Herz-Jesu-Gemeinde Herne 1949 bis 1969

Aufbaujahre, Wirtschaftswunderzeit und „Wilde 60er“

Endlich ist die Not der ersten Nachkriegsjahre vorbei!

Die Zeit der Lebensmittelkarten und Bezugsscheine ist nahezu zu Ende. Im August 1949 wird Konrad Adenauer als erster Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland gewählt. Seitdem steht das Land im Zeichen des Aufbaus und des sich abzeichnenden Wirtschaftswunders.

Auch In der Bergbaustadt Herne setzt unverzüglich eine Belebung der wirtschaftlichen Tätigkeit ein. Nachdem verschiedene Herner Firmen Material bereitgestellt haben, beginnt Dechant Düwell mit den notwendigen Renovierungen an der Kirche und dem Wiederaufbau des Saales des Vereinshauses. Dort liegen noch die Trümmer von dem Bombenangrtft aus dem Jahr 1944 herum. Die Räumlichkeiten waren nach 1945 nur notdürftig gesichert worden, ein Wiederaufbau war mangels Material und Geld noch nicht erfolgt.

Die Wirtschaft in Herne kommt insgesamt schneller In Gang, als man gedacht hat. Die Zechen Shamrock I/II und Constantin IV/V fördern bereits Höchstmengen, und die Bergbauzulieferer – etwa die Flottmannwerke – erfreuen sich einer Hochkonjunktur. Neue Arbeitnehmer siedeln in Herne an, mit der Folge, dass auch in Ortsteilen im Herner Süden, die zur Gemeinde Herz Jesu gehören, neue Wohnbeuten emporwachsen. Die Zahl der sonntäglichen Kirchgänger ist mit 5.250 erfreulich angestiegen. so dass der seit längerem gehegte Plan, an der Kronenstraße im Ortsteil Constantin eine eigene Pfarrei zu errichten, im Sommer 1949 Gestalt annimmt. Im Oktober kann man endlich mit dem Wiederaufbau des Saales des Vereinshauses beginnen; außerdem wird das durch Kriegseinwirkungen undichte Kirchendach neu eingedeckt.

‚Mit Volldampf voraus‘, Zeche Friedrich der Große, Anfang 1950er Jahre. Repro Stadtarchiv Herne

Das 40-jährige Kirchenjubiläum feiert man am 8.1.1950 mit Rücksicht auf die angespannte Finanzlage (und besonders im Hinblick darauf, dass noch kein großer Saal vorhanden ist) in der Kirche. Dechant Düwell gibt bei einem Festhochamt in seiner Predigt einen Überblick über die letzten 40 Jahre des Gemeindelebens, wobei er die von ihm neu herausgegebenen „12 Bausteine“ vorstellt.

Nachdem sich im Laufe des Jahres abzeichnet, dass der eingetragene Verein „St. Josef e. V.“ nicht die gesamten Wiederherstellungskosten des Vereinshauses erbringen kann, wird nach Zustimmung der erzbischöflichen Aufsichtsbehörde in Paderborn durch die Gemeinde beschlossen, den Verein aufzulösen und den gesamten Grundbesitz der Kirchengemeinde zu überschreiben. Damit ist der Weg für eine solide Finanzierung des Objektes frei.

Am Ende des Jahres 1950 äußert sich Dechant Düwell besorgt über den sich anbahnenden „Kalten Krieg“ zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und Sowjetrussland. Er hegt die Besorgnis. dass der langersehnte Frieden, der erst soeben eingetreten ist, durch eine neue weltpolitischeSpannung gefährdet werden könnte.

Am 15.4.1951 verlässt Vikar Alois Prange die Herz-Jesu-Gemeinde, an seiner Stelle tritt Vikar Hermann-Josef Steinmetz seinen Dienst an. Unter großer Anteilnahme der Gemeinde kann am 16.9.1951 der Saal des Vereinshauses der Gemeinde übergeben werden. Nunmehr ist dort auch eine Gaststätte vorhanden, die privat bewirtschaftet wird und somit als Anlaufpunkt der gesamten Gemeinde dient.

Nachdem die neue Bundesregierung im Jahre 1952 erstmalig den Fronleichnamstag zum gesetzlichen Feiertag erklärt hat, findet eine im Vergleich zu früheren Jahren umfangreichere Prozession mit nunmehr vier Stationen statt (Station an der Herz-Jesu-Kirche, an der Anna-LuiseStraße, in Constantin sowie am Waisenhaus). Auch das Projekt „Pfarrei Constantin“ nimmt immer stärkere Konturen an. Am 5.7.1952 werden die Grenzen für die zu errichtende Kircheabgesteckt, und im September des Jahres erfolgt die Grundsteinlegung.

Versammlung im Saal des Vereinshauses, 21.5.1948. Repro Stadtarchiv Herne

Am 7.12.1952 verstirbt Dechant Düwell. Er wird auf dem Friedhof an der Wiescherstraße beigesetzt.

Am 22. 3. 1953 wird als neuer Pfarrer Herr Dr. von Haehling in die Gemeinde eingeführt. Er kommt aus einer benachbarten Gemeinde in Bochum-Hiltrop. Ihm eilt von dort aus in der örtlichen Presse der Ruf des „Filmpastors“ voraus. Er führt sogleich die bereits begonnenen Renovierungsarbeiten in der Kirche fort. Noch im Oktober 1953 werden die nach den Entwürfen des Herner Künstlers Jupp Gesing angefertigten vier Chorfenster in die Herz-Jesu-Kirche eingebaut.

Nach einer Bauzeit von nahezu 20 Monaten ist die Kirche der neuen Pfarrgemeinde Herne Constantin fertig gestellt, so dass am 3.5.1954 der erste Gottesdienst in der Gemeinde, die den Namen St. Konrad trägt, abgehalten werden kann.

Baustelle der Kirche St. Onrad, 1954, Repro Stadtarchiv Herne

Am 18.11955 wird eine zweite Vinzenzkonferenz gegründet, die den Namen „St. Martin-Vinzenz-Konferenz“ führt. Die Kirchgängerzählung dieses Jahres erbringt die erfreuliche Feststellung, dass sonntags 5.400 Personen die Gottesdienste besuchen. Am 1.11.1955 wird die Gedenktafel für den verstorbenen Dechant Franz Düwell in der Herz-Jesu-Kirche angebracht und feierlich eingeweiht. Sämtliche Herner Tageszeitungen berichten hierüber.

Bereits Ende 1955 trafen die ersten von insgesamt 9.628 Spätheimkehrern im Durchgangslager Friedland ein. Diese Freilassung von Deutschen wurde im September 1955 während des Besuchs von Bundeskanzler Konrad Adenauer in Moskau von der Sowjetunion zugesagt. Mit großer Freude kann am 18.1.1956 in der Herz-Jesu-Gemeinde die erste Heimkehrerin aus russischer Gefangenschaft begrüßt werden. Pfarrer Dr. von Haehling besucht sie in ihrer neuen Unterkunft bei den Angehörigen.

Am 1.5.1956 kann die Mutter-Gottes-Kapelle, die man zuvor komplett renovierte, eingeweiht werden. Das neue Bild ist ein Originalbild der „immerwährenden Hilfe“ aus Mailand/Italien.

Im Juli 1956 berichtet die örtliche Presse darüber, dass im Bereich der St. Bonifatius-Gemeinde ein kirchliches Verwaltungsgebäude für alle katholischen Pfarreien und Institutionen in Herne geplant sei. Das Vorhaben wurde bereits zuvor in den Ausschüssen der Stadt Herne besprochen. Eine Realisierung findet in der Folgezeit allerdings nicht statt. Als „segensreiche Arbeit“ bezeichnet Pfarrer Dr. von Haehling die in jedem Jahr im Sommer von karitativen Organisationen durchgeführten Ferienaktionen. Am 77. Katholikentag in Köln, der vom 28.8. bis 2.9.1956 stattfindet, nehmen verschiedene Gemeindemitglieder teil und treffen dort auf bekannte Persönlichkeiten wie die Kardinäle Piazza und Frings, Bundeskanzler Konrad Adenauer sowie den Ministerpräsidenten von NRW, Karl Arnold.

Am 14.9.1956 werden durch den Herner Maler Jupp Gesing neue Altarfenster in der Kirche installiert.

Trotz der vielen Freizeitaktivitäten, denen die Bundesdeutschen nunmehr an Wochenenden nachgehen, steigt die Kirchgängerzahl sonntags auf 5.450 Gläubige.

Am 4.3.1957 finden – wie in den Jahren zuvor – mehrere Karnevalsfeiern in der Gemeinde statt, und zwar sowohl in der Jugend als auch die große, traditionelle Karnevalsfeier der Gemeinde im Vereinshaus an der Düngelstraße unter der Leitung der DJK Elmar. Nachdem das Wirtschaftswunder Ende der 50er-Jahre seinen Höhepunkt erreicht hat, geht diese Entwicklung auch an den Mitgliedern der Herz-Jesu-Gemeinde nicht spurlos vorüber: Viele Menschen verdienen ihr tägliches Brot auf der Zeche Shamrock, die in diesem Jahr als älteste Herner Zeche ihr 100-jähriges Jubiläum begeht. Hierzu findet in der Lichtburg eine Feierstunde statt, an der 500 Shamrock-Jubilare und -Ruheständler sowie 300 aktive Belegschaftsmitglieder teilnehmen. Auch der Wiederaufbau der Herz-Jesu-Kirche ist in diesem Jahr nahezu abgeschlossen: Weitere, noch fehlende Fenster sind eingesetzt worden; so kann Pfarrer Dr. von Haehling in einem Pfarrbrief im April 1957 feststellen, dass die Herz-Jesu-Kirche nunmehr wieder in vollem Glanz erstrahlt.

Gemeindekarneval 1949 im großen Saal des Vereinshauses. Repro Stadtarchiv Herne

Erstmalig wird am 30.4.1957 eine Kindersegnung für diejenigen Kinder eingeführt, die an Ostern dieses Jahres eingeschult werden.

Am 30.9.1957 feiert der Arbeiter- und Männerverein KAB Herz Jesu sein 50-jähriges Bestehen in einem Festakt.

Viele Jugendliche sind zu dieser Zeit nicht mehr bereit, den Idealen ihrer vor allem nach Wohlstand strebenden Eltern bedingungslos zu folgen. Sie wählen sich Idole, die ein von Trotz und Auflehnung geprägtes Lebensgefühl verkörpern. Hiermit einhergehend ist erstmalig festzustellen, dass die Anzahl der Kirchgänger sonntags auf 5.000 Gläubige zurückgeht.

Am 20.9.1958 feiert die Herz-Jesu-Gemeinde in einem Festhochamt ihr 50-jähriges Jubiläum. Wegen der hohen Kosten des Wiederaufbaus der Kirche wird auf eine größere Feier verzichtet. Stattdessen werden Spenden für weitere Sanierungsmaßnahmen erbeten. Als neue Vikare kommen Frierich Spiske und Johannes Grabenströer in die Herz-Jesu-Gemeinde. Der bisherige Vereinswirt des Vereinshauses, Heinz Hübell, verstirbt. Nach einer Renovierung der Räumlichkeiten übernimmt Johannes Giersch als Pächter den wirtschaftlichen Betrieb des Vereinshauses. Die Renovierungsarbeiten, die in dieser Zeit durchgeführt werden, befassen sich mit Innenarbeiten, einer Dachreparatur sowie einer Restaurierung der Orgel. Nicht unerwähnt bleiben sollte die Tatsache, dass es neben dem Vereinshaus an der Ecke Altenhöfener Straße/Düngelstraße unmittelbar gegenüber dem Kirchplatz eine Gaststätte „Zur Glocke“ gibt, die zuletzt von der Pächterfamilie Dähnenkamp geführt wird. In dieser Gaststätte finden regelmäßig Versammlungen von kirchlichen Vereinen statt. Insbesondere nach den Messen treffen sich Gemeindemitglieder dort zu einem sonntäglichen Frühschoppen.

Taufgesellschaft vor der Gaststätte ‚Zur Glocke‘, 1960. Repro Stadtarchiv Herne

Unter dem 30.1.1961 teilt das erzbischöfliche Generalvikariat aus Paderborn mit, dass Pfarrer Dr. von Haehling mit Wirkung vom 1.2.1961 aus gesundheitlichen Gründen auf seine Pfarrstelle in der Herz-Jesu-Gemeinde verzichtet hat. Seit dem 1.2.1961 übt Vikar Grabenströer dieses Amt als Pfarrverweser aus. Der bisherige Pfarrer wechselt auf eine Pfarrstelle in der kleinen Gemeinde Rheder/Dekanat Brakel. Ende März 1961 erreicht den Gemeindevorstand eine Nachricht aus Paderborn, wonach die vakante Pfarrstelle der Herz-Jesu-Gemeinde dem bisherigen Pfarrvikar der St. Josefs-Gemeinde in Neheim-Hüsten, Herrn Alfons Vogt, verliehen worden ist. Am 21.5.1961 erfolgt daraufhin die Einführung des neuen Pfarrers Vogt durch Dechant Deppe. In einem großen Festhochamt hält Prälat Dr. Schulte aus Paderborn die Festpredigt. Danach findet eine offizielle Begrüßung im Vereinshaus statt. Am 24.5.1961 begeht die Frauen- und Müttergemeinschaft ihr 50-jähriges Bestehen.

In der Bundesrepublik ermöglichen steigende Einkommen den Kauf hochwertiger Konsumgüter, sogar das eigene Auto bleibt für viele kein bloßer Wunschtraum mehr. Auch hierauf reagiert die Gemeinde, indem am 25.7.1961 (St. Christophorus) auf dem Hof des St.-Antonius-Kinderheimes erstmalig eine Fahrzeugsegnung stattfindet. Zirka 150 Fahrzeuge von Gemeindemitgliedern sind dort aufgestellt. Sogar die örtliche Polizei ist zugegen und leistet Hilfe beim An- und Abfahren der Fahrzeuge.

Fahrzeugsegnung durch Pfarrer Vogt Mitte der 1960er Jahre, Repro Stadtarchiv Herne

Anfang der 60er-Jahre sind die Vorboten einer „wilden“ Zeit bereits unverkennbar. Hiervon bleiben auch kirchliche Institutionen nicht verschont. So werden erste Pläne bekannt, wonach katholische Bekenntnisschulen in städtische Grundschulen umfunktioniert werden sollen. Als im September 1961 ein neues Schulzentrum an der Flottmannstraße, Ecke Hölkeskampring geplant wird und die Gemeinde hiervon erfährt gibt es eine Elternabstimmung über die Einrichtung einer katholischen Grundschule, deren Ergebnis der Stadtverwaltung zugeleitet wird. Am ersten Adventssonntag 1961 werden in einer Andacht erstmalig Adventskränze von Gemeindemitgliedern gesegnet. Dieser Brauch ist bis heute beibehalten worden.

Als weitere „Neueinrichtung“ führt Pfarrer Vogt eine Wallfahrt ein, die in die Schweiz zum Friedensheiligen Klaus von Flüe nach Sachsein geht. Im Mai 1962 wird die Wallfahrt erstmalig der Gemeinde angeboten und seitdem regelmäßig durchgeführt. Die Anzahl der Teilnehmer beläuft sich regelmäßig auf zwischen 160 und 190 Personen. Im Juni 1962 begeht die DJK Elmar ihr 40-jähriges Bestehen.

Reisegruppe vor der Wahlfahrtskirche in Sachsen-Schweiz, 1996. Repro Stadtarchiv Herne

Auch das Fernsehen ist mittlerweile in den Mittelpunkt der Familien gerückt. Als am 11.10.1962 durch Papst Johannes XXIII. das II. Vatikanische Konzil eröffnet wird, ist es vielen Gemeindemitgliedern möglich, die Feierlichkeiten am Bildschirm mitzuverfolgen. Durch die Kubakrise steht die Welt in diesem Jahr am Rande eines Krieges. Pfarrer Vogt nimmt dies mit Bestürzung zur Kenntnis und stellt die Christkönigsfeier unter die Weltbitte: „Da pacem domine“ („Gib Frieden, Oh Herr“).

Als im Februar 1963 die Temperaturen außergewöhnlich tief auf minus 15 bis 20 Grad fallen, wird die Kirche trotz Beheizung stark ausgekühlt. Dementsprechend ist der Kirchenbesuch in dieser Zeit rückläufig. Am 21.3.1963 besucht erstmalig Weihbischof Dr. Paul Nordhues die Gemeinde und führt eine Firmung durch.

Im Frühjahr 1963 kann mit dem Ausbau des St.-Antonius-Kinderheimes begonnen werden. Hierzu reißt man zunächst einen alten Teil des Kinderheimes sowie die Nähschule ab. Die Bauarbeiten kommen erst im November 1964 zu ihrem Abschluss. Am 15.9.1963 findet in der Herz-Jesu-Kirche ein „Tag der Heimat“ unter Mitwirkung ostdeutscher Vereine statt.

Am 5.7.1964 wird der aus der Gemeinde stammende Herr Severin Pieper in der Benediktinerabtei Münster-Schwarzach zum Priester geweiht. Er übt seine Tätigkeit in der Mission in Afrika aus und besucht die Gemeinde in den folgenden Jahren regelmäßig. Am 18.8.1964 verlässt Vikar Spiske die Gemeinde und wird nach Unna versetzt. Seine Nachfolge tritt Vikar Werner Bozetti an. Mit der Vollendung des Erweiterungsbaus und der darin befindlichen Kapelle feiert das St.-Antonius-Kinderheim am 20.11.1964 sein 50-jähriges Bestehen. Auch das Richtfest des Kindergartenneubaus an der Franz-Düwell-Straße wird am 21.12.1964 begangen. Die Zahl der Taufen, Trauungen und Erstkommunionen ist bis Mitte der 60er-Jahre noch konstant.

Am 10.1.1965 besucht Bischof Gottau aus Anatuja/Argentinien erstmalig die Gemeinde und bittet um Spenden für eine der ärmsten Gemeinden in Südamerika. Eine wichtige Änderung in der Liturgie tritt am 7.3.1965 aufgrund der Beschlüsse des II. vatikanischen Konzils ein: Die Zelebration der Messe findet nunmehr zur Gemeinde hin statt, und auch die Predigten werden nicht mehr von der Kanzel aus gehalten, sondern unmittelbar von einem Pult im Altarraum. Am 2.6.1965 verlässt Vikar Grabenströer die Gemeinde und wird zum Pfarrer in Wetter ernannt. Nachfolger wird Vikar Franz Schnütgen. Im September ist der Bau des neuen Kindergartens an der Franz-Düwell-Straße beendet. Er bietet Platz für 90 Kinder. Die Gesamtbaukosten in Höhe von rund 138.000 Euro (nach heutiger Berechnung) werden größtenteils von der Gemeinde getragen. Als Patronin des Kindergartens wird die heilige Mutter Anna gewählt, so dass der Kindergarten fortan „St. Anna-Kindergarten“ heißt. Am 24.11.1965 feiert die Elisabethkonferenz ihr 50-jähriges Bestehen. Anlässlich eines Besuches der Gemeinde am 7.12.1965 trägt sich Kardinal Lorenz Jäger mit einem lateinischen Gruß („in visitatione canonica“) in die Gemeindechronik ein.

1966 ist ein Schwellenjahr zwischen Stagnation und Umbruch. Weltpolitische Konflikte eskalieren, innenpolitisch werden die Notstandsgesetze beschlossen; die Jugend lehnt sich gegen Ideale ihrer Eltern auf und sucht die offene Auseinandersetzung mit Staat und Gesellschaft. Die sich anbahnenden Studentenunruhen der 68er sind für die älteren Bürger noch nicht voraussehbar. Auch im Herner Süden ist der Strukturwandel nicht mehr zu übersehen: das Zechensterben beginnt, Bergbauzulieferer müssen schließen, Arbeitsplätze fallen weg. Dies führt zwangsläufig dazu, dass Familien den Ortsteil verlassen. Logischerweise ist die Anzahl der Kirchgänger von dann ab fallend.

Am 26.7.1966 wird am St. Anna-Kindergarten ein Relief eingeweiht, welches die heilige Mutter Anna inmitten einer Schar von Kindern darstellt. Es stammt vom Herner Künstler Hermann Gesing.

Relief ‚St. Anna-Kindergarten‘. Repro Stadtarchiv Herne

Da das neue Marienhospital im Bezirk der Herz-Jesu-Pfarrei liegt, wird es am 29.9.1966 vor dem Einzug durch Dechant Deppe von der St. Bonifatius-Gemeinde und von Pfarrer Vogt gesegnet. Die Pfarrei Herz Jesu ist von jetzt ab für alle Fragen, die die Seelsorge im Krankenhaus anbetreffen, zuständig. Erster Krankenhausseelsorger wird Pater Karl Laurier. Am 17.12.1966 empfängt der aus der Gemeinde stammende Herr Heribert Rembecki die Priesterweihe in der Franziskaner-Kirche Bacaball/Brasilien. Er übt seine Tätigkeit in der dortigen Mission aus.

Auch in der Verwaltung der Kirche ist der Drang nach mehr Mitwirkungsbefugnis und Verantwortung von weltlichen Gemeindemitgliedern offensichtlich : Am 13.2.1967 wird von der erzbischöflichen Behörde die Satzung zur Gründung von „Pfarrausschüssen“ ausgegeben. Durch Gemeindeversammlungen wird die Errichtung derartiger Ausschüsse vorbereitet, insbesondere wirbt man unter den Gemeindemitgliedern für eine notwendige Mitarbeit. Pfarrer Vogt stellt in dieser Zeit fest, dass durch neue Auslegungen kirchlicher Grundsätze unter den Gläubigen eine große Verwirrung auftritt. Die Jugend will auch nicht mehr das tun, was der älteren Generation recht und billig erscheint. Kirchenaustritte sind also verstärkt zu verzeichnen. Von einer „leisen Auswanderung der Gläubigen“ wird in diesem Zusammenhang gesprochen. Im Alltag der Gemeinde verändert sich daher vieles: Durch die Verlegung des Schulanfanges von Ostern auf den Herbst werden zwei „ Kurzschuljahre“ eingeführt. Aus diesem Grunde gibt es in der Herz-Jesu-Gemeinde zwei Erstkommunionfeiern, wobei die Kinder des 3. Schuljahres am Weißen Sonntag zur Kommunion gehen, die Kinder des 2. Schuljahres an Christi Himmelfahrt. Als am 5.6.1967 der Krieg zwischen Israel und den arabischen Staaten ausbricht, findet einen Tag später ein erster ökumenischer Gottesdienst in der evangelischen Kreuzkirche statt, um für den Weltfrieden zu beten. Viele Mitglieder der Herz-Jesu-Gemeinde nehmen neben dem Pfarrer hieran teil. Am 23.7.1967 findet die erste Gemeinderats-Wahl bei mäßiger Beteiligung statt. Am 19.11.1967 verstirbt der ehemalige Pfarrer der Gemeinde, Dr. von Haehling, im Alter von 68 Jahren. Am selben Tag feiert der Kirchenchor sein 60-jähriges Bestehen.

Kommunion 1969. Repro Stadtarchiv Herne

Als am 17.3.1968 die alten Glocken des Turmes zum letzten Mal läuten, stehen die neuen Glocken, die von der Firma Friedrich Krupp in Bochum hergestellt wurden, bereits bereit. Lediglich im Südturm verbleibt eine Stahlglocke, die vor 1948 hergestellt wurde, hängen; sie darf allerdings aus statischen Gründen nicht mehr geläutet werden. Die neuen Glocken werden am 24.3.1968 geweiht und ihrer Funktion übergeben.

Bei der Fronleichnamsprozession dieses Jahres wird erstmalig das Marienhospital in den Prozessionsweg mit einbezogen. Dort ist die dritte Station unmittelbar unterhalb der Kapelle. Nachdem bereits aus Anlass der Errichtung des neuen Schulzentrums an der Flottmannstraße Diskussionen um eine Bekenntnisschule aufkamen, findet das Ende dieser Schulform in der Stadt Herne endgültig im Jahre 1968 statt. Lediglich eine katholische Grundschule soll für den Gesamtschulbezirk Herne aufgrund einer zuvor durchgeführten Elternabstimmung bestehen bleiben. Die Aufnahme der Schüler erfolgt zunächst an der Grundschule Düngelstraße; später wird die katholische Grundschule in das neue Schulgebäude an die Flottmannstraße verlegt.

Am 30.11.1968 verlässt Vikar Bozzetti die Gemeinde und wechselt auf eine Pfarrstelle in Soest. Nachfolger wird Vikar Antonius Waterkamp.

Die Auseinandersetzung zwischen Staat und Gesellschaft erreicht Ende der 60er-Jahre ihren Höhepunkt. Nicht unerwartet gehen die Kirchenbesucher sonntags auf 2.600 Gläubige – das heißt fast 50% weniger als in den 50er-Jahren – zurück. Um diesem „Trend“ gegensteuern zu können, treffen sich am 12.3.1969 zur Intensivierung der kirchlichen Arbeit die St. Elisabeth-Konferenz, die Vinzenz-Konferenzen sowie verschiedene Mitglieder der Gemeinde zu einem gemeinsamen Gespräch.

Fronleichnamsprozession 1960 im Bereich Anna-Luise-Straße. Repro Stadtarchiv Herne

Am 14.5.1969 wird erstmalig eine „Vorabendmesse“ gefeiert. Mit dieser Einrichtung können die Gemeindemitglieder ihre kirchliche Verpflichtung für den Sonntag vorverlegen. Eine solche Einrichtung erscheint notwendig, da der Sonntag durch viele Gemeindemitglieder mittlerweile ausschließlich freizeitmäßig genutzt wird.

Am 21.7.1969 betritt ein Amerikaner als erster Mensch den Mond, was Pfarrer Vogt zum Anlass nimmt, dieses historische Ereignis in der Kirchenchronik zu vermerken.

Mit Bedauern stellt er in der Folgezeit fest, dass trotz aller Bemühungen ein weiterer Rückgang der Kirchenbesucher festgestellt werden muss, insbesondere bei den Jugendlichen. Durch die am Ende des Jahres durchgeführte Statistik wird der Trend belegt: Taufen, Erstkommunionen und Trauungen sind rückläufig. Junge Menschen genießen offensichtlich mehr ihre Freizeit und erteilen kirchlichen Wert- und Ordnungsbegriffen eine Absage. Der Übergang in eine liberalisierte Gesellschaftsordnung der 70er-Jahre ist nicht mehr aufzuhalten.

Wolfgang Bruch1

Anmerkung

  1. Erstveröffentlichung des Textes in: „100 Jahre Katholische Kirchengemeinde Herz Jesu“. Seiten 43 bis 52. Schürmann + Klagges Verlag, Bochum 2006. Veröffentlichung von Text und Bildern auf dieser Seite mit freundlicher Genehmigung des Autors. ↩︎