Herne Bahnhof

Mitte des 19. Jahrhundert wurde der Bahnhof Herne gebaut. Er gab der Stadt und der Wirtschaft – vor allem den Zechen – einen kräftigen Schub

Mitte des 19. Jahrhunderts ist Herne zur Eisenbahnstadt geworden. Immer mehr Haltepunkte und immer mehr Linien wurden in der Stadt aus dem Boden gestampft. Der Wirtschaft, allem voran den Zechen, gab die Eisenbahn einen Schub, und auch die Menschen kamen nun schneller von Ort zu Ort. Die Bahn sorgte aber auch für manches Chaos – nicht nur in den Anfangsjahren. Siehe: der Bahnhof Herne.

Der wurde an der heutigen Stelle 1847 mit der Eröffnung der Köln-Mindener-Eisenbahngesellschaft eröffnet, erzählt Gerd Körner, Mitglied der Herner Geschichtsgruppe „Die Vier!“. Wobei: Ganz richtig sei das nicht. Das Empfangsgebäude sei ein anderes gewesen, ein Steinwurf vom heutigen entfernt, und der Name des Bahnhofs sei ebenfalls ein anderer gewesen: Herne-Bochum. Grund: Die Nachbarstadt hatte noch gar keinen eigenen Bahnhof, da übernahm Herne gerne.

In „einer Art Goldgräberstimmung“, so Körner, seien andere Eisenbahngesellschaften auf den Zug aufgesprungen und hätten eigene Linien „in und um Herne“ gebaut: die Bergisch-Märkische-Eisenbahn, die Rheinische Eisenbahn und die Niederländisch-Westfälische-Eisenbahngesellschaft. „In alle Himmelsrichtungen“ seien die Züge in den nächsten Jahren abgefahren – ab 1876 etwa bereits über Crange, Bismarck und Katernberg nach Oberhausen oder ab 1879 über Strünkede bis nach Dortmund.

Der Bau der Linien durch die einzelnen Gesellschaften habe „oft unabgestimmt und teilweise nebeneinander“ stattgefunden, sagt Körner, der sich als „Eisenbahnfreund seit frühester Schulzeit“ bezeichnet: „Man wollte bei dem Aufschwung durch den Bergbau und der Zulieferindustrie unbedingt dabei sein – und natürlich mitverdienen.“ 1879 habe Preußen die Reißleine gezogen und die drei großen Eisenbahngesellschaften verstaatlicht. „Der Wildwuchs von Eisenbahnlinien hatte ein Ende“, so Körner. Linien seien neu geordnet, manche wieder aufgegeben worden.

Damit aber seien nicht alle Probleme gelöst worden – im Gegenteil. So habe der boomende Bahnverkehr den Bereich um den Bahnhof regelmäßig lahmgelegt. Weil dauernd Züge durch den Bahnhof gefahren seien, sei auch der Bahnübergang Bahnhofstraße dauernd dicht gewesen. Zeitzeugen hätten berichtet, dass dort um 1900 „katastrophale Verhältnisse“ geherrscht hätten: 23.000 Menschen hätten den Übergang täglich genutzt, und dass die Schranken 20 Minuten lang unten gewesen seien, das sei keine Seltenheit gewesen. Ja mehr noch: In 60 Minuten sei die Straße für den Verkehr bis zu einer Dreiviertelstunde abgeriegelt gewesen.

Was tun? „Die Königliche Eisenbahndirektion zu Essen wollte das Problem durch die Verlegung des Personen- und Güterbahnhofs von Herne ins benachbarte Baukau lösen“, erzählt Körner. Dagegen habe sich die noch junge Stadt Herne gewehrt – erfolgreich.

Was dagegen kam: ab 1913 eine Anhebung der Bahnstrecke mit einer Unterführung der Bahnhofstraße und in einem Aufwasch auch der Bau eines neuen Bahnhofsgebäudes bis 1914.

Allein: Dadurch seien manche neuen Probleme entstanden. Während die Reisenden den Bahnsteig 1 – wie heute – von der Bahnhofshalle aus durch einen Tunnel und Treppenaufgänge erreichten und Reisegepäck sowie Expressgut über einen Lastenaufzug transportiert wurden, hätten die Reisenden den Bahnsteig 2 so gar nicht erreichen können: „Die Fahrgäste mussten einen Tunnel, den sie sich mit dem Gepäck und Posttransport teilten, nutzen.“ Dieser Tunnel sei unter dem aufgeschütteten Bahndamm gebaut worden -zwischen dem Hauptgebäude und dem Haus für die Post und Bahnhofsvorstand. Konsequenz: Fahrgäste, die umsteigen wollten, hätten einen unbequemen und mitunter beschwerlichen Umweg in Kauf nehmen müssen.

„Wer hatte sowas geplant?“, fragt Körner. Mögliche Antworten: Die Planer hätten noch immer in Gesellschaften gedacht, oder sie hätten eher an Post- und Eilgutverkehr, kaum aber an den Personenverkehr gedacht. Oder aber: Die Planung sei „eine kleine Gemeinheit“ der Eisenbahndirektion Essen gewesen, die den Bahnhof ja ursprünglich nach Baukau verlegen wollte, schmunzelt Körner.

Weitere „Nebenwirkungen“ der Aufschüttung der Bahnlinie: Moltkestraße (heute Westring) und Von-der-Heydt-Straße waren plötzlich getrennt, dafür wurde ein weiterer Tunnel gebaut – der berühmt-berüchtigte Möllertunnel für Fußgänger, den viele Menschen aber lieber mieden. Und nicht zuletzt: auch für die Zechen mussten neue Lösungen her. Für die Zeche Von-der-Heydt – wenige hundert Meter vom Herner Bahnhof entfernt – habe parallel zum Bahndamm eine Rampe gebaut werden müssen, um im Güterbereich des Bahnhofs eine „gradlinige Übergabe der Kohlewagen“ zu ermöglichen: „Dadurch wurde der Abtransport der Kohlen erheblich erschwert.“ Ähnlich die Lösung für die Züge der Zeche Friedrich der Große: Für sie habe nicht nur eine Rampe, sondern unterm Güterbahnhof auch ein Eisenbahntunnel gebaut werden müssen.

Tunnel nach dem Weltkrieg verlängert

Erst nach dem Zweiten Weltkrieg, in den 1950er Jahren, habe sich nach und nach die Lage am Herner Bahnhof entspannt. Dort habe „Aufbruch- und Aufbaustimmung“ geherrscht, sagt das Mitglied der Geschichtsgruppe „Die Vier!“.

So seien die Berufsschulen gegenüber am Westring gebaut worden, außerdem der Busbahnhof vor der Tür. Und vor allem: Der Tunnel zum Bahnsteig 1 im Bahnhofsgebäude sei endlich zum Bahnsteig 2 verlängert worden.

Die „Vorarbeiten“ dazu habe während des Zweiten Weltkriegs ein Luftangriff vorweggenommen: „Bomben zerfetzten den Bahnsteig 2 genau an der Stelle, ab der der Vortrieb für den Tunnel zum Bahnsteig 1 stattfinden sollte.“ Im Juni 1951 sei die Wand zum Tunnel am Treppenaufgang zum Bahnsteig 1 schließlich durchbrochen worden. Die Bundesbahn, so Körner, habe den richtigen Riecher gehabt. Das stellten auch die Herner Stadtnachrichten am 3. April 1961 klar: „Das bedeutet eine wesentliche Erleichterung für Reisende der Nord-Süd-Strecke. Der bisher lästige Umweg um das Bahnhofsgebäude und durch den Posttunnel wird nach Fertigstellung der Bauarbeiten entfallen.“

Übrigens: Der „Möllertunnel“, benannt nach dem Gastwirt Christian Möller, wurde schließlich 1967 gesperrt und, mit der Eröffnung des Westrings, zur heutigen Bahnunterführung ausgebaut.

Michael Muscheid in Zusammenarbeit mit Gerd Körner1

Anmerkung

  1. Der Text wurde in der WAZ, Lokalausgabe Herne, am 25.01.2021 erstveröffentlicht. ↩︎