Mit der Eröffnung des Bahnhofs Herne-Bochum der Köln-Mindener-Eisenbahngesellschaft am 15. Mai 1847 bekam Herne einen eigenen Eisenbahnanschluss. Die Einrichtung einer Herner Haltestelle auf der damaligen Teilstrecke von Duisburg bis Dortmund feierte also im Jahr 2022 neben Hernes 125. Geburtstag auch ein besonderes Jubiläum, nämlich 175 Jahre Bahnhof Herne.

Die Station trug anfangs noch den Namen Herne-Bochum, denn die Nachbarstadt konnte zu diesem Zeitpunkt keinen eigenen Bahnhof vorweisen, mit dem Ergebnis, dass die Bochumer einen rund anderthalbstündigen Fußmarsch in Kauf nehmen mussten, wenn eine Fahrt mit dem Zug nötig wurde. Erst vierzehn Jahre später erhielt Hernes nächstgrößte Stadt einen eigenen Bahnanschluss.
In einer Art Goldgräberstimmung bauten in der Folgezeit die Köln-Mindener-Eisenbahngesellschaft, die Bergisch-Märkische-Eisenbahn, die Rheinische Eisenbahn und die Niederländisch-Westfälische-Eisenbahngesellschaft weitere Linien in und um Herne. Hinzu kamen Anschluss- und Verbindungsbahnen der Zechen, Häfen und Fabriken.
So entstanden die Strecken:
- 1870 Herne – Riemke – Bochum
- 1874 Emschertalbahn Herne – Börnig – Castrop
- 1876 Herne – Crange – Bismarck – Karternberg Nord –
Oberhausen - 1876 Wanne – Unser Fritz – Herne
- 1879 Dortmund – Bodelschwingh – Herne Strünkede –
Bismarck – Gelsenkirchen, - 1895 Herne – Rottbruch – Riemke.
Der Bau der Eisenbahnstrecken fand oft unabgestimmt und teilweise nebeneinander statt. Man wollte bei dem Aufschwung durch den Bergbau und der Zulieferindustrie unbedingt dabei sein. Und natürlich mitverdienen. Am 20. Dezember 1879 verstaatlichte Preußen die drei großen Eisenbahngesellschaften. Der Wildwuchs von Eisenbahnlinien hatte ein Ende. Strecken wurden neu geordnet oder aufgegeben. Die frei gewordenen Trassen führte man einer anderen Nutzung zu, wie z. B. die Trasse der Westfälischen Eisenbahn, die nach der Aufgabe der Bahn für den Zweigkanal des Dortmund-Ems-Kanals, bei Hernern besser bekannt als Stichkanal, genutzt wurde. Heute verläuft auf derselben Trasse die Autobahn 42.
Der zunehmende Bahnverkehr brachte ein bis dahin nicht bekanntes Problem nach Herne. Der Fußgangerübergang am Herner Bahnhof wurde zu einem Brennpunkt. Chronisten berichteten: „Um 1900 herrschten an dem Bahnübergang katastrophale Verhältnissen. Der Übergang werde täglich von etwa 23.000 Menschen benutzt. In 60 Minuten sei die Straße 41 bis 45 Minuten gesperrt. Sperrungen von 20 Minuten Dauer seien keine Seltenheit.“ Das Problem musste angegangen werden. Die Königliche Eisenbahndirektion zu Essen wollte durch die Verlegung des Personen- und des Güterbahnhofs von Herne ins benachbarte Baukau eine Lösung herbeiführen. Dagegen wehrte sich die junge Stadt Herne vehement. Eine Delegation bestehend aus Bürgermeister Schaefer und mehreren Stadtverordneten reiste am 17. November 1902 nach Berlin und verhandelte mit dem Minister der öffentlichen Arbeiten. Danach war die von der Eisenbahndirektion Essen angestrebte Lösung vom Tisch. Die Umgestaltungspläne sahen nun einen Neubau des Bahnhofgebäudes und eine Anhebung der Strecke mit einer Unterführung der Bahnhofstraße vor. 1913 wurde mit der Anhebung der Strecke begonnen. Die Arbeiten dauerten bis ins Jahr 1917. Das neue Empfangsgebäude konnte 1914 seiner Bestimmung übergeben werden.
Die Eisenbahn machte die 1842 angelegte Chaussee zum wichtigsten Bahnhofszubringer. Hunderte von Fuhrwerken und Personenkutschen begaben sich aus den umliegenden Städten täglich auf dem Weg Richtung Bahnhof. Entlang der Chaussee entstanden Gasthöfe, Krämerläden und Handwerksbetriebe. Keine vierzig Jahre später, 1881, wurde aus der Chaussee die Bahnhofstraße mit ihren repräsentativen Gebäuden.
Folgende Berufe listet das Adressbuch für die Bewohner der Bahnhofstraße im Jahre 1897 auf: 1 Auktionator, 2 Barbiere, 4 Conditoren, 115 Dienstmädchen, 1 Fuhrknecht, 6 Knechte, 21 Hauer, 1 Hülfstelegraphist, 58 Kaufleute, 1 Korbmacher, 2 Kürschner, 1 Kupferschläger, 1 Landbriefträger, 1 Posthülfsbote, 15 Lehrer/innen, 35 Lehrmädchen, 2 Musiker, 17 Schneider/innen, 9 Schuhmacher, 4 Steiger, 11 Uhrmacher, 1 Viehhändler und 18 Wirte.
Noch heute geben die Häuser aus der Gründerzeit mit ihren schönen Fassaden dem Boulevard Bahnhofstraße, der Fußgängerzone entlang dem ehemaligen Dorfkern bis zum Bahnhof, einen besonderen Glanz.
Jürgen Hagen, Erstveröffentlichung des ursprünglichen Textes: „125 Jahre (Alt-)Herner Stadtwerdung“. Jürgen Hagen. In: „Der Emscherbrücher“ Band 19 (2023/24). Seiten 7 bis 36 . Herausgegeben von der Gesellschaft für Heimatkunde Wanne-Eickel e. V. Herne 2023.