einem anderen Standpunkt steht.“ (Bochumer Anzeiger, 10.1.1919, Nr. 8)
Ein angeblicher Putschversuch gegen den aus den Mehrheitssozialisten bestehenden Arbeiter- und Soldatenrat in Langendreer bildete dann den Vorwand für die Bochumer SPD unter der Federführung von Husemann, endgültig und offen zum bewaffneten Kampf gegen die hiesigen Unabhängigen Sozialdemokraten und Linksradikalen aufzurufen – sprachlich ist bei den Letzteren dann immer von „den Spartakisten“ die Rede, obwohl in diesem politischen Lager sehr unterschiedliche politische Orientierungen zu finden waren.
In der schon oben zitierten Ausgabe des Bochumer Anzeigers las man dann weiter:
„Sollte irgendwo die Sicherheitswache versagen und den Spartakisten das Eindringen in die Stadt und in irgendwelche Gebäude ermöglicht werden, so muss jeder waffenfähige Genosse, sei es aus Bochum selbst oder aus der Umgebung – Witten, Herne und alle kleineren Orte – sofort auf dem Plan erscheinen und sich dem Bochumer Arbeiter- und Soldatenrat zur Verfügung stellen. Es muss ein leichtes sein, 1.000 tapfere Genossen an einem Tag zusammenzubringen, um die Spartakisten aus dem Feld zu schlagen.“
Eine solche Frontstellung zwischen Sozialdemokraten auf der einen Seite und den Kommunisten, Syndikalisten und anderen Linksradikalen auf der anderen Seite musste im gesamten Landkreis Gelsenkirchen Konsequenzen zur Folge haben. Ein Ergebnis dieser politischen Auseinandersetzungen um die Fortführung der Novemberrevolution war die Bündnispolitik von USPD und der neugegründeten KPD, deren Vertreter im Arbeiter- und Soldatenrat von Wanne zusammenarbeiteten.
Im Zusammenhang mit der Wahl zur Nationalversammlung am 19. Januar 1919 deutete sich eine weitere Radikalisierung innerhalb der Wanner Bevölkerung an. Im Unterschied zu den Gemeinden Röhlinghausen, Eickel und Hordel, wo die USPD (die KPD beteiligte sich nicht an der Wahl) unter 2 Prozent blieb, erreichten die Unabhängigen Sozialdemokraten im Gemeindegebiet von Wanne 13,7 Prozent, während die SPD 41,7 Prozent erzielte. In den Wohngebieten der Bergarbeiter erreichte die USPD teilweise bis zu 48,3 Prozent (Wahlbezirk 11 „Pluto/Unser-Fritz“). Die SPD blieb aber die stärkste Arbeiterpartei mit Ergebnissen bis zu 65,2 Prozent (Wahlbezirk 3 „Pluto/Wilhelm“). Der Vergleich der einzelnen Wahlbezirke zeigt, dass die Stimmengewinne der USPD eindeutig zu Lasten der Mehrheitssozialdemokraten gingen. In Röhlinghausen konnte diese Entwicklung nicht festgestellt werden, wo die SPD ihr Spitzenergebnis von 64,8 Prozent bei der Wahl zur Nationalversammlung einfuhr. Dieses Wahlergebnis bestätigt eine Auswertung der Wahlergebnisse für die SPD in der Gemeinde Röhlinghausen seit 1908 an anderer Stelle im digitalen Geschichtsbuch von Herne: in diesem Ortsteil gab es ein spezifisches Organisationsverhalten der Arbeiter, deren „Treue“ zur SPD schon während des Ersten Weltkriegs trotz Burgfriedenspolitik nachweisbar ist.
In der Stadt Herne ging die SPD bei den Wahlen zur Nationalversammlung als klarer Sieger hervor: SPD 52,1 %, Zentrum 23,7 %, DVP 14,3 % und die USPD 1,6 %. Während des Wahlkampfes rief die neu gegründete Ortsgruppe der KPD zum Wahlboykott auf, die USPD sollte nicht sonderlich in Erscheinung treten. Die Wahlergebnisse in den Gemeinden Börnig und Holthausen sahen dagegen etwas anders aus. Dort beobachtete man eine einsetzende Radikalisierung in der Bevölkerung. In Holthausen erzielte die USPD 16,6 % und in Börnig 11,8 %. Dazu im Vergleich die Werte für die SPD: 44,3 % und 41,2 %.
Die wesentliche Veränderung in der Parteienlandschaft infolge der Novemberrevolution bildete die Gründung der kommunistischen Partei KPD, deren Gründungsparteitag vom 30. Dezember 1918 bis zum 1. Januar 1919 in Berlin stattfand. Am 29. Dezember 1918 tagte man als „Reichskonferenz des Spartakusbundes“, auf der die Gründung einer neuen Partei beschlossen wurde. Karl Liebknecht begründete die Notwendigkeit der Trennung von der USPD und die Gründung einer neuen Partei mit folgenden Worten:
„Ein weiteres Verbleiben in der USPD wäre Solidarisierung mit der Gegenrevolution. Die Trennung von ihr ist geboten durch die Treue zur Revolution. Keine Solidarität ist mehr möglich mit Haase – Barth – Dittmann. Es muss sofort gehandelt werden. Es gilt in aller Öffentlichkeit der Trennungsstrich zu ziehen und uns als neue Partei zu konstituieren, entschlossen und rücksichtslos, geschlossen und einheitlich im Geist und Willen, mit klarem Programm, Ziele und Mittel zusammengestimmt nach den Interessen der sozialistischen Weltrevolution.“ (Karl Liebknecht: Ausgewählte Reden, Briefe und Aufsätze, Berlin 1952, S. 524)
Auf dem Gründungsparteitag waren 83 Delegierte des Spartakusbundes und anderer linker Gruppen in Deutschland sowie drei Vertreter des roten Soldatenbundes und ein Jugendvertreter anwesend. Aus dem Ruhrgebiet war eine große Delegation vertreten, und zwar aus den Orten Dortmund, Duisburg, Essen, Mülheim an der Ruhr und Herne.
Aus Herne war Jakob Konieczny angereist. Das Biografische Handbuch der Kommunisten vermerkt zu seiner Lebensgeschichte:
„Geboren am 13. Juli 1886 in Zgliniec; Bergarbeiter. Er übersiedelte vor dem Weltkrieg ins Ruhrgebiet, Mitglied der SPD, Mitbegründer des Spartakusbundes in Herne. Ende 1918 Delegierter auf dem Gründungsparteitag der KPD in Berlin. 1919 war er Mitglied des Zentral-Zechenrates (Neunerkommission) im Ruhrgebiet. Delegierter des III. Parteitags 1920 in Karlsruhe, im Herbst 1920 wurde Konieczny als Parteisekretär nach Oberschlesien geschickt. Vom V. Parteitag 1920 in Berlin in den Zentralausschuss gewählt, war er 1921 Anhänger von Paul Levi. Er trennte sich 1921 von der KPD und blieb parteilos. Jakob Konieczny starb am 10. Januar 1929 in Herne.“ Diese Angaben können durch die Informationen aus den Überwachungsberichten der „Königlichen Polizei“ vor dem Ersten Weltkrieg ergänzt werden, dass Konieczny bereits 1912 SPD Mitglied war und als „Agitator“ im Raum Herne namentlich erwähnt wurde.
Den ersten Schritt in die Öffentlichkeit von Herne unternahm die örtliche KPD am Sonntag, den 5. Januar 1919 mit dem Aufruf zu einer öffentlichen Versammlung mit der Fragestellung „Was will Spartakus?“ im Saal des Wirtes Kozerka an der Neustraße. Eine Woche später, am Sonntag, den 12. Januar 1919, veranstaltete die KPD immer noch unter dem Kürzel Spartakusbund eine weitere öffentliche Versammlung im Saal des „Herrn Funke“ an der Bahnhofstraße 7. In dieser Versammlung erläuterten die KPD-Funktionäre von Herne u.a. die Position für den Wahlboykott der jungen Partei. Weitere Tagesordnungspunkte waren „Die Wahrheit über den Bolschewismus“ und „Der Arbeiter- und Soldatenrat von Herne“. In der Zeitungsanzeige wurde „freie Aussprache“ garantiert. Eingeladen hatte ein KPD-Funktionär mit Namen Descher, der im April 1919 während des zweiten Generalstreiks der Bergarbeiter im Ruhrgebiet für die Sozialisierung und Sechsstundenschicht Vorsitzender der Herner Streikleitung war.
Aufgrund des Tagesordnungspunktes „Herner Arbeiter- und Soldatenrat“ und der damit verbundenen Diskussionen über die SPD-Politik sah sich derselbe veranlasst folgenden Aufruf an die Herner Bevölkerung herauszugeben:
„Am Sonntagvormittag, den 12. Januar 1919, beabsichtigt die hiesige Spartakusgruppe eine Versammlung mit anschließendem Umzug zu veranstalten. Da solche Demonstrationen in den letzten Tagen an anderen Orten zu blutigen Zusammenstößen geführt haben, fühlen wir uns verpflichtet die Herner Bürgerschaft auf die auch hier bestehende Gefahr hinzuweisen. Wir ersuchen deshalb dringend, dass sich bei dem Umzuge der Spartakusgruppe keine Neugierigen anschließen. Aus naheliegenden Gründen müssen wir alle, die an der Versammlung und dem Umzug teilnehmen, als Anhänger der Spartakusgruppe betrachten. Bei eventuellen Zwischenfällen können wir nicht erst die Unschuldigen heraussuchen. Wir weisen auf das ausdrücklichste daraufhin, … Auch möchten wir nicht verfehlen, zu betonen, dass wir jede Machenschaft auf das allerausdrücklichste bekämpfen und unterdrücken werden. Der Vollziehungsausschuss des Arbeiter- und Soldatenrates.“ (Herner Anzeiger, 9.1.1919)
Diese Konfrontation in Herne, ausgelöst durch die örtliche SPD und dem von ihr dominierten Arbeiter- und Soldatenrat, steht in schroffem Gegensatz zu den gleichzeitigen Ereignissen in Essen, wo sich eine Neunerkommission für die Sozialisierung des Ruhrbergbaus bildete, in der alle Arbeiterparteien SPD, USPD und KPD drittelparitätisch vertreten waren. Die Herner SPD war durch den Knappschaftsbeamten Julius Benz vertreten. Welche „blutigen Zusammenstöße“ die Herner SPD im Auge hatte, konnte nicht ermittelt werden.
Die Herner SPD beließ es nicht bei dieser öffentlichen Warnung, sondern mobilisierte zu einer eigenen Demonstration am Sonntagnachmittag. „Sonntagvormittag von der Straße, Sonntagnachmittag auf die Straße“. Laut Erklärung im Herner Anzeiger wollte die Herner SPD zeigen, „…dass die Herner Arbeiter- und Bürgerschaft von dem von den Spartakisten propagierten russischen Bolschewismus nichts wissen will.“
Das sozialdemokratische Bochumer Volksblatt berichtete dann am 13.Januar 1919 über die Demonstration der KPD-Ortsgruppe Herne:
„Der von den Spartakisten veranstaltete Demonstrationszug in Herne hatte eine Teilnehmerzahl von etwa 150, die sich mit den Rufen Hoch wir´ und
Nieder mit den Bluthunden Ebert-Scheidemann´ Genugtuung zu schaffen suchten. Der Rathausplatz wurde ihnen verboten, da einige Anhänger sich geäußert hatten, dass das Rathaus gestürmt und der Arbeiter- und Soldatenrat abgesetzt werden sollte. Zu irgendwelchen Zwischenfällen kam es nicht.“ (VBL, 13.1.1919)
Über die eigene Veranstaltung jubelte das SPD-Presseorgan: „Der Demonstrationszug der sozialdemokratischen Partei war hingegen ein Bild geschlossener Arbeitermassen. Über 10.000 Teilnehmer hatten sich auf dem Marktplatz versammelt…“ Trotzdem muss der Rückhalt der neuen KPD-Ortsgruppe in der Herner Arbeiterschaft größer gewesen sein. Am 22. Februar 1919 gestand der Herner Arbeiter- und Soldatenrat der KPD zwei Sitze im Rat zu. Die weitergehenden Forderungen der KPD nach gleichen Rechten und gleichen Sitzen im Arbeiter- und Soldatenrat wurde abgelehnt, ebenso die Forderung nach Absetzung des Oberbürgermeisters, nach Ablösung des Polizeiinspektors und nach der Entwaffnung der Sicherheitswehr. Die Forderung der KPD, die Mitglieder des Rates (alle Mitglieder der SPD) Hölkeskamp, Benz, Wietermann und Hilge nicht als Arbeitervertreter anzuerkennen, wurde erst gar nicht diskutiert. Zu diesem Zeitpunkt, nach dem 18. Februar 1919, bestand nicht mehr das gewerkschaftspolitische Bündnis aller Arbeiterparteien im Ruhrgebiet für die Sozialisierung des Ruhrbergbaus. Zu diesem Zeitpunkt waren bereits Freikorps-Truppen nach Hervest-Dorsten unter ihren monarchistisch gesinnten Offizieren einmarschiert, um die Streikbewegungen im Ruhrgebiet zu verhindern. Wo die Freikorps-Truppen auf Befehl des Reichswehrministers Noske (SPD) einmarschierten, wurde in den Gemeinden und Städten des Ruhrgebiets drei Monate nach Beginn der Novemberrevolution die schwarz-weiß-rote Fahne der Monarchie wieder gehisst.
In den nächsten Monaten verzeichnete die USPD in Herne eine größeren Zulauf als die KPD. Die Spionage-Abteilung des Generalkommandos in Münster meinte im September 1919 folgende Mitgliederzahlen für Herne festgestellt zu haben: USPD 500 Mitglieder und KPD 100 Mitglieder. (STAM, Büro Kölpin, Nr. 192, Bl. 64)
Am Mittwoch, den 29. Januar 1919, fand die erste öffentliche Versammlung der kommunistischen Partei (KPD) im Amt Wanne im sogenannten Kaiserhof statt. Ein Aktionsausschuss hatte dazu eingeladen. Genaue Zahlenangaben über den Besuch der Veranstaltung konnten nicht ermittelt werden, aber die lokale Presse berichtete, dass „…der Saal dicht gefüllt war.“ (Wanner Zeitung, 31.1.1919, Nr. 26) In dieser Versammlung referierte Franke aus Elberfeld zu dem Thema „Was will der Spartakusbund ?“ Besonders betonte er die Notwendigkeit der Bekämpfung der reformistischen Gewerkschaftsführer und der SPD. Außerdem sei die Einführung des parlamentarischen Systems abzulehnen, im Interesse der Weiterentwicklung der Rätebewegung. Ausführlich begründete er die Forderung nach sofortiger Sozialisierung. Der Bericht der Lokalpresse stellt noch fest, dass ein Mitglied des Wanner Arbeiter- und Soldatenrates dem KPD-Redner widersprach, ebenso einem Sprecher der syndikalistischen Gewerkschaftsbewegung, „…dessen Ausführungen auf die zügellose Anarchie hinzielten.“ Die Syndikalisten hatten eine bestimmte Vorstellung von gewerkschaftlicher Politik und Organisation. Der Syndikalismus propagiert die Aneignung der Betriebe durch die Gewerkschaften mit den Mitteln des (General-) Streiks und der direkten Aktion (Besetzung). Diese Gewerkschaftsrichtung war besonders stark auf den Krupp-Zechen Hannibal und Hannover im Raum Eickel und Hordel vertreten.
Die damalige zentrale politische Instanz der neuen Republik nach der Flucht des Kaisers war bis Mitte Dezember der Reichsrätekongress, der vom 14. bis 16. Dezember 1918 in Berlin tagte. Dort wurden für die Weiterentwicklung der Weimarer Republik zentrale Beschlüsse gefasst, wie die Einführung der parlamentarischen Demokratie mit der Nationalversammlung, später Reichstag. Weitere Beschlüsse waren die Errichtung einer demokratischen Kontrolle für das zukünftige Militär und die Sozialisierung der Schlüsselindustrien. Diese Beschlusslage kam in der politischen Bewegung des Ruhrgebiets ab Januar 1919 voll zum Tragen. Die organisierten Bergarbeiter ergriffen die Initiative und riefen die Sozialisierungsbewegung für den Steinkohlenbergbau ins Leben.
Am 1. Februar 1919 wurden einige Mitglieder der Wanner KPD in den Arbeiter- und Soldatenrat gewählt. Die KPD erhielt jeweils zwei Sitze im Arbeiterrat und im Soldatenrat, sodass der Arbeiterrat paritätisch mit allen Arbeiterparteien besetzt war: auf der einen Seite die MSPD, auf der anderen Seite die USPD und die KPD. Der Wanner Soldatenrat blieb nach wie vor mehrheitlich bei den Unabhängigen Sozialdemokraten. (Bochumer Volksblatt, 3.3.1919, Nr. 52)
Bereits am 7. und 12. Februar 1919 kam es in den Gemeinden Wanne und Röhlinghausen zu weiteren Versammlungen der KPD. Am Freitagnachmittag, den 7. Februar 1919, sprach wiederum der Elberfelder Funktionär Franke über das Thema „Die revolutionären Aufgaben des Proletariats“. (Wanner Zeitung, 14.2.1919, Nr. 34) Selbst an einem Nachmittag soll die Versammlung gut besucht gewesen sein. Wiederum agitierte er entschieden gegen die Politik der SPD und die Regierung Ebert-Scheidemann, die das „…Proletariat verraten hätte.“
Auch die Arbeiter- und Soldatenräte seien zum großen Teil keine Vertretungen des Proletariats, weil sie mit den alten Gewalten Hand in Hand arbeiteten. Sie müssten daher von den reaktionären Kräften gründlich „gesäubert“ werden. Die Arbeiterschaft habe mit dem Mittel des Generalstreiks eine ungeheure Macht in den Händen, die genutzt werden muss. Innerhalb von acht bis vierzehn Tagen könnte die Reichsregierung und die Nationalversammlung gestürzt werden. Besonders die Bergwerke müssten vordringlich sozialisiert werden. Weiterhin distanzierte sich der Referent vom „Staatssozialismus“ und forderte den „Sozialismus von unten“. In der anschließenden Aussprache meldeten sich keine Parteigegner zu Wort. Die sozialdemokratischen Mitglieder des Arbeiter- und Soldatenrates waren nicht erschienen.
Die Versammlung vom Mittwoch, dem 12. Februar 1919 im Lokal Mois Kaiserhof an der Königstrasse um 18.00 Uhr, stellte die offizielle Gründungsversammlung der Wanner Ortsgruppe der KPD dar. Der einzige Tagesordnungspunkt lautete: „Aufbau unserer Organisation“. Zu einer weiteren Veranstaltung der KPD kam es am Samstag, dem 15. Februar 1919 im Lokal Kaisergarten an der Wilhelmstrasse um 15.00 Uhr zum Thema „Die Frau und der Bolschewismus“. Es referierte eine Frau Schaumann aus Magdeburg. Zur Deckung der Organisationskosten wurde von den TeilnehmerInnen ein Beitrag von 20 Pfennig erhoben. Die Zeitungsanzeige endete mit den Worten „Arbeiterinnen und Arbeiter erscheint in Massen !“
Einige dieser Versammlungen wurden durch einen Scherenschleifer einberufen, Bernhard Vervoort, der früher Mitglied der SPD war. Als weitere führende Funktionäre der Wanner KPD sind bekannt: der Bergmann Max Turzinski, der spätere Bezirksleiter der Allgemeinen Bergarbeiter Union in Wanne, der Kellner Gustav Janczyk, der Schlosser Heinrich Dörendahl und der Bergmann Johann Sokolowski. (STAM, Büro Kölpin, Nr. 187, Bl.2)
Von einer Gründung der KPD in Eickel war bis zu diesem Zeitpunkt nichts bekannt.
Die Frage nach der sozialen Zusammensetzung der Ortsgruppe der kommunistischen Partei ist praktisch identisch mit der Frage nach den spezifischen Ursachen und Bedingungen der Radikalisierung der lokalen Arbeiterschaft in der Gemeinde Wanne. Bis zum November 1918 kam es im Amtsbereich zu keinen größeren politischen Auseinandersetzungen. Am Ort war nur die SPD als relevante politische Partei der Arbeiterschaft vertreten. Aus diesem Grund bestimmte die SPD zu Beginn der Novemberrevolution im wesentlichen die politischen Vorgänge in Wanne. Der Wanner Arbeiter- und Soldatenrat war fest in der Hand der Mehrheitssozialdemokraten. Die SPD stellte auch den ersten Vorsitzenden des Soldatenrates, der jedoch schon zehn Tage später den Vorsitz an ein Mitglied der USPD (Wallbaum) abgegeben hat. Ein Grund für diese relativ schnelle Radikalisierung des Wanner Soldatenrates stellte die fehlende politische Integration der Soldaten in die alte Sozialdemokratie dar.
Aus der Perspektive der SPD im Wahlkreisverein Bochum, zu dem das heutige Stadtgebiet von Herne/Wanne-Eickel gehörte, formulierte das Parteiorgan: „Leider war das eine festzustellen, dass unter den Soldatenräten und Sicherheitsmannschaften wenig geschulte Sozialisten sich befanden. Die Masse der Leute bestand aus Soldaten, die dem Sozialismus bis zur Revolution fernstanden. Immerhin bekundeten aber diese Leute, dass sie gewillt waren, die Errungenschaften der Revolution zu sichern. Sie legten in politischer Betätigung einen großen Eifer an den Tag.“ (Bochumer Volksblatt, 3.3.1919, Nr. 52)
Die politische Schulung und Bildung kann als ein Moment der Integration in die Organisation bzw. Partei dargestellt werden. Der Aspekt der Informationsvermittlung erscheint dann als zweitrangig. „Fehlende politische Schulung“ bedeutet aus der Perspektive der damaligen SPD fehlende Integration in die alte Sozialdemokratie. Diese fehlende Integration korrespondierte mit den Möglichkeiten, in revolutionären Situationen oder in Situationen des schnellen gesellschaftlichen Wandels Lernprozesse zu vollziehen oder wie es das Parteiorgan formuliert: „Sie legten in politischer Betätigung einen großen Eifer an den Tag“.
Die charakteristische sozialdemokratische Form der politischen Betätigung der einfachen Parteimitglieder bestand, wie die Analyse der Vorkriegssituation der SPD beweist, aus einer besonderen Passivität dem Parteiapparat gegenüber. Diese politische Passivität der Mehrheit der eingeschriebenen Sozialdemokraten führte dann zu der Erscheinung, dass in den Ortsgruppen der Partei größtenteils Freizeitpflege betrieben wurde. Diese Entwicklung führte bei den einfachen Mitgliedern zu einer gewissen Abstinenzhaltung gegenüber politischen Themen, die dann Sache der Funktionäre war. Diese Distanz zum Politischen musste in revolutionären Situationen zur Blockierung von politischen Lernprozessen führen.
Die parteipolitische Dominanz der SPD in Wanne wurde im Verlauf des Novembers stark eingeschränkt, als die Gelsenkirchener USPD für ihre Politik im Landkreis und damit in Wanne zu werben begann. Bereits auf der ersten größeren Kundgebung während der Novemberrevolution sprach am 10. November 1918 das USPD-Mitglied Neysters von der Gelsenkirchener USPD-Ortsgruppe. Den Durchbruch erzielten die Unabhängigen Sozialdemokraten nach dem Wattenscheider Konflikt zwischen SPD und USPD, in dessen Folge sich die USPD von der SPD im hiesigen Raum distanzierte und de facto ein Bündnis mit der KPD einging. Besonders die im Raum Wanne ansässige polnische Arbeiterschaft wurde zur Zielgruppe der politischen Agitation der USPD.
Die weitere Entwicklung der politischen Bedingungen wurde durch die neugegründete kommunistische Partei wesentlich mitbestimmt. Das sozialdemokratische Parteiorgan beschrieb die Entwicklung folgendermaßen:
„Die Herrlichkeit der Unabhängigen bekam eines guten Tages einen kräftigen Stoß, als Spartakus auf der Bildfläche erschien. Dieselben Gesichter, die man in den Versammlungen der Unabhängigen zu sehen bekam, waren in der ersten Versammlung auch bei Spartakus erschienen. Genauso wie man den Unabhängigen Beifall zollte, blieb man ihm auch Spartakus nicht schuldig. Die erste Versammlung des Spartakusbundes im Kaiserhof war stark überfüllt…Spartakisten und Anarchisten gaben sich ein Stelldichein und hetzten, was sie nur hetzen konnten, gegen die Mehrheitssozialisten und gegen die Gewerkschaften…Die Scharen der Unabhängigen wurden zusehends kleiner, alles strömte dem Spartakusbund zu.“ (Bochumer Volksblatt, 3.3.1919, Nr. 52)
Diese Entwicklung führte auch dazu, dass Mitglieder der Sicherheitsmannschaften des Wanner Soldatenrates der KPD beitraten, die daraufhin zwei Vertreter der KPD in den Soldatenrat wählten. Die Mehrheit des Soldatenrates verblieb bei der USPD.
Im Amt Sodingen gab es eine ähnliche Entwicklung. In der 11. Sitzung des Sodinger Arbeiter- und Soldatenrates am 4.2.1919 erklärten die Mitglieder des Rates Geesmann und Schäfer, bis dahin Mitglieder der SPD, ihren Übertritt zur KPD. Im Namen einer Ortsgruppe Börnig-Sodingen der KPD brachten sie einige politische Anträge in den Sodinger Arbeiter- und Soldatenrat ein. U.a. forderten sie den Rücktritt des SPD-Mitglieds Hofmeyer. Dieser sollte Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg beschimpft haben, verbunden mit der Bemerkung, dass diese Personen an die Mauer gestellt werden müssten. (Norbert Kozicki: „Der Kaiser ist weg!“, Die Novemberrevolution in den Ämtern Wanne, Eickel, Sodingen und der Stadt Herne, S. 59)
Norbert Kozicki