Justiz und Rechtsanwälte in Herne…seit wann gibt es diese Institutionen eigentlich? Eine oft gestellte Frage, die ohne Kenntnisse des historischen Hintergrundes nicht beantwortet werden kann. Das Leben in Herne war bis Mitte des 18. Jahrhunderts durch seinen dörflichen Charakter, Landwirtschaft und Viehzucht geprägt. Der Ortskern befand sich im Bereich um die Haranni Kirche (unmittelbar neben der heutigen Kreuzkirche). Erst die stetig anwachsende Einwohnerzahl bedingt durch den aufkommenden Bergbau und die Industrialisierung der Ruhrregion führte dazu,
dass Herne in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts sehr schnell wuchs. Eine geordnete, örtliche Gerichtsbarkeit gab es bis zu diesem Zeitpunkt allerdings nicht, denn es galt in der Provinz Westfalen immer noch das preußische Landrecht von 1794.
Diese Gerichtsbarkeit wurde über die Freiherren von Strünkede und deren Nachfolger ausgeübt. Mit der Gründung des Deutschen Reiches im Jahre 1871 wurden nunmehr gesetzlich einheitliche Regelungen für das gesamte Reichsgebiet eingeführt, nämlich ein Strafgesetzbuch (1872) und ein Bürgerliches Gesetzbuch (1900). Somit hatte für das gesamte Reichsgebiet eine einheitliche Rechtsprechung zu erfolgen. Im Jahr 1888 wurde in Ausführung des Gerichtsverfassungsgesetzes ein Landgericht in Bochum errichtet; bereits ein Jahr später erfolgte aufgrund gesetzlicher Grundlage die Errichtung des Amtsgerichts Herne, welches zum 01.10.1892 seine Tätigkeit in einem neu errichteten Gerichtsgebäude an der Bahnhofstraße/Ecke Shamrockstraße aufnahm. Dort waren insgesamt 6 Richter tätig. Die erste Zulassung eines Rechtsanwalts erfolgte dort am 10.11.1892 (Rechtsanwalt Udo Dieckmann). In den nachfolgenden Jahren kamen bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges 10 weitere Rechtsanwälte hinzu. Durch die weiter zunehmende Bevölkerung entstand ein weiterer Bedarf an juristischer Tätigkeit.
Das Amtsgerichtsgebäude hatte zu wenig Diensträume und Sitzungssäle, mit der Folge, dass in den Jahren 1911/1912 im Zusammenhang mit dem Bau des neuen Rathauses auch die Errichtung eines neuen Amtsgerichtsgebäudes einschließlich Gefängnistraktes seitens des Rates beschlossen wurde. Der Bau des neuen Amtsgerichts direkt neben dem Rathaus begann im Februar 1916. Durch die Wirren des Ersten Weltkrieges konnte dieses Gebäude jedoch erst im Juli 1921 bezogen werden. Erst Mitte der 1920iger Jahre stieg die Zahl der Neuzulassung von Rechtsanwälten wieder an, so dass bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges 26 Rechtsanwälte, von denen 6 Notare waren, beim Amtsgericht Herne ihre Zulassung hatten. In dem alten Amtsgerichtsgebäude wurde später die städtische Bücherei untergebracht, bevor dieses Ende der 1960iger Jahre dem Bau des jetzt an dieser Stelle befindlichen City Centers weichen musste.
Im Zusammenhang mit den Neuregelungen der kommunalen Grenzen ergaben sich in den Jahren ab 1926 verschiedene Änderungen der Gerichtsbezirke. Davon betroffen waren die Grenzen des Amtsgerichts Herne: so kam die Gemeinde Sodingen vom Amtsgerichtsbezirk Castrop-Rauxel zum Amtsgerichtsbezirk Herne. In diesem Bereich war ein Rechtsanwalt und Notar niedergelassen. Darüber hinausgehend wurde am 01.04.1926 die Errichtung eines eigenen Amtsgerichts in Wanne-Eickel beschlossen. Auch dieses Amtsgericht gehörte zum Bezirk des Landgerichts Bochum. Durch die Machtergreifung der Nationalsozialisten ergingen ab 1933 zahlreiche Maßnahmen zur Änderung der Gerichtsverfassung, ohne dass hierdurch eine grundlegende Neuordnung der Gerichtsbarkeit eintrat. In den Bereichen der Amtsgerichte arbeitete die Justiz letztlich so weiter wie bisher. Allerdings führte dies dazu, dass 2 Hemer Rechtsanwälte – jüdischer Abstammung – im Jahre 1933 ihre Zulassung in Herne zurückgaben (Rechtsanwalt Rosenthal, Rechtsanwalt Dr. Löbenstein).
Nachdem die Wiederherstellung einer geordneten Rechtspflege nach dem Zweiten Weltkrieg durch ein Kontrollratsgesetz der Alliierten erfolgte, wurde auch beim Amtsgericht Herne – welches völlig unzerstört war – die Justiz schnell wieder in Tätigkeit versetzt. Demgegenüber war das Landgericht Bochum teilweise schwer zerstört worden, so dass ein Teil der Zivilkammern nach 1945 bis Dezember 1950 im Amtsgerichtsgebäude Herne untergebracht wurde. Nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1949 wurden die Richterstellen im Amtsgericht Herne wieder vollständig besetzt. Als erster Rechtsanwalt nach dem Zweiten Weltkrieg beantragte Rechtsanwalt Friedrich Schlenkhoff seine Zulassung, weitere Kollegen folgten, so dass Anfang der 1950iger Jahre bereits wieder 14 Rechtsanwälte in Herne zugelassen waren. Die Gründung des Hemer Anwaltvereines erfolgte in dieser Zeit unter dem Vorsitz des Rechtsanwalts Dr. Hohmann.
Das Wirtschaftswunder hatte auch in Herne seine Wirkung: Juristische Tätigkeiten waren von Tag zu Tag mehr gefragt, so dass das Amtsgericht seine Personalstärke mehrfach aufstocken musste. In der Folgezeit waren 12 Berufsrichter tätig; auch die Zahl der zugelassenen Rechtsanwälte stieg auf insgesamt 61 Kolleginnen und Kollegen an, von denen aktuell 7 als Notare bestellt sind.
Einen ähnlichen Verlauf hatte das Amtsgericht Wanne-Eickel zu verzeichnen. Zunächst wurden der Justiz die erforderlichen Räume im Wanner Rathaus zur Verfügung gestellt, da der ursprünglich geplante Neubau im Zuge der wirtschaftlichen Lage der 1930iger Jahre nicht umgesetzt werden konnte. Zu Beginn waren beim Amtsgericht Wanne-Eickel 5 Richter tätig. In den Monaten der Nachkriegszeit wurde das wiedereröffnete Amtsgericht umgesiedelt in das frühere Fernmeldeamt auf der Gerichtsstraße. Auch hier zeigte sich sehr schnell, dass die Räumlichkeiten unzureichend waren, mit der Folge, dass der ursprüngliche Plan eines Neubaus wieder aufgegriffen wurde. Der Neubau an der Hauptstraße konnte daher zum 20.11.1953 eröffnet werden. Die ursprünglich 5 Amtsrichterstellen wurden aufgestockt auf 9 Richterstellen bis zum heutigen Tage. Im Bezirk des Amtsgerichts Herne-Wanne sind derzeit 36 Anwältinnen/Anwälte zugelassen, von denen 2 als Notare bestellt sind.
Ein weiterer Justizzweig in Form des Arbeitsgerichts entstand im Jahre 1946. Dieses wurde zunächst untergebracht in Räumlichkeiten an der Schulstraße 39, ein Umzug erfolgte bereits 4 Jahre später in Räumlichkeiten des Polizeigebäudes, Bebelstraße 11, mit dem Eingang direkt gegenüber dem Rathaus. Diese Räumlichkeiten waren im Grunde genommen von vornherein provisorisch, mit der Folge, dass ein eigenes Gerichtsgebäude (erst!) im Jahre 1992 an der Schillerstraße bezogen werden konnte. Dort sind derzeit 5 Berufsrichter tätig.
Im Jahre 2009 wurde seitens des Justizministeriums NRW der Plan verkündet, dass ein Justizzentrum in Herne neu errichtet werden sollte, welches die Amtsgerichtsbezirke Herne-Wanne und Herne vereinigen sollte, fernerhin sollte das Arbeitsgericht in einem solchen Gebäude mit untergebracht werden. Die Pläne hierzu hingen im Jahre 2010 zur Einsichtnahme im Gerichtsgebäude in Herne aus. Leider konnte aufgrund wirtschaftlicher Umstände im Etat des Landes NRW dieses Vorhaben nicht umgesetzt werden. Damit war der Traum eines Justizzentrums für das gesamte Stadtgebiet in Herne (vorerst) ausgeträumt. Es wäre auch zu schön gewesen, einen der letzten Gräben zwischen den ehemaligen selbständigen Städten Wanne-Eickel und Herne zuzuschütten!1
Wolfgang Bruch
Anmerkung
- Dieser Text ist in gekürzter Form unter dem Titel „Wie die Justiz nach Herne kam“ in der WAZ Herne am 01.05.2021 veröffentlicht worden. ↩︎