Fassbender, Rademacher und Leineweber

Sodingen, Börnig und Holthausen vor über 170 Jahren — Die Aufteilung der Gemeinden

Für den Stadtteil Sodingen, umfassend die früheren Gemeinden Sodingen, Börnig und Holthausen, liegt im Stadtarchiv Castrop ein Einwohnerverzeichnis vom 03.12.1849 vor, das sämtliche Bewohner mit Namen, Beruf und Konfession angibt.

Die drei erhaltenen Urlisten, die auf Grund einer Volkszählung aufgestellt wurden, geben in ausführlicher Weise Aufschluss über die Zusammensetzung der Einwohnerschaft und die wirtschaftlichen Verhältnisse vor 100 Jahren. Verglichen mit den entsprechenden Zahlen von heute, wird hier besonders deutlich, wie sich innerhalb eines Jahrhunderts drei kleine Dorfgemein­den zu menschen- und arbeitsreichen Vor­orten einer Großstadt entwickelten.

Die Stadt Castrop mit 4100 Einwohnern bildete damals den wirtschaftlichen, ver­kehrsmäßigen und kulturellen Mittelpunkt für ihre weitere Umgebung. Zu diesem Ge­biet, das bis 1844 Bürgermeisterei Castrop und dann mit der Einführung der Landge­meindeordnung Amt Castrop hieß, gehörten auch die drei Dörfer Sodingen, Börnig und Holthausen. Infolge der starken Zunahme der Bevölkerungszahl vereinigte man diese drei Gemeinden im Jahre 1902 zum Amte Sodingen, das bis zu seiner Eingemeindung nach Herne im Jahre 1928 durch Amtmann Wiethoff verwaltet wurde.

Sodingen, Börnig und Holthausen bildeten vor 170 Jahren kleine bäuerliche Landge­meinden. Sodingen setzte sich zusammen aus den „Ortschaften“ Bauerschaft Sodingen, Königliche Domäne Altstedde, Bauerschaft Gysenberg und Rittergut Gysenberg. Zu Börnig gehörten die Bauerschaften Börnig, Voßnacken, Vellwig und das Rittergut Scha­deburg. Holthausen gliederte sich in die Bauerschaften Holthausen, Börsinghausen und Oestrich.

Die Aufteilung der Gemeinden nach Be­völkerungszahl und Konfessionen zeigt fol­gende Übersicht:

katholischevangelischgesamt
Sodingen-Gysenberg 202 46 248
Börnig 255 33 288
Holthausen 220 52 272
Insgesamt 677 131 808

Eine Betrachtung der in dem vorliegenden Verzeichnis angeführten Berufe lässt erken­nen, dass die drei Gemeinden damals noch rein bäuerlicher Natur waren. Die Bevöl­kerung zog ihren Unterhalt ganz überwie­gend aus der Landwirtschaft. Unter den 130 Familien, die in den Listen genannt werden, finden sich 33 Landwirte, 13 Kötter und 24 Tagelöhner. Es lebten also über 50 Prozent der Bewohner unmittelbar von der Bearbei­tung des Bodens. Der restliche Teil der Be­völkerung setzt sich durchweg aus selbststän­digen Handwerkern zusammen. Einen Berg­mann oder einen Industriearbeiter suchen wir in dem Verzeichnis vergebens, ein Zei­chen, dass der Bergbau bis 1819 unsere en­gere Heimat noch nicht erreichte (Die erste Steinkohlenzeche in Herne – Shamrock – wurde 1856, in Castrop – Erin – wurde 1866 abgeteuft.).

Je nach der Größe des Besitztums nennt sich der damalige Landwirt Oekonom, Erb­bauer, Halbbauer oder Kötter. Die Kötter besaßen ein kleines Eigentum (Kotten) und übten häufig neben der Landarbeit ein Hand­werk aus. Die Tagelöhner arbeiteten in der Regel auf einem bestimmten Bauernhof ge­gen Tagelohn und Deputat und wohnten in kleinen Fachwerkhäusern, die ihrem Arbeit­geber gehörten. Man nannte sie in hiesiger Gegend „Inwiihner“ (Einwohner). Diese wirt­schaftliche Verbundenheit zwischen Bauern­hof und Arbeiter, die sich oft über mehrere Generationen erstreckt, hat sich in einzelnen Fällen bis in die letzten Jahrzehnte hinein erhalten.

Übersichts-Plan des Amtes Sodingen, Repro Stadtarchiv Herne

Aus den in der Aufstellung angegebenen Handwerkern seien hier die wichtigsten her­ausgegriffen:

8 Weber, 6 Schneider, 5 Schmie­de, 4 Schuster, 4 Zimmerleute, 4 Faßbender (Böttcher), 3 Holzschuhmacher, weiter Satt­ler, Rademacher (Stellmacher), Schreiner und Maurer. In der „guten alten Zeit“ war es noch üblich, dass viele Handwerker, z. B. Schneider, Schuhmacher, Sattler und Rade­macher, im Hause ihres Auftraggebers arbei­teten, wo sie ihre Rohstoffe und als Entgelt für ihre Arbeit freie Beköstigung und einen geringen Barlohn erhielten.

Unter den handwerklichen Betrieben des vergangenen Jahrhunderts war in allen dörf­lichen Gemeinden die Hausweberei stark vertreten. Das zeigt auch diese Zusammen­stellung. Im benachbarten Kirchspiel Henrichenburg befanden sich zu gleicher Zeit unter 70 Familien sogar 15 Leineweber. Je­der Bauer besaß sein Flachsfeld. Die Ver­arbeitung des Flachses bis zum gesponnenen Garn gehörte in den meisten Familien zur regelmäßigen Winterbeschäftigung. Im Ge­gensatz zum östlichen Westfalen, wo fast je­des Haus seinen eigenen Webstuhl besaß, übernahm in unserer Gegend der Leinewe­ber die Herstellung des Leinens in seinem handwerklichen Betrieb. Er arbeitete wäh­rend des ganzen Jahres, oft mit mehreren Webstühlen, für die einzelnen Familien des Dorfes oder auch für den Verkauf auf dem freien Markt. Die Hausweberei erlag gegen Ende des 19. Jahrhunderts dem steigenden Wettbewerb der fabrikmäßigen Betriebe. Ein Spottvers, der den Weberkindern nachgeru­fen wurde und dessen Rhythmus an den Takt des Webstuhles erinnert, ist der älteren Ge­neration noch bekannt:

„Linnenwiawer, Kattenkopp,

Katuß, katuß, katuß!“

Außer den genannten Berufen seien weiter noch erwähnt: 2 Müller in Sodingen (Buß­mann und Pullmann), 2 Förster in Gysen­berg (Riwe und Ganteför), 1 Schenkwirt in Börnig (Böhmer) und 2 Bahnwärtergehilfen in Börnig (Hülsebusch und Kränker); die Köln-Mindener-Eisenbahn wurde 1847 in Be­trieb genommen.

Börnig weist im Jahre 1849 sogar einen Lehrer auf (Henrich Lampmann). Er unter­richtete von 1821 bis zu seinem Tode im Jahre 1868 die Jugend von Börnig. Voß­nacken, Vellwig und Horsthausen. Alle schulpflichtigen Kinder aus Sodingen und Holthausen besuchten die Schule in Ca­strop.1

Das Einwohnerverzeichnis des Jahres 1849 stellt eine zuverlässige familienkundliche Quelle dar, da die meisten der dort aufge­führten Familiennamen auch heute noch vor­handen sind, wenn bisweilen auch in abge­änderter Schreibweise.2|3

Friedrich Becker

Anmerkungen

  1. Weiterführende Informationen zur Entwicklung der Schulen im Amt Sodingen finden sich hier. ↩︎
  2. Der Text wurde im Herner Stadtanzeiger vom 25.11.1949 veröffentlicht. ↩︎
  3. Der Text wurde von Gerd Biedermann entdeckt und für das digitale Geschichtsbuch aufbereitet. ↩︎