Neues aus Alt-Crange

Crange hat in den letzten einhundert Jahren so manchen Heimatforscher inspiriert, Geschichtliches zu Papier zu bringen. Offenbar war es oft schwierig, an Originalquellen heranzukommen oder sie lesen und historisch bewerten zu können. So mancher Inhalt von Urkunden wurde „zurechtgebogen“, um Antworten geben zu können auf Fragen wie: Wann wurde die erste Cranger Kirche gebaut? Geht die Cranger Kirmes auf die Weihe des Gotteshauses an einem Laurentiustag (10. August) zurück? Wann hat man zum ersten Mal in Crange einen Pferdemarkt abgehalten? Am Ende unseres Jahrtausends können manche Fragen anhand der heute bekannten Quellen immer noch nicht beantwortet werden.

Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf historische Ereignisse und Abläufe im Dorf Crange, geschehen im 19. und 20. Jahrhundert.

Schulstube neben Kuh- und Schweinestall

Für das 1669 in Fachwerkbauweise errichtete Pfarrhaus wurde 1842 ein „Entwurf zum Umbau zwecks Errichtung einer Schule mit Lehrerwohnung“ eingereicht. Die Genehmigung dieses Projekts durch die Königliche Regierung zu Arnsberg ließ drei Jahre auf sich warten. Das alte Schulgebäude wurde 1849 abgebrochen und zugleich die neue Schule ihrer Bestimmung übergeben. Im Erdgeschoss lag die Schulstube für 60 Kinder. Ebenfalls im Erdgeschoss lag die zur Lehrerwohnung gehörende Küche sowie ein Kuh- und ein Schweinestall. Im Obergeschoss befanden sich 4 Stuben und der Futterboden.

Eine Akte im Stadtarchiv beinhaltet ein Verzeichnis über das Diensteinkommen des Lehrers zu Crange vom 6. Mai 1843. Darin wird unterschieden zwischen den Natural-Nutzungen, den sonstigen Einnahmen, die der Lehrer selbst erhebt, und den Einnahmen aus der Schulkasse. Daraus ist zu entnehmen, dass der Lehrer mietfrei im Schulgebäude wohnte. Zu seinen Einnahmen zählten außer Pacht- und Erbpachtbeträgen Zinseinkünfte, Erträge aus Kollekten, die an den Kommuniontagen eingenommen wurden, die Zahlung eines Stübers „aus jedem Hause um die Fastnachtszeit“ sowie ein Silbergroschen „von jedem Kinde, welches zuerst die Schule besucht“.

Die Gesamteinnahme des Cranger Lehrers betrug 81 Thaler, 10 Silbergroschen und 4 Pfennig. Schließlich heißt es in dem Verzeichnis: „Der Lehrer ist zugleich Küster und bezieht als solcher 4 Thaler, 10 Silbergroschen, 9 Pfennig.“

Nach Fertigstellung eines Schulneubaus 1883 (heute: Begegnungsstätte Kunsthaus Crange) wurde die alte Cranger Schule im Juli 1968 abgerissen. Vor dem Hintergrund eines erarbeiteten Flächennutzungsplanes für Wanne-Eickel war der Landeskonservator von Westfalen-Lippe bereits im Februar 1967 anlässlich einer Ortsbesichtigung zu dem Ergebnis gekommen: „Durch diesen neuen Gesichtspunkt kamen alle Anwesenden zu der Erkenntnis, dass die historischen Reste von Crange durch ihre ungünstige Lage auf die Dauer nicht gehalten werden können. Daher wurde vorgeschlagen, die Alte Schule nach sorgsamem Aufmass zu gegebener Zeit abzubauen und das Fachwerk einzulagern, damit das Haus später an geeigneter Stelle in einem Erholungsgebiet der Stadt eine neue Aufstellung finden kann. Besonders sinnvoll wäre die Neuaufstellung in Verbindung mit einem neuen Platz für die Cranger Kirmes.“ Das alte Schulgebäude steht seit 1968 nicht mehr, die Kirmes konnte sich an ihrem historischen Standort behaupten, und zwar auch mit Blick zurück auf § 6 des Vertrages von 1905, der die beiden Landgemeinden Wanne und Crange zu einer einzigen Landgemeinde unter dem Namen Wanne vereinigte: „Der Pferdemarkt und die Kirmes müssen während des Fortbestehens in den Grenzen der bisherigen Gemeinde Crange und in möglichster Nähe des bisherigen Dorfes Crange, soweit es die Verhältnisse zulassen, abgehalten werden.“

Kirche und Zeche

Die Cranger Kirche ist der Nachfolgebau der Schlosskapelle aus dem 15. Jahrhundert. Der spätklassizistische Werksteinbau wurde am 8. November 1853 geweiht. Durch den Steinkohlenbergbau ließen sich viele neue Siedler in Crange nieder und die Kirchengemeinde wuchs ständig. Drei Einwohnerzahlen sollen das Anwachsen der Bevölkerung Cranges verdeutlichen: 1798 = 107, 1875 = 251, 1906 = 984. Da das Gotteshaus nicht mehr genügend Platz bot, wurde 1898 eine Empore mit 100 Plätzen errichtet. Beim Erweiterungsbau 1936 durch den Berliner Architekten Hans Krebs blieb bis auf den Chorgiebel der alte Bau in seiner ursprünglichen Form erhalten. Erweitert wurde die Kirche durch ein Querschiff mit Chor. Das Kircheninnere ist einheitlich erneuert worden. Um die Kirche besteht noch ein alter Friedhof, auf dem erstmals am 24. August 1854 bestattet wurde.

Weil der südöstliche Teil des Grubenfeldes der Zeche „Unser Fritz“, der Fettkohlen enthielt, noch nicht aufgeschlossen war und ein Abbau von den vorhandenen Schächten aus vor allem wegen der Schwierigkeit der Wetterführung nicht ratsam war, entschloss sich die Zechenverwaltung trotz der erheblichen Kosten zum Abteufen eines neuen Schachtes 5 in Crange gegenüber dem Westhafen. Der Baubeginn am 10. August 1920 mobilisierte die Gegner. Der Wanner Amtmann Friedrich Winter schrieb am 28. Februar 1921 an die evangelische Kirchengemeinde in Crange: „Die evangelische Kirchengemeinde in Crange mit dem Baumbestand auf dem anschließenden Friedhof bedeutet für Wanne, das an sich arm an Bau-, Kunst- und Naturdenkmälern ist, ein wenn auch weniger künstlerisches so doch immerhin historisches Denkmal, dessen Erhaltung gefordert werden muss. Ich bitte um eine baldgefl. Mitteilung, ob Kirche und Friedhof durch die neue Schachtanlage der Mannesmannröhrenwerke beschädigt, gefährdet oder sonstwie benachteiligt oder beeinflusst wird, damit gegebenenfalls rechtzeitig die nötigen Schutzmaßregeln getroffen werden können.“ Natürlich gab Pfarrer Bunte seine Bedenken zu Protokoll. In den folgenden Monaten schloss sich ein umfangreicher Schriftverkehr mit dem preußischen Oberbergamt in Dortmund, dem Provinzialkonservator der Provinz Westfalen in Münster und dem Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk in Essen an. Die Dortmunder Dienststelle wies daraufhin, dass Schacht 5 zunächst als Wetterschachtanlage ausgebaut werde. Es lasse sich nicht übersehen, ob er jemals auch zur Förderung dienen werde. Eine Gefährdung oder nachteilige Beeinflussung der Kirche und des Friedhofes durch die Wetterschachtanlage sei nicht zu befürchten, da die Kirche über 200 Meter von der Schachtmitte entfernt sei, der Zechenplatz durch eine Mauer eingefriedigt werde und etwaige Störungen von dem Schachtbetrieb ausgehend auf ein erträgliches Mindestmaß beschränkt werden könnten. Die gegenwärtigen Störungen, hervorgerufen durch das Nieten der in der Aufstellung befindlichen Dampfkessel, seien nur vorübergehend. Siedlungsverband und Provinzialkonservator schlossen sich dieser Meinung an. Wetterschacht 5 wurde 1923 in Betrieb genommen.

Alfred Nobel sprengt Weidenstümpfe

Im Herner Anzeiger vom 12. Juni 1937 lesen wir unter der Überschrift ‘Als Alfred Nobel an der Emscher sprengte’: „Alfred Nobel, der Erfinder des Dynamits, des Nitroglycerinpulvers, der Initialzündung und der Sprenggelatine, der Gründer der Nobelstiftung, ist der Bahnbrecher der Sprengtechnik. … Nachdem die einzelnen Betriebsführer den Erfinder aufgesucht hatten, entschloß sich dieser, nach einigen schon in Dorstfeld ausgeführten Sprengversuchen, in den Emscherwiesen unweit des alten Ritterschlosses Crange eine Sprengvorführung zu machen, um die Bedeutung und praktische Bewertbarkeit seiner Erfindung zu zeigen. Dort befand sich nämlich eine Unmenge alter Weidenstümpfe, die er auf Wunsch mehrerer Emscherbauern, denen die Wiesen gehörten, sprengen wollte. An einem heißen Sommertage des Jahres 1867 hatte sich ein großer Kreis von Bauern, Betriebsführern und Steigern an der Emscher eingefunden. Nobel hatte selbst die Schüsse angesetzt, und nachdem alles den erforderlichen Abstand genommen hatte, knallte es. Hoch türmten sich die Erdmassen, und eine große Zahl von Weidenstümpfen wirbelte durch die Luft. Es war geschafft.“

Bismarcks Dank an Cranges Krieger

Der 1873 gegründete Krieger- und Landwehr-Verein Bickern-Crange hatte den Patriotismus groß auf seine Fahnen geschrieben. Unter dem Wahlspruch: „Mit Gott, für König und Vaterland“ beteiligte man sich ab 1877 an Huldigungen des obersten Kriegsherrn, Seiner Majestät Kaiser Wilhelm I. Die Teilnahme an Kaiserparaden gehörte zu den Highlights im Vereinsleben. Zu den Kostbarkeiten, die im Stadtarchiv aufbewahrt werden, gehören zwei Antwortschreiben des Reichskanzlers Otto von Bismarck an den Vorsitzenden des Krieger- und Landwehr-Vereins, Herrn Dr. med. Friedrich Wilhelm Paul Meisner. Der erste Brief vom 14. März 1882 lautet: „Für die Adresse, welche Euere Wohlgeboren mir Namens des Krieger-Vereins Bickern-Crange übersandt haben, danke ich verbindlichst. Dieselbe ist mir ein erfreulicher Beweis dafür, daß die patriotischen und nationalen Gesinnungen Seitens der dortigen Bevölkerung treu gepflegt werden.“ Von Friedrichsruh aus bedankt er sich am 6. April 1882 für die Glückwünsche zu seinem 67. Geburtstag am 1. April 1882. „Für die zu meinem Geburtstage mir übersandten freundlichen Glückwünsche sage ich meinen verbindlichsten Dank “.

Der Verein hat seinem 1. Vorsitzenden anlässlich seines Todes am 4. April 1895 ein auffälliges Denkmal gesetzt. Der Bickerer Künstler Zingsheim hat aus Muschelkalk einen Obelisken geschafffen, der heute noch auf dem evangelischen Friedhof Wanne-Mitte Claudiusstraße erhalten ist, direkt neben der Grabstätte des Wanner Amtmanns Friedrich Winter.

Cranger Bier zu frischen Emscherfischen

Im Feuerstättenverzeichnis des Amtes Bochum von 1664 ist überliefert, daß im Dorf Crange fünf Braukessel installiert waren. Der Kötter Hanss Willem besaß in seinem Haus sogar einen Branntweinkessel. Im alten Crange hat auch ein Brauhaus gestanden, in dessen Mauer eine Sandsteinplatte mit Wappen eingelassen war. Sie trug die Inschrift RVMP + EICKELL und die Jahreszahl 1647. Dieses Brauhaus wurde 1966 dem Erdboden gleichgemacht.

Die alten Cranger tranken Bier gerne zu festlichen Anlässen wie dem Pferdemarkt. Jeweils am 10. August veranstaltete man in den hiesigen Gastwirtschaften Bälle und lud zum guten Essen ein. In einer Annonce von Chr. Garthmann aus Crange vom 5. August 1847 lesen wir: „Cranger Pferdemarkt. Am 10. August, also am hiesigen Kirchmeßtage, ist bei mir Mittagsessen. Für frische Emscherfische mit Kartoffeln und gute Getränke ist bestens gesorgt, weshalb ich einem zahlreichen Besuche entgegen sehe.“ Bevor unsere Speisefische heute auf den Tisch gelangen, haben sie oftmals weite Reisen hinter sich. Der Genuss von Emscherfischen vor etwa 150 Jahren ist ein Beweis dafür, wie fischreich und sauber die Emscher einstmals war. Noch Ende des vergangenen Jahrhunderts gab es in Crange eine Planung, in der Emscher eine Badeanstalt zu errichten.

Laurentius-Luftschiff

Unter dieser Zeitungsüberschrift des Bochumer Kreisblatts vom 17. Juli 1847 finden wir den bisher ältesten Nachweis über ein Kirmesfahrgeschäft: „Mit dem, nach einer eigenthümlichen Idee und nach einer noch eigenthümlicheren, der Schiffsbaukunst ganz unbekannten Construction im Bau begriffenen und der Vollendung sich nahenden Luftschiffe, das den oben angegebenen Namen des Schutzpatrons von Crange führt, wird der Herr H. Funke daselbst, Erfinder und Erbauer desselben, höchst wahrscheinlich zur Zeit der dortigen Laurentius-Kirmeß, die erste Probefahrt machen, oder dasselbe doch dem Publicum zur Schau stellen. Wir erlauben es uns, auf diese neue Erscheinung der Kunst hierdurch aufmerksam zu machen.“ Heutzutage locken Hightech-Fahrgeschäfte  jährlich etwa 4 Millionen Besucher nach Crange.

Manfred Hildebrandt, Juni 2010