„Ehen werden in der Kirche geschlossen, die Liebe aber kommt im Bett“. So brachte es der Wanne-Eickeler Oberstadtdirekter Alfred Hufeld in seiner unnachahmlichen Art in der Bürgerillustrierten ‚Unsere Stadt‘, Ausgabe 2-1973, auf den Punkt. Der Zusammenschluss beider Städte, die lieber selbstständig geblieben wären, war zu der Zeit die bestmögliche Lösung, um ein Höchstmaß an Eigenständigkeit zu behalten. Der Zusammenschluss von Herne und Wanne-Eickel war ein von Realismus und Pragmatismus geprägtes Ergebnis.
Doch mit der Liebe ist es so eine Sache, und immer wieder mal kochen die Emotionen über. Wird die Städteehe thematisiert, dann liest man in Zeitungskommentaren und Online-Foren, dass Wanne-Eickel wahlweise zwangseingemeindet, schleichend eingemeindet, zwangsadoptiert, verschachert, ausgeblutet oder gar vergewaltigt worden sei. Standortentscheidungen Dritter haben grundsätzlich „die Herner“ zu verantworten (natürlich nur die vermeintlich negativen). Nicht zu vergessen: Hier das ehemals reiche Wanne-Eickel, dort die Pleitestadt Herne. Selbst der im April 2008 aus Sicherheits- und Brandschutzgründen erforderlich gewordene Umzug des Stadtarchivs aus Eickel ins zentral gelegene Kulturzentrum, das allein über die notwendigen Magazinkapazitäten verfügte, musste schon als Beleg für die Benachteiligung Wanne-Eickels herhalten. Geradezu abenteuerlieh wird es, wenn angeführt wird, der Revierpark Gysenberg sei von Wanne-Eickel finanziert worden: Wurde dieser doch bereits 1970 eröffnet.
„Die neue Herner Stadtverwaltung hat sich zu Beginn der Städteehe nicht geschickt verhalten“, argumentierte der gerade aus dem Amt ausgeschiedene Wanne-Eickeler Landtagsabgeordnete Helmut Hellwig in der Herner Sonntagszeitung vom 14. Mai 1995 – völlig zu Recht. Er fuhr fort: „Das wichtigste für sie war, die Ämter von Wanne-Eickel abzuziehen und Schilder aufzustellen mit dem Namen Herne. Das hat vieles psychologisch negativ beeinflusst.“ Willi Pohlmann vertrat in einem am 7. Mai 1996 gehaltenen Interview, geführt vom Sozialwissenschaftler Wolfgang Dengel, eine ähnliche Ansicht.
Anfangsfehler, die längst korrigiert wurden, mit neuen Beschilderungen und einer ausgewogenen Dienststellenverteilung. So ist beispielsweise das Wanner Rathaus u. a. mit der Abteilung Meldewesen und Bürgerberatung besetzt. In unmittelbarer Nachbarschaft finden sich die Stadtbibliothek und das Gesundheitsamt, das eines der ersten großen Bauprojekte der gemeinsamen Stadt war. Doch Hellwig stellte auch klar, dass das Zusammengehen richtig war: „Beide Städte für sich wären aufgrund der Finanzschwäche nicht so leistungsfähig gewesen. Es ist gelungen, für die gemeinsame Stadt sehr viel mehr zu tun als für jede Stadt allein, z. B. Zuschüsse des Landes, aus Europa oder dem Bundessenat.“ Ein Blick in die Jahresrechnungen 1974 von Herne und Wanne-Eickel stützt diese Argumente. Herne hatte zum Jahresende 1974 einen Schuldenstand von 63.938.000 DM zu verzeichnen, Wanne-Eickel kam auf 84.502.000 DM. Demgegenüber standen auf Herner Seite Vermögenswerte von 128.599.000 DM, Wanne-Eickel konnte 99.971.000 DM vorweisen.
Auch ein Artikel in der Westfälischen Rundschau vom 21. Oktober 2005 zur Geschichte der Städteehe bestätigt Hellwig. „Eine Untersuchung der finanziellen Ströme belege, dass von einer übergewichtigen Umverteilung nicht gesprochen werden kann“, heißt es dort. Der aus Wanne-Eickel stammende Raumplaner Dr. Arnold Voß stellt in diesem Artikel fest, „dass Wanne-Eickel genauso zu kämpfen gehabt hätte, wenn es selbstständig geblieben wäre. Die Konkurrenz durch die benachbarten Städte, die zunehmende Mobilität der Leute, die bis nach Oberhausen zum Einkaufen fahren, hätten so oder so zum Absaugen von Kaufkraft geführt.“ Die Auswirkungen des demografischen Wandels und den Kaufkraftabfluss durch den aufkommenden Onlinehandel thematisierte er nicht. Dr. Voß erklärte aber, „dass man den Stadtvätern des neuen Herne im Nachhinein nichts vorwerfen konnte.“ Abschließend sagte er: „Wanne-Eickel ist immer schon mehr als eine Stadt gewesen. Das ist für die Selbsteinschätzung der Menschen eine wichtige Sache. Es gibt noch eine Identität, die eine Kultidentität ist.“ Gut so.
Ob aber die „Liebeshoffnung“ von Alfred Hufeld jemals in Erfüllung gehen wird, wissen vielleicht nur der Mond von Wanne-Eickel und die Sterne über Herne. Ein vernünftiges und respektvolles Miteinanderumgehen reicht aber allemal aus.
Jürgen Hagen, Erstveröffentlichung des ursprünglichen Textes: „Die Liebe aber kommt im Bett… – Die Geschichte der Städteehe von Herne und Wanne-Eickel“. Jürgen Hagen. In: „Der Emscherbrücher“ Band 17 (2016/17). Seiten 51 bis 53. Herausgegeben von der Gesellschaft für Heimatkunde Wanne-Eickel e. V. Herne 2016.