1974 – Das Jahr vor der Städteehe

Nachdem im Dezember 1973 durch die Landtagsfraktionen endgültig die Entscheidung zugunsten eines Zusammenschlusses von Herne und Wanne-Eickel zu einer neuen Stadt gefällt worden war, diente das folgende Jahr den beiden Stadtverwaltungen und den Parteien für die vorbereitenden Maßnahmen zur Durchführung des Verwaltungsaktes zum 1. Januar 1975. Lediglich die Bürgergemeinschaft versuchte im Februar 1974 in Zusammenarbeit mit der im September 1973 unter Federführung des Wattenscheider Textilfabrikanten Klaus Steilmann gegründeten Aktion Bürgerwille ein Volksbegehren nach Artikel 68 der Landesverfassung gegen die kommunale Neuordnung des Landes Nordrhein-Westfalen und für die Einführung eines starken Kommunalverbandes Ruhr durchzuführen. In Wanne-Eickel wurde die Unterschriftenaktion mit dem Slogan „Ich will kein Herner werden“ zugespitzt.

Bereits im November und im Dezember 1973 war die Vereinigung um Dr. Köker mit einem Volksbegehren an Formfehlern gescheitert. Aber auch während der Auslegungsfrist der Unterschriftenlisten vom 13. Februar bis zum 26. Februar 1974 konnten nicht genug Stimmen gesammelt werden, um den Neugliederungsplänen des Landes Nordrhein-Westfalen eine andere Wendung zu geben. Die Aktion Bürgerwille erreichte im gesamten Ruhrgebiet nur knapp 720.000 Unterschriften. Erforderlich waren 2,4 Millionen Stimmen. Vor allem in den Oberzentren herrschte das Desinteresse der Bürgerinnen und Bürger vor. In Wanne-Eickel nahmen über 22.000 Menschen an der Aktion teil, gut 32 % der Stimmberechtigten. Ein ob des Abstimmungsergebnisses enttäuschter BG-Vorsitzender Dr. Köker sprach in einem Leserbrief an die örtliche Presse wider besseren Wissens von einer Eingemeindung Wanne-Eickels durch Herne – menschlich vielleicht verständlich, politisch jedoch nicht verantwortungsbewusst. Diese Einlassung und der „Anti-Herne-Slogan“ mögen Gründe dafür sein, dass sich in manchen Köpfen ein Eingemeindungsglaube festgesetzt hat. Bei der ersten Kommunalwahl der neuen Stadt Herne am 4. Mai 1975 zeigte sich die Bürgergemeinschaft dann pragmatisch und ging unter Abwandlung des alten Slogans „Stop – Wanne-Eickel muss selbständig bleiben“ auch in Alt-Herne auf Stimmenfang. Hier hieß es nun „Stop – Herne wählt BG“.

Wahlplakate der Bürgergemeinschaft (Festschrift 15 Jahre BG) (Stadtarchiv Herne)

Bevor es dazu kam, mussten nach dem gescheiterten Volksbegehren noch die gesetzlichen Grundlagen geschaffen werden. Bei der 3. Lesung am 8. Mai 1974 wurde das Ruhrgebiet-Gesetz verabschiedet und am 22. Juli 1974 mit dem Unterschriftsdatum 9. Juli 1974 im Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Nordrhein-Westfalen veröffentlicht. Die Städteehe zwischen Herne und Wanne-Eickel war geschlossen.

Arbeitssitzung der Stadtverwaltungsvertreter, 17.4.1974: Von links nach rechts die Herren Krummrey und Sauer (Herne) sowie Distelrath, Hundertmark und Damshäuser (Wanne-Eickel) (Stadtarchiv Herne)

Nachdem die gemeinsame Leitgruppe für Stadtentwicklung und Organisation und die verschiedenen Arbeitsgruppen der Städte die verschiedenen Interessen abgestimmt, den neuen Namen Herne entschieden und die Vereinigung vorbereitet hatten, fanden am 20. Dezember 1974 die letzten Ratssitzungen der beiden Städte statt.

Die Aufteilung der politischen Funktionen und der oberen Verwaltungsstellen bereitete kaum Schwierigkeiten. Willi Pohlmann und Helmut Hellwig behielten beide ihre SPD-Landtagsmandate.

Erster Oberbürgermeister der neuen Stadt wurde der Wanne-Eickeler Manfred Urbanski. Für die Besetzung der Stelle des Oberstadtdirektors einigte man sich auf den Herner Dr. Karl Raddatz, der nach der Kommunalwahl im Mai 1975 in diese Position zum 15. Juli 1975 gewählt wurde. Mit der Aufteilung der Doppelspitze, die die Geschicke der gemeinsamen Stadt lenken sollte, dokumentierte man das gleichberechtigte und partnerschaftliche Miteinander der bis dato selbstständigen Städte Herne und Wanne-Eickel: Eine Städteehe auf Augenhöhe.

Am 31. Dezember 1974 wandten sich die beiden Oberbürgermeister in einem gemeinsamen Neujahrsaufruf an die Bürger beider Städte und forderten alle auf, der neuen Stadt Herne zu dienen, sie zu fördern und ihr zu vertrauen. Beide betonten, dass sie ihre Städte, so wie sie waren, mit all ihren Unebenheiten und Gegebenheiten gerne weiterbehalten hätten.

Jürgen Hagen, Erstveröffentlichung des ursprünglichen Textes:  „Die Liebe aber kommt im Bett… – Die Geschichte der Städteehe von Herne und Wanne-Eickel“. Jürgen Hagen. In: „Der Emscherbrücher“ Band 17 (2016/17). Seiten 48 bis 51. Herausgegeben von der Gesellschaft für Heimatkunde Wanne-Eickel e. V. Herne 2016.