Wie kein anderer verkörperte Hännes Adamik den SV Sodingen. Am 16. Juli 1925 nur einen Steinwurf vom alten Sodinger Fußballplatz entfernt geboren, blieb „der Schwatte“ wie er genannt wurde, Zeit seines Lebens seinem Verein und dem kleinen Bergarbeitervorort treu. Als Spieler machte er alle Höhenflüge und Abstürze des Vereins mit. Seine aktive Laufbahn glich auch einem Leidensweg: Mit elf Operationen musste er für seinen kompromisslosen Einsatz bezahlen. „Wenn die Flanke kam, dann musste ich eben zum Ball. Das ging ja gar nicht anders“ erzählte er. Am 24. März 2005 verstarb Adamik völlig unerwartet. Zuvor hatte er sich des Abends noch ein Nachholspiel seiner Sodinger Jungs angesehen.
Das Gespräch mit Hännes Adamik führte Wolfgang Bruch1 im Jahr 2003. Es ist das letzte biografische Interview, das die Sodinger Legende gab.
Hännes Adamik, wo haben Sie das Fußballspielen angefangen?
Ich habe mit acht Jahren angefangen, beim SV Sodingen zu spielen. Am Anfang war ich Kofferträger. Wir haben parallel dazu auch auf der Straße gespielt. Damals gab es noch Stoffbälle, die unsere Mutter selbst genäht hatte. So richtig organisiert war der Fußballsport erst Mitte der 1930er Jahre. Ich habe zunächst in der Jugendmannschaft gespielt und bin dann als 16-Jähriger in die erste Mannschaft gekommen. Ab 1941 habe ich meine ersten Meisterschaftsspiele gemacht, das war noch vor meiner Wehrmachtszeit. Bis Mai 1943 habe ich Fußball in Sodingen gespielt und zwar insgesamt in 54 Spielen, wobei ich 27 Tore gemacht habe. Danach bin ich eingezogen worden. 1944 bin ich in Kriegsgefangenschaft zu den Amerikanern gekommen. Wir sind von Le Havre nach New York verschifft worden. Danach wurden wir in ein Lager in Westfield/Niagara verbracht. Während dieser Zeit habe ich auch Fußball gespielt, es gab dort mehrere Lagermannschaften. Ich erinnere mich daran, dass wir einmal den ersten Platz gemacht haben. Bereits im Lager bin ich von anderen Mitspielern angesprochen worden: „Hännes, kommt doch zu uns nach Berlin.“ Am 9. Januar 1946 bin ich aus der Kriegsgefangenschaft entlassen worden. Ich bin sofort nach Herne-Sodingen gefahren und zwar zu meinem Elternhaus auf der Liebigstraße. Da haben die Menschen in Sodingen sofort gesagt: „Der Schwatte ist wieder da!“ Der Sportplatz an der Mont-Cenis-Straße war trotz der Kriegswirren unversehrt geblieben. Es waren bereits mehrere Leute da, die wieder Fußball spielten. Ich erinnere mich noch an Paul Kluger, der dort als Geschäftsführer sogleich alles in die Hände genommen hat. Der Spielbetrieb ging daraufhin los. Am 27. Januar 1946 habe ich gegen Arminia Marten mein erstes Spiel gemacht. Es endete 1:1, und ich habe gleich das Tor geschossen. Es folgten viele Freundschaftsspiele gegen Mannschaften aus dem direkten Umkreis. Zur Saison 1946/47 haben wir eine Mannschaft für die Meisterschaft in der Kreisliga gemeldet.



Welches war Ihr wichtigstes Spiel?
Eigentlich alle Spiele um die Deutsche Meisterschaft. Meiner Meinung nach war mein wichtigstes Spiel die Begegnung SV Sodingen gegen den 1. FC Kaiserslautern in der Schalker Glückauf-Kampfbahn. Als ich einlief, war es unglaublich voll im Stadion. Mir wurde später erzählt, 50.000 bis 60.000 Menschen waren drin. Unser erster Vorsitzender ist anfangs nicht mal hereingelassen worden und kam erst nach der Halbzeit herein. Als ich eine Ecke treten wollte, standen die Zuschauer direkt an der Außenlinie, so dass man keinen Anlauf hatte. Ich habe dann aus dem Stand geschossen. Außerdem musste ich auf die Zuschauer und ein dort stehendes Polizeipferd aufpassen, so dass ich überhaupt nicht ausholen konnte. Kaum dass ich die Ecke geschossen hatte, bin ich sofort wieder in die Mitte des Spielfeldes gelaufen, weil es am Rand viel zu eng war.
Welches war Ihr letztes Spiel?
Da erinnere ich mich genau: Es war am 1. August 1965, ein Freundschaftsspiel gegen Lüdenscheid-Höh. Der Abstieg Sodingens hatte schon begonnen, und ich war im Herbst meiner Fußballerlaufbahn. Ich war schon zuvor oft verletzt gewesen und habe nicht mehr jedes Spiel mitmachen können. An diesem 1. August wurde ich wieder schwer verletzt. Der gegnerische Torwart kam aus seinem Tor herausgehechtet und traf dabei mein Bein. Hierdurch verletzte ich mir das Knie derartig, dass ich unverzüglich ins Krankenhaus nach Börnig gebracht wurde. Es stellte sich heraus, dass das ganze Knie kaputt war. Die Behandlungen, die es heute gibt, gab es damals nicht. Für mich war klar: Jetzt ist Schluss! Ich war immerhin schon 39 Jahre alt. Ich habe mit dem aktiven Fußballspielen aufgehört und nur noch meinen Trainerschein bei Hennes Weisweiler in der Sportschule in Duisburg gemacht.
Was konnte man beim SVS verdienen?
Also nach dem Krieg fing das so mit 60 Mark im Monat an und steigerte sich dann Anfang der 1950er Jahre. Das höchste, was ich als Vertragsspieler jemals bekommen habe, war ein monatliches Grundgehalt von 320 Mark plus Prämien. Das war in unserer besten Zeit, als wir in der Oberliga West gespielt haben.
Haben Sie parallel zum Fußball noch voll gearbeitet?
Natürlich wurde voll gearbeitet! Jeder in der Mannschaft hatte ja einen Beruf, den er auch ausübte. Ich war als Anschläger auf der Zeche Mont Cenis 2/4 im Revier 3 beschäftigt. Mein Freund Leo Konopczynski arbeitete als Fördermaschinist. Ich erinnere mich, dass anfangs von elf Spielern noch zehn auf der örtlichen Zeche beschäftigt waren. Nachher, als wir in der Oberliga West und um die Deutsche Meisterschaft gespielt haben, änderte sich das. Mein Tagesablauf war so gestaltet, dass ich morgens mit dem Fahrrad zur Zeche fuhr und dort meine Schicht absolvierte. Nach Schichtende bin ich nach Hause und habe etwas gegessen. Da wir unmittelbar am Sportplatz wohnten, bin ich sofort nach dem Essen rüber zum Platz. Trainiert wurde in der Woche zweimal, vor wichtigen Spielen dreimal. Ab und zu habe ich mit dem Leo noch zusätzlich einen Waldlauf
im Gysenberg gemacht.
Wie war der Kontakt zu anderen Vereinen?
Der Kontakt zu den Nachbarvereinen in Herne war sehr gut. Man kannte eben die Spieler und meistens die Vorstandsmitglieder. Mit den Spielern von Westfalia Herne hatten wir weniger Kontakt, allerdings kannte ich Kurt Sopart und Hans Tilkowski ganz gut. Spieler der anderen, größeren Vereine kannte ich nicht, schon gar nicht die Spieler von Borussia Dortmund oder Schalke 04. Kontakte ergaben sich nur, wenn wir direkt gegen diese Mannschaften gespielt haben.
Und zu anderen Trainern oder dem Bundestrainer Sepp Herberger?
Mit verschiedenen Trainern hatte ich gute Kontakte, insbesondere zu Fritz Silken, der den SV Sodingen zweimal trainiert hat. Ich hatte auch einen guten Draht zu Robert „Zapf“ Gehbardt, mit dem ich nach seiner Sodinger Zeit noch korrespondiert habe. Ebenso habe ich den damaligen Bundestrainer Sepp Herberger kennen gelernt. Während unserer Hochphase Mitte der 1950er Jahre war er einmal im Stadion des SV Sodingen und hat sich ein Spiel angesehen. Danach war er noch im Vereinslokal „Deutsches Haus“. Später wurde ich vom Verein informiert, dass es eine Anfrage gab, ob ich zu einem Trainingslehrgang nach Duisburg komme würde. Das habe ich gemacht, Sepp Herberger hat das Trainingslager selbst geleitet. Einen Einsatz in der Nationalmannschaft habe ich nicht gehabt. Daran hinderten mich verschiedene Verletzungen.
Können Sie sich noch an die Auftritte des SV Sodingen im Ausland erinnern?
Wir haben 1955 in England vor einer Riesenkulisse gegen FC Everton gespielt. Das Spiel fand in Liverpool statt und endete 0:0. Weitere Spiele haben wir in Holland, Luxemburg, Frankreich und Italien gemacht. Zuletzt waren wir im Jahre 1961 in Tunesien. Das war der schönste Ausflug mit der Mannschaft. Wir sind mit dem Flugzeug dorthin geflogen. In Tunis haben wir den Deutschen Botschafter getroffen und dort zwei Spiele absolviert.

Welchen Kontakt hatten Sie zu den Menschen in Sodingen?
Ich bin ein Sodinger Junge, da versteht es sich von selbst, dass ich hier fast jeden kannte. In meiner aktiven Zeit wurde man an jeder Ecke angesprochen, insbesondere auf der Arbeitsstelle. Was im Fußball passierte, war auf der Zeche Tagesgespräch. Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass auf dem Pütt die „Knifften“ verwettet wurden, ob wir ein Spiel gewinnen oder nicht. In Sodingen war eine derartige Fußballbegeisterung ausgebrochen, wie ich sie noch nicht erlebt habe. Wenn wir zu Hause spielten, war der Ortsteil völlig verstopft. Die Straßenbahn fuhr seinerzeit noch von Herne bis zum Amtshaus. Die Leute stiegen an der Endstation aus und gingen zu Fuß zum Stadion am Holzplatz. Aus allen Richtungen drängten Menschenmassen zum Platz. Sämtliche Straßen waren mit Fahrzeugen verstopft, wobei man berücksichtigen muss, dass es damals gar nicht so viele Autos gab wie heute. An den Kennzeichen konnte man feststellen, dass die Leute aus den umliegenden Städten kamen, um uns zu sehen.
Und nach den Spielen traf man sich in den Gaststätten.
Natürlich! Unser Vereinslokal war das „Deutsche Haus“, Inhaber Familie Köhlhoff. Wir gingen aber auch nach „Wiesmann“ sowie in die übrigen Sodinger Gaststätten. Nach den Heimspielen war es üblich, dass wir zusammen mit den Spielern der gegnerischen Mannschaft in das Vereinslokal zum Essen gingen, egal ob ein Spiel gewonnen wurde oder nicht. Ich erinnere mich nur allzu gut daran, dass sonntags die Gaststätten rappelvoll waren. An der Theke standen die Sodinger dicht gedrängt und diskutierten über unser Spiel.
Wissen Sie, dass der SVS als „Kloppertruppe“ verschrien war?
Ja, das weiß ich genau. Dies wurde uns beispielsweise in Hamburg vorgeworfen. Abgeleitet wurde dies wohl daher, dass wir Bergleute waren, die den ganzen Tag nur „Kohle kloppen würden“. Ich kann nicht verstehen, dass dies auf unsere Spielweise umgemünzt wurde. Wenn ich nach unserem Spiel gefragt werde, muss ich sagen, wir haben hart, aber fair gespielt.
Gibt es irgendeine Episode, die Sie mir noch erzählen möchten?
Ja, da fällt mir noch eine Geschichte ein. Wir sind einmal Mitte der 1950er Jahre mit dem Bus zu einem Auswärtsspiel gefahren. Sammelstelle war das Vereinslokal „Deutsches Haus“. Dort stand der Mannschaftsbus, der mit einem Anhänger ausgerüstet worden war, in dem sollten insbesondere die Spielerfrauen Platz nehmen. So ist es dann gemacht worden. Als der Bus losfuhr, stellte sich heraus, dass der Anhänger nicht angekuppelt war. Der Bus fuhr ab, die Frauen im Anhänger blieben vor dem Vereinslokal stehen. Wir sind mit dem Bus bis zur nächsten Ecke weitergefahren. Dann haben wir gesagt: Wir halten lieber an und nehmen den Anhänger mit unseren Frauen doch mit.
Hatten Sie mal daran gedacht den Verein zu wechseln?
Ich hatte das nicht vor. Damals war es so: Wer in einem Verein spielte, der blieb dort. Die Bodenständigkeit der Spieler war sehr groß. Mir wurde einmal ein Angebot aus Schalke gemacht. Ende der 1940er Jahre besuchten Ernst Kuzorra und noch jemand anders meine Eltern. Meine Mutter war im Haus, rief mich und sagte, es wären zwei „Herren von Schalke 04“ da. Ich bin daraufhin zu einem Gespräch in Schalke gewesen und habe dort einmal mittrainiert. Allerdings ergab sich keine vertragliche Beziehung. Später kamen Angebote vom BVB und von Preußen Münster. Ich bin aber durch und durch Sodinger und wollte nie weg.
Hätten Sie sich aus heutiger Sicht einen Wechsel gewünscht?
Sicherlich wäre ein Wechsel nach Schalke die lukrativste Angelegenheit gewesen.
Wie war Ihr Kontakt zum SV nach der aktiven Zeit?
Ich war Trainer aller Jugendmannschaften des SV Sodingen bis zur C-Jugend. Anfang der 1980er Jahre habe ich damit aber auch Schluss gemacht. Ich bin jetzt Ehrenmitglied im Verein und gehe regelmäßig zu den Heimspielen. Das mache ich, solange meine Gesundheit es erlaubt. Darüber hinaus schaue ich mir die Bundesliga im Fernsehen an. Ich möchte abschließend erwähnen, dass ich zu den Letzten gehöre, die den Verein SV Sodingen von der Pike auf kennen.
Anmerkung
- Erstveröffentlichung des Textes in: „Der Komet des Westens. Die Geschichte des SV Sodingen“. Seiten 96 bis 101. Adhoc Verlag, Herne 2012. Veröffentlichung von Text und Bildern auf dieser Seite mit freundlicher Genehmigung des Autors) ↩︎