Eine lebendige Erinnerung an die Zeit, in der die Gemeinden Börnig, Sodingen und Gysenberg aufs engste mit Castrop verbunden waren, bildet das Pestkreuz, das auf dem Gelände der Straße „An der Linde“ seit Jahrhunderten das Gedenken an eine schwere Notzeit wachgehalten hat.
Das Jahr 1636 ist in die Geschichte eingegangen als das große Pestjahr des Dreißigjährigen Krieges. Die Seuche suchte ganz Europa heim, auch unsere engere Heimat blieb nicht verschont. Nach der Überlieferung soll damals die Bauernschaft Merklinde restlos ausgestorben sei. In den Folgejahren verpflichteten sich die Überlebenden der anliegenden Gemeinden zu Stiftungen, Bitt- und Opfergängen als Dank für die Errettung aus der furchtbaren Gefahr.
So gelobten die Bewohner der Bauerschaften Rauxel, Obercastrop, Frohlinde und Börnig, in ihrer Feldflur ein Kreuz zu errichten und an einem bestimmten Tage des Jahres dort zu beten und Almosen zu spenden. In der noch erhaltenen Stiftungsurkunde der Bauerschaft Rauxel heißt es: „Wir zeugen und bekennen hiermit für uns und unsere Erben, Anerben und Nachkömmlinge, nachdem der allmächtige Gott in dem Jahre 1636 uns und die unsrigen nach seinem unwandelbaren Willen mit der abscheulichen Krankheit der Pest nach unserm Verdienst schwerlich heimgesucht hat, daß wir am Feste des heiligen Rochus zum Kreuze wallfahren und daß wir eine allgemeine Almose zu Gelde, Brot, Butter, Eier oder dergleichen Sache, was die Nachbarn freiwillig beisammen bringen würden, spenden und austeilen wollen.“
Die Börniger errichteten das versprochene Kreuz im „Eschfeld“ und pflanzten daneben eine Linde.1 Alljährlich am Feste des heiligen Urbanus (25.Mai) pilgerten sie dorthin, opferten Brot, Butter und Eier und verteilten die Gaben an die Armen. Danach begaben sich alle Erwachsenen, Lehrer und Schüler (in Börnig befand sich seit Beginn des 19. Jahrhunderts eine Bauerschaftsschule) betend und singend nach Castrop, wo ein gestiftetes Hochamt gelesen wurde. 1725 verpflichtete sich der lutherische Bauer Konrad Güllicker für sich und seine Nachkommen, zur Abwendung böser Krankheiten diesen Tag mitzufeiern und ein Brot zu stiften.
Um 1860 bildeten die elf Gemeinden des Amtes Castrop einen Armenverband. Die bisherigen Almosen wurden durch die Zahlung eines Geldbetrages (das 25-fache des einfachen Wertes) abgelöst und dem Armenfonds überwiesen. Als Folge dieser Neureglung gingen die Bittgänge ein.
Friedrich Becker2
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Anmerkungen
- Fraglich ist, ob tatsächlich erst mit der Errichtung des Pestkreuzes eine Linde gepflanzt wurde. Der ehemalige Herner Stadtarchivar Manfred Hildebrandt verneinte das. Siehe: „…bey den spätesten Nachkommen in beständig gutem Andenken zu erhalten…“-Denkmäler in Herne und Wanne-Eickel, Manfred Hildebrandt, Der Emscherbrücher Band 14 (2008/09), Seiten 71 und 72, herausgegeben von der Gesellschaft für Heimatkunde Wanne-Eickel e. V., Herne 2008 und Herne – von Ackerstraße bis Zur-Nieden-Straße, Stadtgeschichte im Spiegel der Straßennamen, bearbeitet von Manfred Hildebrandt, Ralf Frensel, Jeannette Bodeux, Franz Heiserholt, Veröffentlichungen des Stadtarchivs Herne, Band 1, Herne 1997, Seite 67, An der Linde. Ebenso Walter Schott: ‚Die Pest in Castrop‘, In: Kultur und Heimat, Heimatblätter für Castrop-Rauxel und Umgebung. Herausgegeben vom Ortsverein Castrop-Rauxel des Westfälischen Heimatbundes, 50. Jahrgang, 1999, Seiten 133 und 134. Gleichfalls B. Stegmann-Sodingen: ‚Die Pest in unserer Heimat‘, In: Heimatblätter für Castrop und Umgebung. Monatsschrift des Vereins Heimatpflege. 5. Jahrgang, Nr. 8, August 1926, Seiten 123 und 124. ↩︎
- Der Text wurde von Gerd Biedermann entdeckt und für das digitale Geschichtsbuch aufbereitet. Die Veröffentlichung des Textes wurde von Andrea Dahmen, Enkelin von Friedrich Becker, freundlich genehmigt. ↩︎